Peinlicher Amtsantritt
Binnen Minuten war der Wert des venezolanischen Oppositionskandidaten Edmundo González Urrutia um vier Fünftel gesunken. Waren zunächst 500.000 US-Dollar auf seine Ergreifung ausgeschrieben, werden auf den Plakaten, die einen Finderlohn für seine Ergreifung versprechen, inzwischen nur noch 100.000 US-Dollar in Aussicht gestellt. Anders als González angekündigt hatte, war es ihm nicht gelungen, am 10. Januar in Venezuelas Hauptstadt Caracas zu erscheinen und Nicolás Maduro die Amtseinführung streitig zu machen. González hatte geplant, sich bei einer Parallelveranstaltung ebenfalls vereidigen zu lassen.
Dafür hatte Maduros Regime Sorge getragen und alle Grenzübergänge und sogar den Luftraum abriegeln lassen. González befand sich seit dem 7. August im Exil in Spanien. Er verließ Venezuela aufgrund von Drohungen, die Maduro nach der Präsidentschaftswahl vom 28. Juli gegen ihn aussprach. Allerdings hatte González von Anfang an erklärt, zur Amtseinführung im Januar nach Venezuela zurückkehren zu wollen.
Am 7. Januar, drei Tage vor der geplanten Amtseinführung, erreichte González, der sich zu diesem Zeitpunkt auf Staatsbesuch in den USA aufhielt, die Nachricht, dass sein Schwiegersohn Rafael Tudares Bracho in Caracas auf dem Weg zur Schule seiner Kinder verschleppt worden war. Angaben der Nichtregierungsorganisation Foro Penal zufolge befindet Tudares sich in staatlicher Gewalt, sein genauer Aufenthaltsort ist allerdings unbekannt. Am selben Tag wurde auch Henrique Octavio Márquez Pérez festgenommen, der ehemalige Vizesprecher des Nationalen Wahlrats und von der Kommunistischen Partei unterstützte Präsidentschaftskandidat. Auch sein Aufenthaltsort ist unbekannt.
Anders als üblich ließ sich Maduro nicht im großen Plenarsaal der Nationalversammlung vereidigen, sondern im kleineren Ellipsensaal des Parlamentsgebäudes.
Einen Tag vor der Amtseinführung, am 9. Januar, wagte sich dann die eigentliche Oppositionsführerin, María Corina Machado Parisca, Tochter des unter Hugo Chávez enteigneten Großindustriellen Enrique Machado Zuloaga, für einen spektakulären Auftritt im Viertel Chacao in Caracas aus dem Schutz der Klandestinität. Sie war zuvor für mehrere Monate untergetaucht. Nur 20 Minuten dauerte ihr Auftritt, dann bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge und verschwand, wie sie gekommen war: mit einer Motorradkolonne. Kurz darauf gab ihre Partei, die rechte und wirtschaftsliberale Vente Venezuela, bekannt, dass sie auf ihrem Weg von der Kundgebung abgefangen und festgenommen worden war.
Wenige Stunden später meldete Machado über X ihre Freilassung. Die Opposition spekuliert über diesen insgesamt recht mysteriösen Vorfall, der möglicherweise auf Uneinigkeit innerhalb des politischen Apparats hindeuten könnte. Doch die Führungsriege Venezuelas wirkt geeint, Risse in der loyalen Haltung des Militärs gegenüber dem kleptokratischen System zeichnen sich nicht ab. Die Regierung Maduro dementierte Machados Festnahme und sprach von einer Propagandaaktion der Oppositionspolitikerin.
Angespannte Atmosphäre einer kläglichen Amtseinführungszeremonie
Am Tag der Amtseinführung war es dann recht still auf den Straßen von Caracas. Foro Penal beziffert die Anzahl politischer Gefangener, die zwischen dem 1. und 11. Januar inhaftiert worden seien, auf 75; von mindesten 27 ist der Aufenthaltsort nach wie vor unbekannt. Maduro wertete das Ausbleiben größerer Proteste am 10. Januar in seiner Antrittsrede als »Frieden« und Beweis für seinen Erfolg.
