23.01.2025
»The Human Fear«, das neue Album von Franz Ferdinand

Weit weg von Rockismus

Auf ihrem neuen Album »The Human Fear« widmet sich die schottische Indie-Band Franz Ferdinand dem Phänomen der Angst. Ihr Sound ist weiterhin verspielt, während die Texte ernster geworden sind.

Es ist kein Geheimnis: Gitarrenmusik hat schon einmal bessere Zeiten erlebt. Mitte der nuller Jahre war Indie-Rock noch und wieder einmal populär, eine Welle von Gitarren-Bands erreichte ein größeres Publikum. Die Subkultur wurde plötzlich zum Mainstream. »In den späten nuller Jahren gab es ein Überangebot«, erinnert sich Alex Kapranos, Sänger von Franz Ferdinand, im Interview mit der Jungle World. Die Band aus Glasgow hat damals illegale Partys geschmissen und mit ihrem nach sich selbst benannten Debütalbum 2004 die Weichen für das Revival des Indie-Rock gestellt.

Doch die Major-Labels hätten irgendwann zu wenig auf die Qualität der Bands geachtet, meint Kapranos heute. Tatsächlich flaute das Interesse an Gitarrenmusik wieder ab. »Im Vereinigten Königreich und in den USA gab es auch kritische Reaktionen, dazu zählte etwa die Poptimismus-Bewegung. Die lehnte männliche, weiße und heterosexuelle Typen mit Gitarren ab. Stattdessen umarmte und feierte sie lieber Pop-Kultur.«

Als Kapranos das erzählt, bekommt man den Eindruck, als hätte er für die Poptimismus-Vertreter:in­nen durchaus auch Verständnis gehabt. Jedenfalls sind viele Bands, die Anfang des neuen Jahrtausends beliebt waren, heute vergessen. Franz Ferdinand gibt es aber immer noch, nach längerer Pause erschien Anfang Januar mit »The Human Fear« ihr sechste Studioalbum.

Die Stimmung des Albums ist nie düster oder existentialistisch, auch wenn manche Passagen melancholisch anmuten und es mehr als einmal ums Scheitern geht.

Die Band hat also einen langen Atem. Kapranos war schon Anfang 30, als seine Gruppe den internationalen Durchbruch schaffte. Vielleicht wirkten deshalb die hedonistischen Lieder über Exzess aus der Frühphase seltsam gewitzt und clever. Franz Ferdinand gelang der Balanceakt, sich nicht zu wiederholen und trotzdem einen unvergleichlichen Sound zu entwickeln. Als Band, die Dance Music spielen wollte, haben Franz Ferdinand dafür unter anderem schon mit Alexis Taylor und Joe Goddard von Hot Chip gearbeitet. Auch der norwegische DJ Todd Terje war bereits für sie tätig.

Das neue Album hat allerdings Mark Ralph produziert, der früher etwa mit den Pet Shop Boys und Ringo Starr Musik aufnahm. Man kann erneut elektronische Elemente heraushören, in wavigen Stücken wie »The Doctor« spielt ein Synthesizer die Hauptrolle – konterkariert von den introspektiven Texten. »The Doctor« schildert einen Aufenthalt im Krankenhaus. Allerdings fühlt sich das lyrische Ich an diesem Ort nicht unwohl.

Angst ist das zentrale Thema

»In dem Song geht es um die Furcht, eine Institution zu verlassen. Das habe ich bei anderen Menschen beobachtet und auch bei mir selbst«, erzählt Kapranos. »Mein Vater war ein Dozent an der Universität. Für Wissenschaftler:innen ist es sehr hart, diese Institution zu verlassen. Sie ist ein Netzwerk, auch im sozialen Sinne. In diesem Song geht es aber vor allem darum, dass ich als Kind chronisches Asthma hatte. Ich war im Krankenhaus, hatte Panik und ging vom Schlimmsten aus. Plötzlich kümmert sich dann aber jeder um dich. Man bekommt Essen gebracht, das Zimmer wird aufgeräumt. Ich kann mich daran erinnern, dass ich vor dem Arzt irgendwann fast simuliert habe, dass ich noch immer ein wenig krank sei, um dort noch bleiben zu können.«

Franz Ferdinand, in der Mitte Sänger und Gitarrist Alex Kapranos

Franz Ferdinand, in der Mitte Sänger und Gitarrist Alex Kapranos

Bild:
Promo

Angst ist das zentrale Thema auf dem neuen Album. Kapranos, der auch Hauptsongwriter ist, ändert allerdings die Settings und Perspek­tiven. »Bar Lonely« beispielsweise spielt auf eine Bar in Tokio an und verhandelt Einsamkeit. Der Song klingt dabei unbeschwert und fast heiter, obwohl er sich einem zwischenmenschlichen Dilemma widmet. »Ich stellte mir zwei Menschen in der Bar vor, die in einer Beziehung sind, aber nicht miteinander sprechen. Sie fühlen sich völlig alleine. Es geht zudem um die Angst, eine Beziehung zu beenden. Man macht weiter, nicht weil man die Beziehung unbedingt fortführen will, sondern weil man ihr Ende, den Untergang, fürchtet.« Angst, das machen einige Lieder deutlich, hat oft auch etwas mit Freiheit zu tun. Doch die Stimmung des Albums ist nie düster oder existentialistisch, auch wenn manche Passagen melancholisch anmuten und es mehr als einmal ums Scheitern geht. Franz Ferdinand haben sich ihren verspielten Stil bewahrt, vor allem der grandiose Open­er »Audacious« hat eine humor­volle Note.

