02.01.2025
Die islamistische HTS festigt ihre Macht in Syrien

Der Mukhabarat bleibt

Die in der syrischen Übergangsregierung dominierende HTS festigt ihre Macht und wendet sich gegen die kurdische Autonomie.

Anas Khattab kann bereits auf Erfahrung in der Geheimdienst­arbeit zurückblicken. 2012 schloss er sich der al-Nusra-Front (Jabhat al-Nusra) an, aus der 2017 Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) hervorging, eine islamistische Organisation, die sich vom globalen Jihad der al-Qaida und des »Islamischem Staats« distanzierte.

Khattab arbeitete sich zum Leiter des HTS-Geheimdiensts hoch und soll bei der Eliminierung jihadistischer Kader, die den Kurswechsel nicht mitmachen wollten, effizient gearbeitet haben. Nun dominiert die HTS die Übergangsregierung in Damaskus, am 26. Dezember wurde Khattab zum Direktor des Allgemeinen Nachrichtendiensts (Jihaz al-Mukhabarat al-Amma, JMA) ernannt.

Obwohl der Begriff Mukhabarat in Syrien (und den meisten anderen arabischen Staaten) unweigerlich mit Schrecken und staatlicher Willkür assoziiert wird, hielt man es offenbar für unnötig, den seit 1945 bestehenden Geheimdienst wenigstens umzubenennen.

Es überrascht nicht, dass die neuen Machthaber eine so wichtige Position mit einer zuverlässigen Person besetzen. Eine besonders berüchtigte, vor allem mit der Unterdrückung der Opposition befasste Abteilung des JMA soll aufgelöst worden sein.

Obwohl der Begriff Mukhabarat in Syrien (und den meisten anderen arabischen Staaten) unweigerlich mit Schrecken und staatlicher Willkür assoziiert wird, hielt man es offenbar für unnötig, den seit 1945 bestehenden Geheimdienst wenigstens umzubenennen. Das spricht dafür, dass zumindest ein Teil des Personals des alten Regimes übernommen werden soll, dem die Ernennung Khattabs zugleich eine Mahnung zu Loyalität sein soll.

Pragmatische Argumente

Es gibt pragmatische Argumente für ein solches Vorgehen. Ehemals privilegiert, immer noch bewaffnet, aber nun arbeitslos – das ist eine gefährliche Kombination, wie sich unter anderem nach der US-Invasion im Irak zeigte, als viele entlassene Angehörige des Militär- und Repressionsapparats Saddam Husseins sich jihadistischen Gruppen anschlossen. Die Entscheidung für Kontinuität zeigt aber auch, dass ein effizienter Repressionsapparat aufrechter­halten werden soll, und es ist fraglich, ob er allein gegen Jihadisten eingesetzt werden wird.

In der Übergangsregierung besetzen HTS-Mitglieder 16 von 22 Posten, darunter fast alle Schlüsselpositionen. Die Ausnahme ist Finanzminister Riad Abdul Ra’ouf, der bereits unter Bashar al-­Assad diente und seinen Posten wohl behalten durfte, weil nur ein Insider Einblick in die verschlungenen Geschäfte des alten Re­gimes hat und so die prekären Staatsfinanzen einigermaßen ordnen kann.

Insgesamt aber kann wenig Zweifel daran bestehen, dass die HTS eine dominante, wenn auch wohl nicht diktatorische Position beanspruchen wird. Da das vorrangige Ziel die Stabilisierung eines neuen Herrschaftssystems und die Übergangsregierung auf internationale Unterstützung angewiesen ist, dürfte staatlicher Tugendterror zumindest vorerst ausbleiben

So sagte der HTS-Anführer Ahmed Hussein al-Sharaa, der seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Julani nun abgelegt hat, man habe wichtigere Probleme, als den Alkoholausschank zu unterbinden. Doch ist unklar, ob die HTS der Versuchung widerstehen wird, in die neue Verfassung Elemente des sunnitischen islamischen Rechts aufzunehmen.

In letzter Instanz kommt die Macht aus den Gewehrläufen

Das könnte auch die religiösen Minderheiten betreffen. Ihnen wurde Schutz versprochen, und tatsächlich sind die neuen Machthaber bemüht, gegen Übergriffe wie das Anzünden eines Weihnachtsbaums in Suqaylabiyah vorzugehen. Das garantiert allerdings nicht den langfristigen Schutz vor einer »islamischen Leitkultur«, die die Religionsausübung gestattet, aber gesellschaftliche Diskriminierung institutionalisiert.

Zur Mäßigung sind die neuen Machthaber auch gezwungen, weil sie Rücksicht auf Erwartungen der befreiten Syrer:innen nehmen müssen, die eine neue Diktatur nicht ohne weiteres hinnehmen dürften. Doch in letzter Instanz kommt die Macht aus den Gewehrläufen. Entscheidend ist daher, wie der Wiederaufbau der Armee unter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra (HTS) vonstatten gehen wird. Es sollen Kräfte neben denen der HTS einbezogen werden – aber welche und unter welchen Bedingungen?

Noch bietet die Präsenz von US-Truppen den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) einen gewissen Schutz, dieser könnte aber nach der Amtsübernahme von Donald Trump am 20. Januar enden.

Sharaa sagte am 22. Dezember, dass man »keine Waffen im Land außerhalb staatlicher Kontrolle« dulden werde, weder »von revo­lutionären Fraktionen noch von Fraktionen, die im SDF-Gebiet präsent sind«. Dass Sharaa die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces erwähnte, nicht aber die im Dienst der Türkei und mit deren militärischer Unterstützung gegen sie kämpfende Syrian National Army, kommt einer Akzeptanz der türkischen Intervention und einer Ablehnung mit eigenen bewaffneten Kräften gesicherter kurdischer Autonomie in Syrien gleich.

Noch bietet die Präsenz von US-Truppen den SDF einen gewissen Schutz, dieser könnte aber nach der Amtsübernahme von Donald Trump am 20. Januar enden. Vage Versprechen einer inklusiven syrischen Armee, in der auch sie dienen können, dürften den syrischen Kurd:innen dennoch kaum genügen, um sich auf eine Entwaffnung einzulassen.