13.02.2025
Die von einem flämischen Nationalisten geführte neue belgische Regierung hat ein stramm rechtes Programm

Gegen Arbeitslose und Migranten

Die neue belgische Regierung wird von einem flämischen Nationalisten geführt und hat sich ein rechtes Programm gegeben. Mit dabei ist auch die flämische Sozialdemokratie.

»Nicht revolutionär, sondern evolutionär« sollen die Veränderungen sein, die die neue belgische Regierung unter der Leitung des künftigen Ministerpräsidenten Bart De Wever von der flämisch-nationalistischen Partei Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) in die Wege leiten will. So steht es jedenfalls in der rund 200 Seiten umfassenden Regierungsvereinbarung, die sich die neue Koalition nach 236 Verhandlungstagen Ende Januar gegeben hat. Am Freitag voriger Woche gewannen De Wever und sein Kabinett die Vertrauensabstimmung im Parlament.

Beteiligt sind fünf Parteien: Neben der N-VA, die bei der Wahl 24 der 150 Sitze gewann, sind das die französischsprachigen Liberalen von Mouvement Réformateur (MR, 20 Sitze), die Mitte-rechts-Partei Les Engagés (LE, 14 Sitze), die flämische konservative Partei Christen-Democratisch en Vlaams (CD & V, elf Sitze) sowie die sozialdemokratische Vooruit (13 Sitze).

Im Zentrum des Koalitionsvertrags stehen die Themen Wirtschaft, Fiskalpolitik und Migration. In dem Dokument heißt es, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, überbordende Bürokratie, hohe Energiepreise, unzureichende Investitionen, zu wenig Fachkräfte, zu viel »irreguläre Migration« und klamme öffentliche Kassen bei gleichzeitig zu geringen Militärausgaben stellten das Land vor große Herausforderungen.

Um die Staatskasse zu entlasten, soll vor allem bei den Sozial- und Rentenausgaben gekürzt werden. 

Um die Staatskasse zu entlasten, soll vor allem bei den Sozial- und Rentenausgaben gekürzt werden. Dazu will man die bislang unbeschränkte Bezugsdauer für Arbeitslosengeld auf zwei Jahre begrenzen und Sanktionsmöglichkeiten gegen dessen Bezieher ausweiten. Arbeitsfähige dürften »nicht mehr in den Genuss von übermäßig vorteilhaften Regelungen kommen, die sie davon abhalten, arbeiten zu gehen«, heißt es im Koalitionsvertrag. Angestrebt wird ein Abstand zwischen dem Arbeitslosengeld und Niedriglöhnen von 500 Euro pro Monat. Dazu sollen Steuerfreibeträge für niedrige Arbeitseinkommen erhöht und Beiträge zur Sozialversicherung gesenkt werden.

Als Schaumschlägerei kritisiert das die sozialistische Gewerkschaft ABVV. Denn die Differenz liege bereits bei 500 Euro, wie sie im Sommer vorigen Jahres berechnet habe. Die »Arbeitslosenfalle«, die die Koalition beseitigen will, sei ein Mythos. Die Gewerkschaft bemängelt, dass die tatsächlichen Gründe für die Arbeitskräfteknappheit wie fehlende Qualifikationsmöglichkeiten und mangelnde Kitaplätze nicht angegangen werden.

Ältere sollen länger arbeiten

Stattdessen sollen Überstundenregelungen gelockert und sogenannte Flexi-Jobs ausgeweitet werden, was unter anderem die belgische Transportgewerkschaft BTB kritisiert. In den prekären Arbeitsverhältnissen findet man meist Frauen und migrantische Beschäftigte. Für Flexi-Jobs müssen Unternehmen geringere Sozialversicherungs- und Rentenbeiträge abführen.

Ältere sollen länger arbeiten, was durch Boni für jene, die über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, und Abzüge für Beschäftigte, die vorzeitig in Rente gehen, durchgesetzt werden soll. 5,2 Milliarden Euro will die Regierung mit der Sozial- und Rentenreform einsparen, um Geld für Steuersenkungen und Investitionsförderungen für Unternehmen und höhere Militärausgaben freizuschaufeln.

Verantworten soll diese Reformen der designierte Sozialminister Frank Vandenbroucke von den flämischen Sozialdemokrat:innen. Zu ihrer Beteiligung an der rechten Regierung äußerte die Partei Vooruit: »Wir trauen uns, schwierige Entscheidungen zu treffen.« Aber nur, wenn die Lasten gerecht verteilt würden und sich alle beteiligten, »auch die Großverdiener«, betonte sie.

»Die Großverdiener werden verschont«

Dass das gelungen ist, bestreitet die marxistisch-sozialistische Partij van de Arbeid (PvdA), die 15 Sitze im Parlament gewann. Die Koalition belaste in erster Linie die mittleren und niedrigen Einkommen, kritisiert der PvdA-Vorsitzende Raoul Hedebouw: »Die Großverdiener werden verschont.« In ihrem Wahlprogramm hatte PvdA eine Millionärssteuer und Abgaben für Zufallsgewinne beispielsweise von Energieunternehmen gefordert.

Die Vorhaben sind »brutale Angriffe auf die Mittelschicht, die Beschäftigten, die Rentner, die Frauen und die Umwelt«, betont auch der Parti socialiste (16 Sitze), die wallonische Schwesterpartei von Vooruit. Neben den beiden linken Parteien sind Ecolo (zwei Sitze) und Groen (sieben Sitze) in der Opposition. Sie kritisieren, dass die neue Regierung den gesetzlich beschlossenen Atomausstieg in Frage stellt. Mit ihren insgesamt neun Sitzen sind die beiden Parteien allerdings abgeschlagen.

Starken Druck auf die Regierung könnte hingegen die größte Oppositionspartei Vlaams Belang ausüben. Die rechtsextreme Partei errang 20 Sitze und fordert mehr Unabhängigkeit der Regionen von der Zentralregierung sowie eine rigidere Migrationspolitik.

Die belgische Regierung prüft die Möglichkeiten, einen Notstand auszurufen, um Rechte von Asylbewerber:innen und Migrant:innen zeitweise außer Kraft zu setzen.

Die ist schon vereinbart: Ein Kernanliegen des Koalitionsvertrags besteht darin, die »irreguläre Migration« zurückzudrängen. Ähnlich wie in den Niederlanden prüft die neue belgische Regierung die Möglichkeiten, einen Notstand auszurufen, um Rechte für Asylbewerber:innen und Migrant:innen zeitweise außer Kraft zu setzen. Zudem solle die Abschiebepolitik verschärft, die Zahl geschlossener Haftanstalten für abgelehnte Asylbewerber verdoppelt sowie auch die Durchsuchung von Wohnungen und Handys vereinfacht werden, kündigte De Wever an.

Das stößt bei Menschenrechtsorganisationen auf scharfe Kritik. Das Institut für den Schutz und die Förderung von Menschenrechten warnt davor, dass mit einer solchen Politik die Rechtsstaatlichkeit in Belgien weiter ausgehöhlt werde. Gegen die Rentenpläne der Regierung haben die Gewerkschaften Proteste angekündigt.