Homestory #03/2025
Nicht nur Rudi Dutschke ging einst davon aus, dass Studierende das Zeug zur Avantgarde hätten und im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft immerhin noch eine »fast zufällige Chance« bekämen, »kritische Rationalität« auszubilden. Doch blickt man auf die jüngsten studentischen Besetzungen der Berliner Universitäten – ob an solchen, um die ein Elite-Bohei gemacht, wird oder an jener, die in linken Kreisen als einigermaßen gesellschaftskritisch gilt –, kommt einem das eher wie eine Avantgarde der Unvernunft vor, geistiges Elend im Studentenmilieu par excellence.
Hier soll natürlich nicht in den Chor der Empörung eingestimmt werden, der es ganz ungeheuerlich fand, dass die Besetzer nicht zum Dialog bereit waren. Eine Besetzung will ja schließlich Druck aufbauen und muss kein Ort des konstruktiven Miteinanders sein, auch wenn es in der Stellungnahme der Leitung der Alice-Salomon-Hochschule zur Besetzung beinahe so klingt.
Das Audimax der Alice-Salomon-Hochschule wurde besetzt, weil sich die Hochschule gefälligst auch die wahrheitswidrige Rede vom Genozid in Gaza zu eigen machen soll.
Dort heißt es, man habe Zugang zum Audimax »zur Wissensaneignung, zum Austausch und zur kritischen Auseinandersetzung« gewährt. Plakate, die im Massenmord des 7. Oktober einen bahnbrechenden Befreiungskampf erblickten, oder Postkarten mit dem Spruch »Hamas habibi« könnten dieses Bild stören. Es wurde besetzt, weil sich die Hochschule gefälligst auch die wahrheitswidrige Rede vom Genozid in Gaza zu eigen machen soll.
Dabei können Besetzungen auch eine gute Sache sein, finden einige in der Redaktion ihrer Lieblingszeitung. Ein Redakteur meint: »Ich fand Besetzungen immer toll, eigentlich das Letzte, was sinnvoll ist und man machen kann – zumindest, wenn es um Wohnhäuser geht. Absichtlichen Leerstand zu besetzen, fand ich immer richtig und hab da auch hier und da mal mitgemischt.«
Ohne Besetzung keine »Jungle World«
Ein anderer hatte mit dieser radikalen Protestform schon im zarten Alter von vier Jahren Erfolg: Die Besetzung des Kinderzimmers konnte damals einen geplanten Umzug verhindern. Im Nachhinein keine so gute Idee, wie er feststellte, denn das hat »mir weitere 15 Jahre in der bayerischen Einöde eingebrockt«.
Es muss ja auch nicht immer gleich um alles gehen. Universitätsbesetzungen aus Protest gegen die Erhöhungen von Studiengebühren werden in der Redaktion als durchaus sinnvoll angesehen. Im Vergleich zu heute scheinen einem Redaktionsmitglied selbst die »Occupy Wall Street«-Proteste vernünftig.
Und dann ist da noch die erfolgreichste und vernünftigste aller Besetzungen: Denn hätte die ältere Riege der Redaktion in den neunziger Jahren nicht die Redaktionsräume der Jungen Welt besetzt, dann hielten Sie jetzt nicht 44 Seiten kritische Berichterstattung und Analyse in Sachen Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft in den Händen.