06.02.2025
Die von Ruanda unterstützte Tutsi-Miliz M23 hat die Millionenstadt Goma im Ostkongo eingenommen

Die Grenzen des Kongo

Mit der Eroberung der Millionenstadt Goma im äußersten Osten der Demokratischen Republik Kongo durch die Rebellengruppe M23 ist das von Diplomaten aus aller Welt beschworene Konzept der »afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme« gescheitert.

In der vorigen Woche hat die von Ruanda unterstützte Rebellengruppe Bewegung 23. März (M23, Mouvement du 23 Mars) die kongolesische Großstadt Goma erobert. Damit erreicht der seit 2021 andauernde bewaffnete Konflikt im Osten der Demokratischen Repu­blik Kongo zwischen dem M23 und dessen ruandischen Verbündeten auf der einen Seite und der kongolesischen Armee FARDC mit ihren diversen lokalen und internationalen Unterstützern auf der anderen einen neuen Höhepunkt.

Goma, die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu, hat allein im Januar 400.000 Binnenvertriebene aufgenommen – zusätzlich zu den 600.000, die seit 2021 vor den Kämpfen in die Provinzhauptstadt geflüchtet waren. Inzwischen leben dort schätzungsweise zwei Millionen Menschen.

Fraglich ist, wie Ruanda und der M23 nun, nach ihrem Sieg, agieren werden. Militärisch haben sie alle Karten in der Hand, während das gegnerische Lager in Auflösung begriffen ist.

Mit der Einnahme von Goma kommen diese Fluchtbewegungen vorerst zum Stillstand, denn es gibt für die Geflüchteten keinen Ausweg mehr: Goma ist für sie eine Sackgasse. Im Süden liegt der Kivu-See, im Osten die Landesgrenze zu Ruanda, die Gebiete im Norden und Westen befinden sich unter Kontrolle des M23.

Immerhin dürfte der eindeutige militärische Sieg des M23 dazu führen, dass diejenigen Vertriebenen, die eher vor den Kämpfen als vor der Herrschaft des M23 flohen, in ihre Dörfer und Gehöfte zurückkehren. Am Dienstag trat ein vom M23 aus humanitären Gründen verkündeter Waffenstillstand in Kraft. Die kongolesische Armee in Nord-Kivu hat sich faktisch aufgelöst. Die örtlichen Befehlshaber setzten sich durch das letzte verbliebene Nadelöhr ab, die wenigen Schiffsverbindungen über den See in die Nachbarprovinz Süd-Kivu.

Unklar ist, wie Ruanda und der M23 nun, nach ihrem Sieg, agieren werden. Militärisch haben sie alle Karten in der Hand, während das gegnerische Lager in Auflösung begriffen ist. Sogar die Eroberung der Nachbarprovinz Süd-Kivu liegt im Bereich des militärisch Erreichbaren. Dann würde die gesamte Landgrenze nach Ruanda von einer mit dessen Regierung befreundeten Rebellengruppe kontrolliert werden.

Hutu-Nationalisten hatten in Ruanda 1994 bis zu einer Million Menschen ermordet

Das ruandische Regime sieht die in Kivu ansässigen ruandischsprachigen Tutsi-Gruppen seit langem von den FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung von Ruanda) bedroht, einer bewaffneten Gruppe, die auf das Genozidregime in Ruanda zurückgeht. Die FDLR rekrutieren sich vorwiegend aus den Reihen der Hutu-Nationalisten, die in Ruanda 1994 zusammen mit ihren Helfershelfern bis zu einer Million Menschen – vornehmlich Tutsi – getötet hatten.

Viele von ihnen flohen in den Kongo, nachdem es im Juni 1994 der vorrangig aus Exil-Tutsi bestehenden Rebellenarmee Ruandische Patriotische Front (RPF), der heutigen Regierungspartei in Ruanda, gelungen war, das Regime zu stürzen. Die FDLR unschädlich zu machen, gehört zu den offiziellen Kriegszielen des M23. Darüber hinaus wirft Ruanda der kongolesischen Regierung vor, die Tutsi im Kongo zu diskriminieren.

Der M23 finanziert sich zum Teil durch den Coltanabbau in den von ihr besetzen Gebieten in Nord-Kivu. Dort liegen die weltweit größten Vorkommen der Mineralgruppe, die vor allem in der Elektronikindustrie gebraucht wird. Rubaya, ein Städtchen in Nord-Kivu mit umfangreichem Coltanbergbau, bringe dem M23 jeden Monat 300.000 US-Dollar ein, sagte Bintou Keita, die Leiterin der UN-Stabilisierungsmission Monusco im September 2024. Verteilt auf schätzungsweise etwa 8.000 Kämpfern ist das zwar nicht viel, zusammen mit Wegzöllen und anderen Abgaben, die der M23 von Bauern und Händlern in der Region erhebt, dürfte es für die Eigenfinanzierung der bewaffneten Gruppe aber ausreichen.

Internationale Reaktionen schwer abzusehen

Der M23 ist die dominante Kraft des Rebellenbündnisses Alliance Fleuve Congo (AFC), welches zum Umsturz im gesamten Land aufruft. Doch die bislang eroberten Gebiete umfassen im Vergleich zur Landesgröße nur einen winzigen, wenn auch dicht besiedelten Teil des Kongo. Dass der M23 unmittelbar auf weitere militärische Expansion über die Kivu-Provinzen hinaus abzielt, scheint unwahrscheinlich.

