16.01.2025
Tausende versuchten, den Bundesparteitag der AfD in Riesa zu verhindern

Alice und der Kaiser

In Riesa konnte die extreme Rechte bislang nahezu ungestört auftreten. Am Wochenende kamen etwa 15.000 Menschen in die sächsische Stadt, um gegen den Parteitag der AfD zu demonstrieren. Der war auch von der Angst vor einem Parteiverbot geprägt.

Riesa gilt Experten als ein Sehnsuchtsort für Rechtsextreme. Deren Veranstaltungen konnten in der sächsischen Stadt in der Vergangenheit meist ohne Gegenwehr stattfinden. Nicht so am Wochenende. Bundesweit rief das Bündnis Widersetzen zu Protesten gegen den Bundes­parteitag der in Teilen rechtsextremen AfD in die Stadt auf – und das durchaus mit Erfolg.

Über 200 Busse aus über 70 Städten organisierte das Bündnis; etwa 15.000 Menschen kamen. Aufgrund der Vielzahl von Blockaden verzögerte sich der Beginn des Parteitags um mehr als zwei Stunden. Einzelne AfD-Funktio­näre, wie Christoph Berndt aus Brandenburg, steckten stundenlang in den Blockaden fest. Berndt veröffentlichte später auf X ein Video, das seine Motorhaube mit etlichen Stickern versehen zeigte. Auch sein Kennzeichen sei abmontiert worden, schrieb er. Der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban meinte, die Partei habe solche Blockaden in Ostdeutschland bislang nicht erlebt.

Alice Weidel übernahm in Riesa den Ausdruck »Remigration«, den sie lange vermieden hatte.

Die Polizei ging vielfach äußerst brutal gegen Demonstrant:innen vor. Ein Video auf X zeigt einen Polizisten, wie er seinen Diensthund mehrfach mit der Schnauze gegen einen Demonstranten drückt, während dieser über eine Leitplanke steigt. Andere Videos zeigen, wie der sächsische Landtagsabgeord­nete Nam Duy Nguyen (Linkspartei) von Polizisten offenbar bewusstlos geschlagen wurde, obwohl er erkennbar als parlamentarischer Beobachter zugegen war. In beiden Fällen ermittelt die Polizei inzwischen.

Währenddessen bezeichnete die ­soeben zur Kanzlerkandidatin gekürte Alice Weidel mehr schreiend als sprechend die Demonstrant:innen als »rotlackierte Nazis«. Ihre Wahl wurde mit »Alice für Deutschland«-Schildern und Sprechchören gefeiert, was stark an die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« erinnert, für deren Verwendung ihr Parteikollege Björn Höcke verurteilt wurde. Auffällig war zudem, wie häufig man sich beim Parteitag auf Musk bezog.

In ihrer Rede polemisierte Weidel außerdem gegen den Ausbau erneuerbarer Energien und Elektromobilität. Windräder bezeichnete sie als »Windmühlen der Schande«, die niedergerissen werden müssten. Der Abriss würde in Sachsen-Anhalt einen Wert von fünf Milliarden Euro vernichten und den Verlust von 70 Prozent der Energieproduktion bedeuten, wie Landtagsvizepräsident Wulf Gallert (Linkspartei) anmerkte.

Schon in ihrem Leitantrag moniert die AfD, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien von staatlichen Subventionen abhängig sei; diese braucht es allerdings ebenso für günstigen Atom-, Kohle- oder Gasstrom. Die Partei will die noch verbliebene intakte Erdgasleitung von Nord Stream 2 »so schnell wie möglich« in Betrieb nehmen, die beschädigten Stränge Nord Stream 1 und 2 reparieren lassen sowie die Saboteure ermitteln und bestrafen. Bereits im Sommer wollte die AfD dem Generalbundesanwalt 50 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt für die Aufklärung der Anschläge auf die Pipelines zur Verfügung stellen.

Streichung des Begriffs »Islamisierung« aus dem Programm

Die nach außen oft recht eindeutig wirkende Solidarität mit Russland blieb zumindest in geschichtspolitischer Sicht nicht ungebrochen: Eine Gruppe um den Hamburger Abgeordneten Krzysztof Walczak forderte, die prorussische Position der Partei dürfe nicht blind für »sowjetische Kriegsverbrechen, die brutale Vertreibung Deutscher aus ihrer Heimat im deutschen Osten sowie die Errichtung und Stützung des kommunistischen Unrechtsstaates der DDR machen«. In der Debatte über den damit verbundenen Antrag kritisierte ein Mitglied, dieser sei in seinem Fokus auf Russland unausgewogen. Ein anderer Delegierter verwies auf angloamerikanische »Kriegsverbrechen in Dresden«, womit er offenbar die Bombardierung der Stadt meinte.

