06.02.2025
Fans befürchten Verschärfungen der Sicherheits- und Kontrollpraxis bei Fußballspielen

Hochrisikourteil zu Polizeikosten

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen sich Vereine an den Kosten für Polizeieinsätze beteiligen. Es bleiben viele Fragen.

Die Entscheidung sorgte für Aufregung. Mitte Januar urteilte das Bundesverfassungsgericht, die Beteiligung von Fußballvereinen an Polizeikosten bei sogenannten Hochrisikospielen sei rechtens, und beendete damit einen über zehn Jahre andauernden Rechtsstreit. Dieser schwelte schon seit 2014, als das Bundesland Bremen re­spektive dessen sozialdemokratischer Innensenator Ulrich Mäurer ankündigte, den Veranstaltern von »gewinn­orientierten und erfahrungsgemäß gewaltgeneigten« Großevents zukünftig Kosten für den polizeilichen Mehraufwand in Rechnung zu stellen.

Einige Monate später fand diese Entscheidung erstmals bei einem Fußballspiel Anwendung. Für das Bundesliga-Derby zwischen dem heimischen SV Werder und dem Hamburger SV berechnete die Bremer Polizei der Deutschen Fußball-Liga (DFL), dem Zusammenschluss aller 36 Vereine der beiden Bundesligen, Kosten in Höhe von 425.000 Euro.

Die DFL befürchtete, dass dieser Fall Schule machen könnte, und legte Widerspruch gegen den Gebührenbescheid ein, so dass sich in den Folgejahren sowohl das Oberverwaltungsgericht Bremen als auch das Bundesverwaltungsgericht Leipzig mit der Angelegenheit beschäftigten und jeweils im Sinne des Landes Bremen urteilten. Im April eröffnete die höchste Instanz, das Bundes­verfassungsgericht, das Verfahren und sorgte nun für die abschließende Rechtsprechung – und reichlich Aufsehen im Fußballgeschäft.

»Auch das Münchner Oktoberfest, der Kölner Karneval und die Silvesterpartys am Brandenburger Tor müssen den Veranstaltern in Rechnung gestellt werden. Ob wir als Gesellschaft das allerdings wollen, darf bezweifelt werden.« Thomas Kessen, Sprecher des Fan-Bündnisses »Unsere Kurve«

Der Deutsche Fußballbund (DFB) bedauerte das Urteil in einer Stellungnahme und kündigte an, die Begründung zu prüfen. Auch Vertreter der DFL zeigten sich enttäuscht. Deutlicher wurde die Fanorganisation »Unsere Kurve«. Es stehe zu befürchten, dass die Entscheidung des in Karlsruhe ansässigen Gerichts »der staatlichen Ordnung der Bundes­republik Deutschland langfristig schweren Schaden« zufüge, heißt es in einer Erklärung. Denn »die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung« sei »eine Kernauf­gabe des Staates«.

So oder so, juristisch ist der Fall nun abgeschlossen und die Vereine der Bundesliga und Zweiten Bundesliga können nun zur Kasse gebeten werden. Zwar kündigten einige Bundesländer, so etwa Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen, an, auch weiterhin auf entsprechende Gebührenbescheide zu verzichten.

Angesichts klammer Haushaltskassen dürften diese Versprechungen aber nicht für alle Zeit gültig bleiben. Bremens Innensenator Mäurer, der seit 2014 Kostenbescheide in einer Gesamthöhe von 2 Millionen Euro ausgestellt hat, warb bereits für eine Fonds-Lösung; die entstehenden Kosten sollen unter den 36 Lizenzvereinen gerecht verteilt werden. Davon würden insbesondere kleinere Vereine profitieren.

Denn während für die großen Profiklubs die Mehrkosten relativ überschaubar ausfallen werden, dürfte andernorts die bloße Angst umgehen. Denn anders als kolportiert wird, betrifft das Urteil nicht nur DFL-Vereine; die Beteiligungspflicht orientiert sich an der Zuschauerzahl: Das Bundesverfassungsgericht zog die Grenze bei 5.000 Zuschauern. In der Regionalliga Nordost etwa treten zahlreiche Traditionsvereine mit großem Fanaufkommen an – als solche deklarierte Risikospiele sind hier an der Tagesordnung; des Öfteren ziehen sie über 5.000 Zuschauer an. Die ohnehin auf Kante genähten Etats der Viertligisten werden kaum dafür ausreichen, zusätzlich noch Polizeieinsätze zu bezahlen.

Ausschluss von Gästefans, Repressionen gegen aktive Fanszenen, Ausbau von Überwachungsinfrastruktur

Wohl nicht zu Unrecht befürchten viele Fans, das Urteil könne eine weitere Verschärfung der Sicherheits- und Kontrollpraxis im Umfeld von Fußballspielen nach sich ziehen. Um die externen Kosten möglichst gering zu halten, dürfte den Vereinen daran gelegen sein, etwaige Unruhen von vornherein auszuschließen. Ausschluss von Gästefans, Stadionverbote, Repressionen gegen und Einflussnahme auf die aktiven Fanszenen sowie der Ausbau von Überwachungsinfrastruktur im Stadion sind nur einige der möglichen Folgen.

