06.02.2025
Die deutsche Migrationsdebatte offenbart den rücksichtslosen Nationalismus auch der sogenannten Mitte

Gute Nachbarn

Dem »Volk der guten Nachbarn« ist der Rest der Welt ziemlich egal, Hauptsache »Deutschland zuerst«.

Zu den Lebenslügen der bürgerlichen Gesellschaft gehört die Behauptung, es gebe eine strikte Trennung von Nationalismus und Patriotismus. Gern zitiert wird als Kronzeuge der damalige Bundespräsident Johannes Rau, der 1999 sagte: »Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, in Europa und in der Welt.«

Frei übersetzt: Patriotische Bürger:innen sollen sich dem Konkurrenzkampf der Nationen verschreiben, den Vorteil ihres Vaterlands also auf Kosten anderer Vaterländer suchen, aber berücksichtigen, dass diese ebenfalls legitime Interessen haben.

Die Behauptung, man wolle Fluchtursachen bekämpfen, war meist eine wohlfeile Phrase. Wenn sie nicht einmal mehr bemüht wird, ist das ein schlechtes Zeichen.

Selbst diesem bescheidenen Anspruch wird die »Mitte« in Deutschland nicht mehr gerecht, wie die migrationspolitische Bundestagsdebatte bewies. Glaubt man, einen Gewalttäter in der Wohnung oder vor der Tür zu haben, schiebt man ihn ja nicht einfach zum Nachbarn hinüber.

Ein »Volk der guten Nachbarn« würde sich also Gedanken darüber machen, was eigentlich aus den vermeintlich oder tatsächlich gefährlichen Personen werden soll, die man loswerden oder gar nicht erst hereinlassen möchte. Doch herrscht Konsens darüber, dass mit der Abschiebung oder Zurückweisung an der Grenze das Problem gelöst wäre; allenfalls wird thematisiert, ob die Abschottungspläne mit dem EU-Recht vereinbar sind und womöglich Gegenmaßnahmen drohen.

Da überrascht es nicht, dass man auch am Rest der Welt wenig Interesse zeigt. So hätte man, um eine sachdien­liche Flüchtlingspolitik wenigstens zu simulieren, über Wiederaufbauhilfe für Syrien sprechen können.

»Fluchtursachen bekämpfen«? Nur wenn es gegen die USA geht 

Doch in den Plenarprotokollen für Mittwoch (Abstimmung über den Fünfpunkteplan der Union) und Freitag (Abstimmung über das »Zustrombegrenzungsgesetz«) voriger Woche gibt es nur einen Treffer für das Stichwort »Fluchtursachen« – weil Sahra Wagenknecht im Fünfpunkteplan der Union eine Schuldzuweisung vermisst: »Über Fluchtursachen zu reden und die Kriege der USA in Afghanistan, im Irak und in Libyen noch nicht einmal zu benennen, das ist doch wirklich peinlich.«

Der Fünfpunkteplan benennt die Politik Wladimir Putins als Hauptursache der »­Migrationskrise« und fährt fort, es sei nun »die Pflicht (…) der Bundesregierung, nationales Recht vorrangig anzuwenden«. Die Behauptung, man wolle Fluchtursachen bekämpfen, war meist eine wohlfeile Phrase. Wenn sie nicht einmal mehr bemüht wird, ist das ein schlechtes Zeichen. Das noch unausgesprochene Motto lautet »Deutschland zuerst«.