Der Antrag wurde mit Nichtbefassung beschieden. Ein weiterer Antrag enthielt ein Bekenntnis zu Kaiser Wilhelm II. In der Debatte wurde noch die Ergänzung Bismarcks gefordert. Nachdem erfolglos ein Antrag auf Nichtbefassung ­gestellt wurde, kochten die Emotionen hoch. Ein sichtlich aufgebrachter Delegierter rief: »Ich glaube, ich bin hier bei den Grünen oder was?« Der ursprüng­liche Antrag wurde schließlich mit einer kleinen Anpassung angenommen: künftig bekennt sich die Partei zu Kaiser Wilhelm II. und Preußen.

Auffällig war die Streichung des Begriffs »Islamisierung« aus dem Programm. Die Forderung »Islamisierung an deutschen Schulen unterbinden« wurde abgeändert in »Einfluss des politischen Islam an deutschen Schulen konsequent unterbinden«. Der Sozialwissenschaftler Floris Biskamp vermutete auf Facebook, die Änderung könne Resultat juristischer Beratung angesichts des drohenden Parteiverbotsverfahrens sein. Allerdings wurde der Begriff »Remigration« ins Wahlprogramm aufgenommen. Selbst Weidel übernahm in Riesa plötzlich den Ausdruck, den sie lange vermieden hatte.

Debatte über das Parteiverbot

Die Debatte über das Parteiverbot dürfte auch eine Rolle in Bezug auf das künftige Schicksal der Jugendorgani­sation, der Jungen Alternative (JA), gespielt haben. Mit einer Zweidrittelmehrheit wurde der Antrag des Bundesvorstands angenommen, die Jugendorganisation enger an die Partei zu binden. Das Problem bislang war, dass die JA, die dem Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem gilt, nicht an die Partei angegliedert, sondern ein eigenständiger Verein war. Es fällt gleichwohl auf die Partei zurück, was in der JA verbrochen wird, doch sie hatte bislang wenig Möglichkeit, auf die JA einzuwirken.

Um das zu ändern, muss künftig jedes Mitglied der Jugendorganisation auch Mitglied der Partei sein. Außerdem dürfte die Angliederung an die Partei noch den Grund haben, dass die Nachwuchsorganisation somit rechtlich besser abgesichert ist und nicht so leicht verboten werden kann wie ein Verein. »Die Boomer haben der Jugend den Dolch in den Rücken gerammt«, schrieb die JA Schleswig-Holstein daraufhin auf X und bekundete, auch die neue Jugendorganisation der Partei dominieren zu wollen und den derzeitigen Kurs fortzusetzen. Der Post ist mittlerweile gelöscht.

»Die Boomer haben der Jugend den Dolch in den Rücken gerammt«, schrieb die JA Schleswig-Holstein auf X.

Es bleibt abzuwarten, ob einige enttäuschte JA-Kader sich nicht endgültig der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) zuwenden. Immerhin pflegen einige trotz des bestehenden Unvereinbarkeitsbeschlusses seitens der AfD ein enges Verhältnis zu den Identitären. Deren deutscher Ableger freute sich jüngst, allerdings zu früh, bei der bevorstehenden Bundestagswahl erstmals auf den Stimmzetteln gelistet zu sein.

Dabei handelte es sich vermutlich jedoch um den Versuch, ein Organisationsverbot unter Berufung auf das Parteienprivileg zu erschweren. Auf X verlautbarte die Gruppe, sie habe nicht das Ziel, »eine Konkurrenz für andere rechte Alternativen darzustellen«, und werde sich ­daher nicht am Wahlkampf beteiligen.

»Rechtzeitig zu einer der nächsten ­regulären Wahlen wird es weitere Informationen geben.« All das ist zunächst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hinfällig. Um einen Antrag auf Zulassung zur Bundestagswahl zu stellen, muss der von drei Mitgliedern des Vorstands unterzeichnet sein. Am Montag wurde bekannt, dass offenbar alle drei fehlen. Daraufhin verweigerte der Bundeswahlausschuss die Zulassung, den Identitären bleiben ab da vier Tage, um sich beim Bundesverfassungsgericht zu beschweren.