Das gespannte Verhältnis zwischen Polizei und Fans dürfte all das nicht verbessern. Dabei wäre genau das angezeigt. Denn der Subtext des Karlsruher Urteils weist in die falsche Richtung. Es braucht nicht mehr, sondern weniger Polizei bei Fußballspielen. Laut der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) wurden in der Saison 2022/2023 lediglich 442 Strafverfahren im Kontext von Spielen der 1. Bundesliga eingeleitet – bei einer Gesamtbesucherzahl von annähernd zwölf Millionen Menschen.

An einigen Standorten wurde im Rahmen sogenannter Stadionallianzen – das Wort steht für die organisatorische Zusammenarbeit unter anderem von Vereinen, Fansozial­arbeit und Ordnungsbehörden – damit experimentiert, zurückhaltender zu agieren und weniger Polizeikräfte einzusetzen. Diese Versuche waren zumeist von Erfolg gekrönt.

»Wer bezahlt, bestimmt: Bullen raus aus den Stadien!«

So könnte man behaupten, dass die Polizei sich ihre Gefährdungs­lage – und das heißt für den Fußball ihre Daseinsberechtigung – oftmals selbst schafft. Dass die Polizei auch weiterhin diejenige Instanz ist, die über das notwendige Aufgebot bei Fußballspielen entscheidet, erscheint paradox. Denn, so ließe sich munkeln, so könnte die eine oder andere Rechnung an die DFL ja nicht allein aus sicherheitstechnischen Abwägungen, sondern auch aufgrund finanzieller Engpässe im Polizeiapparat motiviert sein. Wäre da nicht eine Lösung sinniger, wie sie per Spruchband von Ultras der Frankfurter Eintracht als Reaktion auf das Karlsruher Urteil vorgeschlagen wurde – etwas grobschlächtig, wohlgemerkt? »Wer bezahlt, bestimmt: Bullen raus aus den Stadien!«

Es schließt sich die Frage an, welche Kreise der Entscheid des Verfassungsgerichts wohl ziehen wird. Denn, wie einige Kritiker bereits kommentierten, das für den Fußball nun festgelegte Verfahren müsste dem allgemein gehaltenen Urteil zufolge auch auf andere Großveranstaltungen angewendet werden, die statistisch gesehen zum Teil durchaus gewalttätiger verlaufen.

»Auch das Münchner Oktoberfest, der Kölner Karneval und die Silvesterpartys am Brandenburger Tor müssen den Veranstaltern in Rechnung gestellt werden. Ob wir als Gesellschaft das allerdings wollen, darf bezweifelt werden«, sagt Thomas Kessen, Sprecher des Fan-Bündnisses »Unsere Kurve«. Auch linke Aktivisten und Aktivistinnen könnten sich fragen, ob nach der Anmeldung großer Gipfelproteste, der traditionellen 1.-Mai-Demonstrationen oder bei entsprechend diagnostizierter Gefährdungslage auch des antirassistischen Straßenfests in der Kleinstadt bald eine Rechnung der Polizei ins Haus flattert.

DFL-Gesamtumsatz von rund fünf Milliarden Euro

Dabei ist der grundsätzliche Gedanke, das milliardenschwere Fußball-Business stärker zur Kasse zu bitten, ja vielleicht gar nicht verkehrt. Schließlich sollten Kosten in Höhe eines eher geringen zwei­stelligen Millionenbetrags, von dem derzeit die Rede ist, bei einem Gesamtumsatz von rund fünf Milliarden Euro, den die DFL jährlich verzeichnet, insgesamt kaum ins Gewicht fallen.

90 Prozent der Befragten haben sich in einer vom WDR beauftragten Umfrage für die Beteiligung der Vereine an den Polizeikosten ausgesprochen. Gewalttätige Vorfälle im Fußball sind allerdings eine gesellschaftliche Erscheinung – und ­deshalb in erster Linie ein Thema der sozialen Arbeit. Die Sache auf die polizeiliche Intervention und deren Finanzierung zu schieben, zeitigt eher negative Folgen und beschneidet die Finanzmacht der Investoren in keiner Weise.

Das könnte einzig eine Demokratisierung der Vereine: die Beteiligung von Mitgliedern und Fans an Entscheidungsprozessen und eine nach sozialen Kriterien ­organisierte Rückführung der Profite, so denn welche anfallen, in die ­Gesellschaft. Das wäre sicherlich gerechter als eine privatwirtschaftliche Finanzierung ausgerechnet der Polizei.