Reflexion auf die Grenze der Politik
Georg Seeßlen hat in der Taz ausgesprochen, was andere Linke nicht einmal zu formulieren im Stande sind: In Zeiten »massiven Kulturabbaus« hätte man den »Kulturkampf« gegen »Polemik und Hetze«, kurz: gegen rechts zu führen. Damit hat Seeßlen nur etwas kämpferischer ausgedrückt, was Claudia Roth, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, in harmonisierender Absicht längst verlautbart hatte, als sie »Kultur ist der Kitt« zum Mantra erhob, um für grundsätzliches Einverständnis zum »Staat für alle« zu werben. Nicht viel anders denken es sich auch die Wiener Demonstranten, die nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos die Donnerstagsdemonstrationen aus den nuller Jahren reaktivierten. Man nimmt voller Sorge an, dass »die Gesellschaft nach rechts« rücke.
So wenig wie das Fehlen eines negativ bestimmten Begriffs von Gesellschaft, Staat, politischer Ökonomie und Souveränismus diesen Demonstranten zum Problem gereicht, so sehr glauben sie immer schon zu wissen, wohin es Österreich nun treibe. Ausreichend ist ihnen der bloße Hinweis, dass es bislang noch keinen FPÖ-Bundeskanzler gab.
Der Rahmen österreichischer Außenpolitik durch das über alle Parteigrenzen hinweg beliebte »Neutralitätsgebot« war immer schon, sich selbst Handfesseln anzulegen, weshalb von dieser keine Gefahr für irgendjemand droht.
Von Herbert Kickl, dem selbsternannten »Volkskanzler«, ist zudem vor allem eines in Erinnerung geblieben: dass er in seiner Funktion als Innenminister das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung inkriminierte. Dass ihm in der Funktion als Bundeskanzler solche Handlungsspielraum nicht mehr gegeben sein dürfte, weil andernfalls die mögliche Koalition aus FPÖ und ÖVP wohl daran zerbräche, kommt niemandem in den Sinn. Denn das – entgegen allem Aktivismus – würde bedeuten, auf Politik zu reflektieren, statt Politik qua Begriffen zu machen.
Fernab solcher eher langweiligen Fragen gälte es allerdings, ernsthaft nach den Konsequenzen zu fragen, die eine FPÖ-Regierung bedeutet. Und hier wäre zwingend zu berücksichtigen, dass der Rahmen österreichischer Außenpolitik durch das über alle Parteigrenzen hinweg beliebte »Neutralitätsgebot« immer schon war, sich selbst Handfesseln anzulegen, weshalb von dieser keine Gefahr für irgendjemand droht.
Die »Verbindungen nach Russland« mögen bei der FPÖ bestehen, über diese dürfte aber nahezu jeder mittelmäßige Politiker in Europa verfügen – wenngleich er sie im Gegensatz zur FPÖ anders gewichten mag –, und solange nicht geklärt ist, was daraus konkret folgt, handelt es sich in aller Regel um einen moralisierenden und politisierenden Kontaktschuldvorwurf.
Die FPÖ und die European Sky Shield Initiative
Die Frage wäre grundsätzlich schon anders zu stellen und könnte lauten, ob eine FPÖ-Regierung Russland irgendwie dazu befähigen könnte, einen kriegsentscheidenden Vorteil zu gewinnen. (Kann sie nicht.) Tatsächlicher Gradmesser für eine russisch-österreichische Freundschaft unter einem FPÖ-Kanzler könnte sein, ob Kickl das Versprechen wahr werden lässt, die von der ÖVP lancierte European Sky Shield Initiative (ein 2022 begonnene Initiative, um die europäische Luftabwehr zu verbessern) aufzukündigen, der Österreich mit einem gewissen Vorbehalt überraschend beigetreten war.
Allerdings hat Österreich bislang nur eine Absichtserklärung unter ausdrücklicher Wahrung des »Neutralitätsgebots« unterzeichnet und könnte somit jederzeit diese Erklärung widerrufen, die bislang für Österreich ohnehin nur vorsieht, gemeinsam mit europäischen Nachbarn Rabatte auf Sammelbestellungen von Rüstungsgütern geltend machen zu können.
Dass es sich hier also, wie Kickl vermutete, um einen »Nato-Beitritt durch die Hintertür« handele, ist maximal übertrieben und kommt einer Selbstüberschätzung österreichischer Politik gleich. Die ÖVP scheint Kickl vielmehr schon ein Angebot für eine gesichtswahrende Lösung anzubieten: Mit dem Kauf von bodengebundenen Luftabwehrraketen ließe sich vorgeben, Sicherheitspolitik zu betreiben.
Sozialkürzungen auch mit den Neos
Hingegen könnte unter der FPÖ Österreich, wenn es sich etwa Ungarn zum Vorbild nähme, womöglich bei UN-Resolutionen künftig im Sinne Israels abstimmen, was einen Kurs fortsetzen würde, der unter Sebastian Kurz und Karl Nehammer schon eingeschlagen wurde, wenngleich aus diesen Resolutionen nichts weiter abzuleiten ist, worüber man sich in Österreich wieder geradezu glücklich zeigen dürfte.
Die von der FPÖ in Aussicht gestellten Sozialkürzungen, die nun viele in Sorge versetzen, wären dagegen so ähnlich auch von den Neos vorgeschlagen worden – wenngleich mit völlig anderer ideologischer Schlagseite, was die ganz konkrete Auswirkung für Flüchtlinge, Frauenhäuser und den öffentlichen Rundfunk usw. betrifft. Zudem haben FPÖ und ÖVP sich darauf verständigen können, ein drohendes Defizitverfahren der EU durch ein Haushaltssparpaket abzuwenden, was den EU-feindlichen Kurs der FPÖ noch vor einem möglichen Amtsantritt mindestens hemmt. Ohnehin ist – und bleibt – Österreich in enormem Umfang von EU-Subventionen abhängig.
Eine jede Politik hat ihre Grenze, die in dem Maße wie auch die Souveränität eines Nationalstaats nicht allein auf sich selbst beruht, sondern eben auf etwas gründet, was auch außer ihr liegt: der Kapitalsouveränität. Diese Grenze beständig zu verdrängen, darin besteht die Voraussetzung für jegliche Politik sowie jeden linken Aktivismus – zumal in Österreich, wo beides schon immer die Karikatur der Karikatur ist.