Von 1998 bis 2003 hatte, im Zuge des zweiten Kongo-Kriegs, bereits einmal eine von Ruanda gestützte Rebellengruppe ein Drittel des Kongo besetzt, war aber überfordert mit der Verwaltung des riesigen Gebiets und lokaler Gegenwehr. Eher könnten Ruanda und der M23 zunächst die internationalen Reaktionen auf ihren Vorstoß abwarten und sich darauf konzentrieren, eine Regruppierung der FDLR und verbündeter lokaler sogenannter Wazalendo-Milizen in den schwer zugänglichen Berglandschaften des Kivu, so gut es geht, zu unterbinden.

Wie die internationalen Reaktionen aussehen könnten, ist schwer abzusehen. Es gibt eine Eingreiftruppe der Regionalorganisation SADC (Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas), der Soldaten aus Tansania, Malawi und vor allem Südafrika angehören, die eigentlich der kongolesischen Armee helfen sollte, den M23 zu bezwingen. Sie hat sich in ihren Stützpunkten in Goma verschanzt und ist dem guten Willen der Rebellen ausgeliefert.

Ende von Südafrika als einer regionalen Macht?

»Das ist das Ende von Südafrika als einer regionalen Macht für mindestens die nächste Dekade«, sagte der Militärexperte Darren Olivier der liberalen südafrikanischen Wochenzeitung Daily Maverick. Die Misswirtschaft in Südafrika – weite Teile der wichtigsten öffentlichen Unternehmen wurden durch Korruption ruiniert – hat auch die südafrikanische Armee nicht unberührt gelassen, die mangels Ausrüstung und Planung dem M23 wenig entgegenzusetzen hatte.

Als ähnlich wirkungslos erweist sich wie bereits in den vergangenen Jahren die Stabilisierungsmission Monusco der Vereinten Nationen, die im Zuge des zweiten Kongo-Kriegs 1999 ins Leben gerufen wurde. Obwohl sie über eine Interventionsbrigade von 3.000 Soldaten mit einem robusten Mandat verfügt, blieb sie im dem gegenwärtigen Konflikt weitgehend passiv. Überhaupt steht der Verbleib von Monusco in Nord-Kivu in Frage – aus Süd-Kivu hat die Interventionsbrigade, ohnehin in Abwicklung begriffen, ihre Truppen bereits abgezogen. Zumal das Hauptquartier in Goma, von wo aus die derzeit etwa 10.000 Blauhelme im gesamten Ostkongo dirigiert wurden, nunmehr mitten im Rebellenland liegt.

Nicht nur der militärische Einsatz ist gescheitert, auch die afrikanische Diplomatie steht vor einem Scherbenhaufen: Weder die SADC noch die oft in Konkurrenz zu ihr arbeitende Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), haben es in den vergangenen Jahren vermocht, tragfähige nichtmilitärische Konfliktlösungen zu vermitteln. Die ostafrikanischen Nachbarländer in der EAC haben die kongolesische Regierung zuletzt aufgefordert, direkt mit dem M23 zu verhandeln. Kongos Präsident Félix Tshisekedi hatte dies bislang verweigert, mit Verweis auf Ruanda, das der eigentliche Kriegsgegner sei. Am Montag bestätigten nun sowohl Tshisekedi als auch der ruandische Präsident Paul Kagame, an einem fürs Wochenende angesetzten gemeinsamen Sondergipfel von SADC und EAC in Tansania teilzunehmen.

Das einzige Land, das großen Einfluss sowohl auf den Kongo als auch Ruanda hat, sind die USA. Als der M23 vor zwölf Jahren schon einmal kurzzeitig Goma besetzt hatte, war es der Druck der USA auf Ruanda, der zu einem Rückzug des M23 führte. 

Die Europäische Union steht derweil in engen Beziehungen mit Ruanda, das ein bevorzugter Partner in der Entwicklungszusammenarbeit ist. Im Norden Mosambiks kämpfen ruandische Truppen, finanziert von der EU, gegen islamistische Rebellen. Dort würde der französische Energiekonzern Total Energies gerne Gasvorkommen ausbeuten.

Nun stellen zumindest manche europäischen Politiker eine im Februar 2024 verabredete enge Zusammenarbeit mit Ruanda beim Rohstoffhandel in Frage. Bereits damals war klar, dass große Teile der angeblich ruandischen Bodenschätze eigentlich aus den vom M23 kontrollierten Gebieten im Kongo kommen. Die deutsche Bundesregierung hat anstehende Regierungskonsultationen mit Ruanda inzwischen abgesagt.

Das einzige Land, das großen Einfluss sowohl auf den Kongo als auch Ruanda hat, sind jedoch die USA. Als der M23 vor zwölf Jahren schon einmal kurzzeitig Goma besetzt hatte, war es der Druck der USA auf Ruanda, der zu einem Rückzug des M23 führte. Der nun frisch ins Amt gekommene US-Außenminister Marco Rubio telefonierte sowohl mit Tshisekedi als auch mit Kagame. Einem Sprecher zufolge verlangte er einen Waffenstillstand und, ohne Ruandas Verstoß gegen das internationale Recht zu benennen, dass »alle Parteien die souveräne territoriale Integrität respektieren«.