Auch stilistisch probiert die Band Neues aus. Kapranos greift etwa zur Bouzouki, einer griechischen Langhalslaute mit Doppelsaiten aus Metall. Die gibt es in Griechenland seit rund 100 Jahren, vor allem in der Zeit des Zweiten Weltkriegs prägte das Instrument den griechischen Folk. Kapranos schwärmt unter anderem von Stücken aus den siebziger Jahren, 2015 spielte er auch bei einem Tribute-Konzert für den griechischen Rembetiko-Musiker Markos Vamvakaris mit. »Ich liebe griechische Musik, und die Bouzouki spiele ich schon so lange wie die Gitarre. Es ist lediglich das erste Mal, das sie auf einer Platte von Franz Ferdinand zum Einsatz kommt. Das live umzusetzen, wird sicher knifflig. Aber wir werden das hinbekommen.«

»Black Eyelashes« ist auch rhythmisch deutlich von griechischer Musik geprägt. »In dem Lied geht es darum, wie ich meine griechische Identität finde. Ich bin das Kind eines Einwanderers«, sagt Kapranos, der in dem Song auch auf Griechisch singt. »Ich bin nicht in Griechenland aufgewachsen, mein Griechisch klingt dementsprechend anders. Ich war blond, als ich ein kleiner Junge war. Man sagte mir dort auch, dass ich nicht griechisch aussehe.« Das Stück streift das Thema Selbst- und Fremd­wahrnehmung. Es spielt mit Bildmotiven, die aus dem Rembetiko stammen, eine Art griechische Blues-Tradition mit eher düsteren Themen. Der Song fällt klangästhetisch aus dem Rahmen, nicht jeder Titel auf dem Album ist so spannend und eigenwillig geraten. Viele Arrangements kommen einem vertraut vor.

Einige Momente klingen nach den Beatles

Allerdings beherrschen Franz Ferdinand das stilvolle Spiel mit melodischen Zitaten sehr gut. Einige Momente klingen nach den Beatles, andere Klänge erinnern an eher zeitgenössische Popmusik. »The Human Fear« ist ein sehr abwechslungsreiches und unterhaltsames Album mit den bisher vielleicht persönlichsten Texten von Kapranos. Von Rockismus ist seine Band zum Glück weiterhin weit entfernt.

Angst vor musikalischer Wiederholung oder vor dem oft antizipierten Ende der Gitarrenmusik hat Kapranos nicht: »Es gibt nur zwölf Töne in der Musik. Trotzdem wäre es doch absurd, zu behaupten, dass keine neue Melodie mehr entstehen könnte. Es existiert auch nur eine bestimmte Anzahl von Farben in einem Farbkreis und dennoch entstehen immer wieder neue Bilder. Die Töne, die Gitarre, die Farben, bestimmte Techniken, das sind nur Werkzeuge. Es sind Materialien, mit denen man arbeitet. Die wahren Quellen von Krea­tivität sind deine Einbildungskraft, dein Charakter, deine Seele, deine Erfahrungen und Wahrnehmungen. Und selbstverständlich ist niemand ein wahrhaftiges Ori­ginal: Wir alle haben schon etwas aufgesaugt und sind von der Welt geprägt sowie inspiriert.«

Franz Ferdinand, in der Mitte Sänger und Gitarrist Alex Kapranos

Franz Ferdinand, in der Mitte Sänger und Gitarrist Alex Kapranos

Bild:
Oliver Matich

Dass Kapranos Komposition mit Malerei vergleicht, erinnert daran, dass Kunst bei Franz Ferdinand schon immer eine Rolle gespielt hat. In dem 2005 erschienenem Musikvideo von »Do You Want To« crasht die Band zum Beispiel eine Vernissage, in der unter anderem ein Pissoir ausgestellt wird, das an jenes von Marcel Duchamp erinnert und später mit dem Songtitel bekritzelt wird. Franz Ferdinand stören hier ein als elitär gezeichnetes Publikum, am Ende aber tanzen doch alle zu ihrer Musik. Gegenkultur, die auf einmal fast zu vielen Menschen gefällt: Das hatte die Band schon früh auf dem Schirm.

Das Albumcover von »The Human Fear« variiert das Selbstporträt »7 Twists« der ungarischen Neo­avantgardistin Dóra Maurer. Während das Original mehrfach die Hände und das Gesicht der Malerin zeigt, erkennt man in der Bildversion von Franz Ferdinand ein soziales System.

Heutzutage beschäftigen Kapranos andere Themen, doch Kunst bleibt eine wichtige Inspiration. Der Musiker kann Bands nicht verstehen, die sich keine Gedanken über ihr Artwork machen. Das Albumcover von »The Human Fear« variiert das Selbstporträt »7 Twists« der ungarischen Künstlerin Dóra Maurer, einer berühmten Vertreterin der Neo­avantgarde. Während das Original mehrfach die Hände und das Gesicht der Malerin zeigt, erkennt man in der Bildversion von Franz Ferdinand ein soziales System. Alle fünf Bandmitglieder halten sich sozusagen aneinander fest. »Das gehört zur Dynamik einer Band: Wäre es eine Hand weniger, würde das ganze Gerüst zusammenbrechen!«

Dabei hat sich die Besetzung von Franz Ferdinand in den vergangenen Jahren verändert. »The Human Fear« ist das erste Album der Band, auf dem die Schlagzeugerin Audrey Tait und der Gitarrist Dino Bardot in sämtlichen Songs zu hören sind. Alles ist im Fluss, nur eine musikalische Solokarriere hat Kapranos wohl nie in Betracht gezogen. Vermutlich wäre seine Angst einfach zu groß, sich von dieser Band zu trennen.


Albumcover

Franz Ferdinand: The Human Fear ­(Domino)