Das konnte allerdings nicht über die angespannte Atmosphäre der recht kläglichen Amtseinführungszeremonie hinwegtäuschen. Anders als üblich ließ sich Maduro nicht im großen Plenarsaal der Nationalversammlung vereidigen, dem Hemiciclo Protocolar, sondern im kleineren Ellipsensaal des Parlamentsgebäudes. Keine Stunde dauerte die Zeremonie. »Es war eine eilige Vereidigung, zu der einige der internationalen Gäste sogar zu spät kamen«, berichtete die Journalistin Florantonia Singer aus Caracas für die spanische Tageszeitung El País.
Maduro war von dem nicht als unabhängig zu bezeichnenden Tribunal Supremo de Justicia (TSJ), dem Obersten Gericht des Landes, am 23. August zum Wahlsieger erklärt worden, doch gibt es zahlreiche Hinweise auf Manipulationen und Betrug. González führte in den Umfragen und war mutmaßlich der Sieger. Der Aufforderung, die Wahlakten offenzulegen und damit das Wahlergebnis transparent zu machen, der sich sogar Maduros einstige Verbündete, die Regierungen von Brasilien, Mexiko und Kolumbien, angeschlossen hatten, war er bis zuletzt nicht nachgekommen. Und so war auch die Teilnehmerzahl internationaler Abgesandter, anders als anlässlich seiner zwei vorangegangenen Amtsantrittszeremonien, überschaubar. Lediglich aus Kuba und Nicaragua nahmen mit Miguel Díaz-Canel und Daniel Ortega Regierungsoberhäupter teil. China entsandte den Parlamentsabgeordneten Wang Dong Ming, Russland den Vorsitzenden der Duma, Wjatscheslaw Wiktorowitsch Wolodin.
»Regierung von Nicolás Maduro ist eine Diktatur«
Die erst im Oktober vereidigte mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum Pardo erkannte zwar Maduros Wahlsieg zunächst nicht offiziell an, löste aber im eigenen Land mit ihrer Entscheidung, doch einen diplomatischen Vertreter mittleren Rangs zu Maduros Amtseinführung zu entsenden, Proteste aus. Auch Kolumbiens Präsident Gustavo Petro ließ den Botschafter an der Zeremonie teilnehmen.
Dabei hatten die Regierungen beider Länder gemeinsam mit Brasiliens Präsident Lula da Silva in Aussicht gestellt, in der venezolanischen Krise zwischen der Opposition und Maduro zu vermitteln. Brasilien schickte mit der Botschafterin Glivânia Maria de Oliveira eine relativ niedrigrangige Vertreterin zur Vereidigungszeremonie.
Die diplomatischen Beziehungen zum links regierten Chile erreichten einen erneuten Tiefpunkt. Präsident Gabriel Boric bekräftigte seine Kritik an Maduros autokratischer Regierung in einer Videobotschaft: »Als ein Vertreter der politischen Linken sage ich Ihnen, dass die Regierung von Nicolás Maduro eine Diktatur ist.«
Angesichts des offenkundigen Wahlbetrugs sprechen Beobachter tatsächlich von einer Zäsur für Venezuela.
Angesichts des offenkundigen Wahlbetrugs sprechen Beobachter tatsächlich von einer Zäsur für Venezuela. Maduro ist isolierter denn je, darüber ist man sich einig, aber »vorerst hat er die volle Kontrolle über die Regierung«, bilanziert der venezolanische Journalist Boris Muñoz in El País. »Die Überbleibsel der Demokratie, die in Venezuela noch bestanden, sind verschwunden.«
Ähnlich ist die Einschätzung Singers. Maduro habe »sich der institutionellen Rechtfertigung, der Legitimität und der Unterstützung des Volkes vollständig entledigt«. Über die Opposition schreibt sie: »Der Kampf der Opposition tritt in eine neue Phase ein, in der ihre Führer inhaftiert, verschwunden, im Exil oder untergetaucht sind.«
María Corina Machado jedenfalls hat bei ihrem kurzen Auftritt die Richtung vorgegeben: »Seid euch darüber im Klaren, dass der 10. Januar nicht das Ende des Weges ist.« Maduro hingegen hatte bereits im November ein neues Gesetz verabschieden lassen, das bis zu 30 Jahre Gefängnis und den Ausschluss von öffentlichen Ämtern für 60 Jahre für diejenigen vorsieht, die sich öffentlich für internationale Sanktionen gegen Venezuela aussprechen.