09.01.2025
Prag etabliert sich als Treffpunkt von deutschen Rechtsextremen und »Querdenkern«

Die alternative Weltverschwörung

Ein internationales Netzwerk schmiedet finstere Pläne: Im Dezember trafen sich in Tschechien prominente Rechtsextreme mit Vertretern der »Querdenken«-Szene, vor allem aus Deutschland.

Der »Great Reset« ist neben dem »Großen Austausch« die wohl einflussreichste Verschwörungstheorie der Gegenwart. Ursprünglich handelte es sich um einen Slogan, den das Weltwirtschafts­forum (WEF) vor einigen Jahren für eine »Initiative für nachhaltige Märkte« nutzte. In Partnerschaft mit dem britischen Königshaus wollte man für die Zeit nach den Covid-19-Pandemiemaßnahmen für eine sozialere und ökologischere Wirtschaft sorgen. Wie es sich für solche Initiativen gehört, war das Projekt reich an wohlklingenden Slogans und Marketingmaterial, aber im Kern weitgehend substanzlos.

Es wurde dementsprechend kaum beachtet – bis es im Sommer 2020 vom libertären Heartland Institute aufgegriffen wurde, einem US-amerikanischen Think Tank, der von der Öl- und Tabakindustrie finanziert wird und sich hauptsächlich damit beschäftigt, den menschlichen Einfluss auf die Erderwärmung zu leugnen. Ein Vertreter des Heartland Institute erzählte in rechten US-Medien wie Fox News, dass sich hinter dem »Great Reset« der Plan des WEF verberge, »die globale kapitalistische Wirtschaft komplett zu zerstören«.

Schnell verbreitete sich der Begriff bei Verschwörungsgläubigen auf der ganzen Welt. Meist verknüpft sich damit die Vorstellung, das WEF und dessen Gründer Klaus Schwab wollten die Covid-19-Lockdowns nutzen, um eine weltweite Ökodiktatur zu errichten.

Berührungsängste zwischen extremen Rechten und der verschwörungstheoretischen Szene hat es nie wirklich gegeben.

An diese Wahnvorstellung anknüpfend fand am 12. Dezember weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit ein Treffen von Rechtsextremen und Verschwörungsgläubigen in einem Prager Kongresshotel statt. Er wolle »mit den besten Köpfen Gegenprogramme zum Great Reset« entwickeln, sagte dort Stefan Magnet, Chefredakteur des rechtsextremen österreichischen Senders Auf1 und Gastgeber des Treffens. Dementsprechend war das Treffen »A-WEF« getauft: Offiziell sollte das für »Alternative Western Ethics Forum« stehen, meistens wurde aber vom »alternativen WEF« gesprochen.

Die Teilnehmer des Treffens waren, so ist es dem von Auf1 veröffentlichen Material zu entnehmen, extreme Rechte wie die Führungsfigur der Identitären Bewegung, Martin Sellner, sowie wichtige Leute aus verwandten Milieus wie der prominente »Querdenker« Michael Ballweg, der Verschwörungstheoretiker Kayvan Soufi-Siavash, der bis 2023 als Ken Jebsen auftrat, sowie Rechtslibertäre wie der »Crash-Prophet« Markus Krall. Mit Petr Bystron (AfD) und Gerald Hauser (FPÖ) waren auch zwei rechtsextreme Europaparlamentarier zu Gast.

Bystron, »Voice of Europe« und Tschechien

Bystron hat ganz eigene Verbindungen nach Tschechien: Dem dort in den Jahren 2023 und 2024 betriebenen putinfreundlichen und inzwischen in der EU verbotenen Portal Voice of Europe haben seit Beginn der umfassenden russischen Invasion der Ukraine 2022 verschiedene rechtsextreme Politiker Interviews gegeben, darunter auch Bystron.

Im Gegenzug soll er 20.000 Euro von einem ukrainischen Geschäftsmann erhalten haben, der im Auftrag des Kreml faktisch die Geschäfte von Voice of Europe leitete – das ergaben gemeinsame Recherchen der tschechischen Tageszeitung Deník N, der ARD und der Zeit. Demnach bestätigten tschechische Parlamentarier, dass ihnen vom tschechischen Geheimdienst eine Tonaufnahme von der Geldübergabe vorgespielt worden sei.

Die Eröffnungsrede der Veranstaltung in Prag hielt der ehemalige tschechische Staats- und Ministerpräsident Václav Klaus. Er ätzte gegen den »mächtigen Genderismus«, die »grüne Ideologie« und »die Ideologie des Multikulturalismus«. Klaus unterstützte die Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie in seinem Land und gilt als Trump-Anhänger.

Der ehemalige tschechische Staats- und Ministerpräsident Václav Klaus ätzte gegen den »mächtigen Genderismus«, die »grüne Ideologie« und »die Ideoogie des Multikulturalismus«.

