16.01.2025
Der Biologe Venkatraman Ramakrishnan informiert über die neueste Forschung zur Unsterblichkeit

Der diskrete Charme der Unsterblichkeit

Angetrieben von Superreichen, die wie im Fiebertraum der Unsterblichkeit nachjagen, boomt die ­Gerontologie. Der Strukturbiologe Venki Ramakrishnan hat in seinem Buch »Warum sterben wir?« den derzeitigen Stand der Forschung beleuchtet.

Woran denkt man, wenn es um Leute geht, die dem Tod ein Schnippchen schlagen wollen und dabei nicht auf Religion hoffen, sondern auf Lösungen, die wissenschaftlich daherkommen? Vielleicht an die sogenannte Kryonik, die es ermöglichen soll, den Körper oder auch nur das Gehirn direkt nach dem Tod einzufrieren, um in näherer oder fernerer Zukunft wiederauferstehen zu können. Aus wissenschaftlicher Sicht, so Venki Ramakrishnan in seinem jüngst erschienenen Buch »Warum wir sterben«, gibt es für diese Hoffnung bisher wenig Grund, und daher hat er für die Kryonik nur milden Spott übrig. Ramakrishnan ist ein Experte für die Proteinsynthese in den Ribosomen, also den Zellorganellen, die DNA-Sequenzen in Proteine übersetzen. Für seine Arbeit zur Struktur und Funktion der Ribosomen erhielt er 2009 den Nobelpreis für Chemie, zusammen mit Thomas A. Steitz und Ada Yonath.

Bei seiner wissenschaftlichen Karriere ist es kein Wunder, dass er die Frage, warum man stirbt, aus der biochemischen Perspektive betrachtet, genauer gesagt mit Blick darauf, wie in menschlichen Zellen Proteine gemäß der DNA-Information gebildet werden, oder – bei Krankheit und Tod – eben nicht. Gleich zu Beginn bezeichnet er sein Buch als »eine Art Rundumschlag durch große Teile der modernen Molekularbiologie«.

Viel zu oft posaunen sehr ehrgeizige Forscher voreilig Forschungs­ergebnisse über irgend­welche Verfahren und chemische Verbin­dun­­gen hinaus, und viel zu oft führt das zum Kurz­schluss­denken: Das ewige Leben sei nahe.

Um es klar zu sagen: Wer sich dafür nicht interessiert, sondern ausschließlich für philosophische oder psychologische Aspekte von Alterung und Tod, der wird mit diesem Buch nichts anfangen können. Wer aber ein Minimum an Interesse an Biochemie aufbringt und dafür, in welcher Klemme sich die Naturwissenschaften derzeit befinden, für den hält Ramakrishnan schon in der Einleitung zu seinem Buch einen faszinierenden Zwiespalt bereit: »Obwohl ich die explosionsartige Zunahme der Alterungsforschung, die in unserem Verständnis des Alterns zu einigen echten Durchbrüchen geführt hat, immer faszinierend fand, beunruhigt mich zunehmend der damit verbundene ungeheure Wirbel. Er hat vielfach zur Vermarktung zweifelhafter Arzneien geführt, die nur in einer höchst vagen Verbindung zu den tatsächlichen wissenschaftlichen Befunden stehen.«

Mit einer guten Portion Skepsis und Misstrauen gewappnet, durchforscht Ramakrishnan die derzeitigen Ansätze, das Altern zu bremsen oder gar rückgängig zu machen, und man erfährt eine ganze Menge über Methylierung, Stammzellen, falsch zusammengesetzte und dann nicht richtig reparierte DNA, Doppelstrangbrüche und den ganzen unwahrscheinlich feinen Tanz der ­Regelkreise, die die Produktion von Proteinen in der Zelle steuern.

Phantastisch komplex wirkende Maschine

Man kann bei der Lektüre seiner Ausführungen schon ein wenig Angst vor der Komplexität des biochemischen Apparats bekommen, an den man im Alltag keinen Gedanken verschwendet. Es ist ein wenig, als würde Ramakrishnan einen dichten Vorhang vor einem kleinen, bisher unbemerkten Gelass zur Seite schieben, um eine phantastisch komplex wirkende Maschine zu enthüllen und dann lächelnd zu erklären: »Wenn die kaputtgeht, kannst du nicht einmal mehr atmen.«

Für Ramakrishnan haben Altern und Tod einen einzigen Grund: Diese Maschine nutzt sich im Lauf der Zeit mehr und mehr ab, wie jede andere Maschine auch. Die Endkappen der Chromosomen werden kürzer, defekte Zellen, die schadhafte Proteine produzieren, werden immer schlechter erkannt und daher nicht mehr zuverlässig aussortiert, das ­Immunsystem altert und bekämpft Pathogene immer schlechter oder stürzt sich auf harmloses Gewebe, das in Ruhe gelassen werden sollte – bis die Sache irgendwann kippt. Und es ist genau die Komplexität dieser Vorgänge, die Ramakrishnan auch an Schnellschüssen und Wundermitteln zweifeln lässt.

Rapamycin ist ein pilzhemmender Wirkstoff, der zuerst aus dem auf der ­Osterinsel gefundenen Bakterium namens Streptomyces hygroscopicus gewonnen wurde und danach über mehrere Jahrzehnte hinweg eine interessante Karriere machte.

Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht hat, und weiß faszinierend davon zu erzählen, wie diese Fortschritte erzielt wurden. Ein Beispiel: Rapamycin (auch Sirolismus genannt) ist ein pilzhemmender Wirkstoff, der zuerst aus dem auf der ­Osterinsel gefundenen Bakterium namens Streptomyces hygroscopicus gewonnen wurde und danach über mehrere Jahrzehnte hinweg eine interessante Karriere machte. Es stellte sich heraus, dass Rapamycin nicht nur gegen Pilzinfektionen wirksam ist, sondern auch als Immunsuppressivum fungieren und darüber hinaus die Zellteilung beeinflussen kann, was es als Krebsmedikament interessant macht.

Noch bedeutender war aber die Entdeckung, wie Rapamycin wirkte, denn es greift in den Wirkmechanismus von mTOR ein, ein Enzym, das eine zentrale Rolle in der Pro­teinsynthese der Zelle spielt. So zen­tral, dass Ramakrishnan schreibt: »Nicht einmal die ausgezeichneten Wissenschaftler, die anfangs daran arbeiteten, hätten sich vorstellen können, dass sie später einen der ältesten und wichtigsten Stoffwechselknotenpunkte der Zelle entdecken würden.«

Rapamycin erwies sich als bedeutend für die Gerontologie, denn der Eingriff in den mTOR-Mechanismus durch Rapamycin hat erstaun­liche Folgen: Bei einem »breiten Spektrum verschiedener Organismen, von der einfachen Hefe bis zu Fliegen, Würmern und Mäusen«, stärkt er die Gesundheit und erhöht die Lebensdauer.

Immer neue Kandidaten für Wundermittel 

Rapamycin also als Wundermittel und Jungbrunnen auch für Menschen? Nicht so schnell! Denn die langfristige Anwendung von Rapamycin lässt zum Beispiel bei Krebspatienten das Infektionsrisiko steigen, was für ein Immunsuppressivum ja auch nicht erstaunlich ist. Dennoch ist Ramakrishnan berichtet worden, dass sich einige Wissenschaftler insgeheim mit Rapamycin behandeln.

Und an diesem Punkt macht Ramakrishnan auch seine Kritik an der jüngeren Gerontologie fest. Viel zu oft posaunen sehr ehrgeizige Forscher (und es sind meistens Männer) vor­eilig Forschungsergebnisse über irgendwelche Verfahren und chemische Verbindungen hinaus, und viel zu oft führt das zum Kurzschlussdenken: Das ewige Leben sei nahe.

Dass die Forschungen zu diesen Verfahren und Verbindungen heutzu­tage oft von Milliardären finanziert werden (auch hier fast durchgängig Männer), macht es nicht besser. Für ein Unsterblichkeitselixier wäre vielen schließlich kein Preis und kein Investitionsrisiko zu hoch. Ob und wann davon auch die weniger gut Betuchten profitieren könnten, ist da zunächst nachrangig. Und so werden immer neue Kandidaten für Wundermittel gefunden, wie zum Beispiel bei Metformin, einem Diabetesmedikament, das in einigen Stu­dien lebensverlängernd zu wirken schien, was spätere Untersuchungen aber wieder in Frage stellten.

Harte Grenze bei etwa 120 Jahren

Ob überhaupt noch gewaltige Sprünge bei der durchschnittlichen Lebensdauer zu erwarten sind, die über ihre Verdoppelung in den vergangenen 150 Jahren hinausgehen? Ramakrishnan ist vorsichtig. Nüchtern stellt er fest, dass es bisher eine harte, absolute Grenze bei etwa 120 Jahren gibt; Berichte über Menschen, die viel älter geworden sein sollen, hält er hauptsächlich für das Produkt von Phantasie, Betrug und fehlenden Geburtsregistereinträgen. Die durchschnittliche Lebenserwartung in den Industrieländern stieg in den vergangenen Jahren kaum noch, in den USA sinkt sie sogar wieder.

Während Ramakrishnans Kritik an der allzu eiligen milliardärsfinanzierten Halbwissenschaft und an den viel zu schnellen, viel zu optimistischen Versprechungen stimmig und pointiert ist, wirken seine Gedanken zu der Frage, ob Menschen überhaupt länger oder gar für immer leben sollten, eher halbgar. Im Grunde läuft seine Argumentation auf eine Form von Malthusianismus hinaus: Durchbrüche im Kampf gegen das Altern würden dazu führen, dass es zu viele Menschen gäbe und dass die Rentensysteme versagen würden.

Voraussagen über drohende Bevölkerungsexplosionen sind schwierig, und bei der Rente würde vielleicht eine Perspektivverschiebung helfen. Schließlich muss all das Geld, das die Milliardäre in ihre phantastischen bis aktiv menschenfeindlichen Projekte stecken, irgendwoher gekommen sein. So weit möchte Rama­krishnan nicht denken. Aber sein Buch beantwortet immerhin die Frage, die der Verlag werbewirksam auf den Umschlag drucken ließ: »Werden wir bald für immer leben?« Die Antwort lautet: eher nicht.


Buchcover

Venki Ramakrishnan: Warum wir sterben. Die neue Wissenschaft des Alterns und die Suche nach dem ewigen Leben. Aus dem amerikanischen Englisch von Sebastian Vogel. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 352 Seiten, 28 Euro