150.000 Euro soll das Treffen gekostet haben, schrieb Michael Meyen, Herausgeber der »Querdenken«-Postille Demokratischer Widerstand, in seinem Blog. Der Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität München nahm ebenfalls an dem Treffen teil, über das er sich begeistert äußerte.

Der österreichische Identitäre Martin Sellner schwärmte im Blog der neurechten Zeitschrift Sezession ebenfalls von der Zusammenkunft, die »völlig kontaktschuldfrei« verlaufen sei. Er berichtet über »kontroverse Gespräche mit Nius-Reportern« und die Planung »neuer Streiche« mit Michael Ballweg. »Die Kontaktschuld ist tot. Wir haben sie in Prag begraben«, bilanzierte Sellner auf X.

Ernsthafte Berührungsängste zwischen extremen Rechten und der verschwörungstheoretischen Szene hat es allerdings nie wirklich gegeben. Auf »Querdenken«-Demonstrationen und »Montagsspaziergängen« haben sich die Milieus seit jeher vermischt. Der AfD-nahe Stratege Götz Kubitschek blickte bereits 2020 mit Spannung und Wohlwollen auf die ersten großen »Querdenken«-Demonstrationen.

»Demokratischer Widerstand« und »Compact«-Magazin

Der von Meyen herausgegebene Demokra­tische Widerstand zum Beispiel arbeitet mit Jürgen Elsässers rechtsextremen Magazin Compact zusammen. Als dieses im Juli vom Bundesinnenministerium verboten wurde – das Verbot hatte nur einen Monat Bestand –, veröffentlichte der Demokratische Widerstand eine Compact-Ausgabe in der eigenen Zeitschrift.

Auch Sellners Behauptung, das rechte Nachrichtenportal Nius sei in Prag zugegen gewesen, ist nicht unplausibel, wenn auch das Portal selbst bis Anfang Januar noch keine Inhalte zu dem Prager Treffen veröffentlicht hat. Das vom ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gegründete Online-Medium hält sich von Leuten wie Sellner fern, ist aber durchaus in deren Kreisen zu Hause

Die Promi-Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, die regelmäßig bei Nius auftritt, hat sich im Dezember mit Sellner zum Gespräch getroffen, und zwar in dem von Björn Höcke hochgelobten, in der Schweiz ansässigen Internetradio Kontrafunk. Ballweg wiederum gab sein erstes Interview nach seiner jüngsten Haftentlassung dem Reichelt-Portal.

Planspiel für eine neue Pandemie

Offenbar ging es in Prag darum, die bereits bestehenden Kontakte zu vertiefen und gemeinsam Pläne zu schmieden. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang ein Planspiel, in dem eine Reihe von Teilnehmenden durchspielte, wie man auf eine hypothetische neuerliche Pandemie reagieren wolle. Wichtig sei schon jetzt ein »konstantes Aufbauen von Mithelfern«, sagte Martin Rutter, einer der führenden österreichischen »Querdenker«, »damit, wenn’s wieder heiß hergeht, wir auf diese Kräfte auch zurückgreifen können«.

Ballweg schlug vor, in diesem Szenario eine Woche nach Beginn des erwarteten Lockdowns eine Großdemo zu veranstalten, allerdings nicht in Berlin, sondern in Thüringen oder Sachsen – »weil dort die Polizeikräfte unserer Meinung nach nicht so aggressiv vorgehen wie in Berlin«.

»Die Tschechische Republik ist ein sicherer Hafen für die Anti-System-Szene aus den Nachbarländern Deutschland und Österreich«, kritisierte das tschechische Nachrichtenportal Hlídací Pes.

Der »Crash-Prophet« und Edelmetallhändler Markus Krall wollte noch weiter gehen: Man müsse »das System« gezielt überlasten, zum Beispiel durch Straßenblockaden oder »Massentelefonate« bei Behörden, um deren Kommunikation lahmzulegen. Die Versorgungssysteme anzugehen, sei hingegen problematisch: Da sei es »fast nicht möglich, innerhalb des legalen Rahmenwerks etwas zu entwickeln«, bedauerte er.

Auf1 hat dieses und andere Panels des Treffens im Nachhinein online veröffentlicht. Magnet rühmte sich, dass das A-WEF absolut transparent sei. Das tschechische Nachrichtenportal Hlídací Pes kam aber zu einer anderen Einschätzung: Das Treffen fand »im Geheimen, hinter verschlossenen Türen« statt, berichtete ein Reporter – nur freundlich gesinnte »Alternativmedien« und Youtuber hätten es in den Saal geschafft. »Die Tschechische Republik ist ein sicherer Hafen für die Anti-System-Szene aus den Nachbarländern Deutschland und Österreich«, kritisierte Hlídací Pes.