Rechtswidrig ausgeliefert
Direktes Tageslicht gebe es nicht in der kleinen Zelle, das Essen sei übel, die Portionen winzig und manchmal verschimmelt – so beschreibt der Anwalt Sven Richwin die Haftbedingungen, unter denen Maja T. in Ungarn einsitzt. Gegen die Kakerlaken und Bettwanzen würden regelmäßig große Mengen Insektenvernichter versprüht, ohne zu lüften.
Eine Stunde Hofgang gebe es am Tag – alleine. Denn »das Hauptproblem ist, dass Maja total isoliert wird«, so Richwin im Gespräch mit der Jungle World. Seit kurzem dürfe Maja T. Ungarischunterricht nehmen, mit anderen Häftlingen, doch dabei sei kaum erlaubt, miteinander zu sprechen. Maja T. sitzt in Untersuchungshaft wegen eines mutmaßlichen Angriffs auf Rechtsextreme. Die ungarische Staatsanwaltschaft fordert 24 Jahre Haft.
Ein Aspekt des Urteils: Maja T. versteht sich als nonbinär, deshalb habe das Kammergericht »prüfen müssen, ob ihr« aufgrund dieser Tatsache in Ungarn die »besondere Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung« drohe.
Nun ist allerdings endgültig festgestellt worden: Die Auslieferung nach Ungarn war rechtswidrig. Vergangene Woche urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die damals 23jährige Maja T. im Juni vergangenen Jahres nicht nach Ungarn hätte überwiesen werden dürfen. Das zuständige Kammergericht Berlin habe seine Pflicht verletzt, die Haftumstände, die Maja T. in Ungarn erwarteten, aufzuklären, heißt es in der Urteilsbegründung.
Damit habe das Berliner Gericht gegen Artikel 4 der Grundrechtecharta der EU verstoßen: das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Ein Aspekt des Urteils: Maja T. versteht sich als nonbinär, deshalb habe das Kammergericht »prüfen müssen, ob ihr« aufgrund dieser Tatsache in Ungarn die »besondere Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung« drohe.
Kalkül, einfach Tatsachen zu schaffen
Auf die Frage der Jungle World, ob nun die damalige Auslieferung neu bewertet werden müsse, antwortet Richwin: »Eigentlich nicht.« Dass die Auslieferung rechtswidrig war, sei von Anfang an seine Ansicht gewesen. Als die Auslieferungsentscheidung des Kammergerichts fiel, hätten Majas Anwälte sich noch in derselben Nacht daran gemacht, beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag zu stellen. Der ging dann auch am frühen Morgen dort ein. Noch vor 11 Uhr morgens fiel das Urteil, die Auslieferung vorläufig zu stoppen – doch zu dem Zeitpunkt war Maja T. bereits in Ungarn.
Richwin zeigt sich überzeugt: Die zuständigen Behörden hätten sich »seit Wochen darauf vorbereitet«, die Auslieferung so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Es sei »alles darauf ausgelegt gewesen«, dass man keine Rechtsmittel mehr einlegen konnte, um sie aufzuhalten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mache es zwar schwieriger, »das alles unter den Teppich zu kehren«, aber das Kalkül, einfach »Tatsachen zu schaffen«, sei aufgegangen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeutet nicht automatisch, dass die ungarischen Behörden Maja T. zurückschicken müssen – dafür müsste sich die Bundesregierung einsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat, so Richwin, festgestellt, dass jeden Tag, den T. in der ungarischen Haft verbringt, »der Grundrechtsverstoß noch andauert«.
Drei Jahre Isolationshaft drohen
Am 21. Februar soll der erste Verhandlungstag in Budapest sein. Dann könne sich Maja T. entscheiden, erklärt Richwin: sich schuldig zu bekennen und eine Haftstrafe von 14 Jahren anzunehmen, die dann in Deutschland abgesessen werden könnte, oder weiter in Untersuchungshaft zu sitzen, bis ein Urteil gefällt wird.
Maja T.s Haftbedingungen seien auch für ungarische Verhältnisse miserabel, so Richwin. Er zeigt sich überzeugt: Das Ziel sei, dadurch Geständnisse zu erzwingen. Das Verfahren könne noch Jahre dauern. Nach dem 21. Februar habe das Gericht sechs Monate Zeit, um einen zweiten Termin festzulegen. Bis zu drei Jahre könne das Verfahren danach noch weitergehen – drei Jahre Isolationshaft.
Für Richwin steht fest: »Ein faires Verfahren ist nicht zu erwarten.« In den weitgehend regierungshörigen Medien in Ungarn werde Maja T. als Feindbild aufgebaut – ausländisch, Antifa, nonbinär –, zu einer Person, an der ein Exempel statuiert werden solle. Deshalb sei auch das Strafmaß in seinen Augen völlig überzogen. Das Ganze habe »Schauprozesscharakter«.
Hürden für neue Auslieferungen nun wohl extrem hoch
Maja T. wird vorgeworfen, im Februar vor zwei Jahren in Budapest Rechtsextreme überfallen und verletzt zu haben, die sich zum »Tag der Ehre« in Budapest aufhielten. Zu dem Anlass treffen sich alljährlich Nazis aus ganz Europa, um der »Schlacht von Budapest« zu gedenken, bei der im Februar 1945 Truppen von Wehrmacht und SS der Roten Armee unterlagen.
Für Maja T. kommt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu spät, für andere könnte es aber eine positive Wirkung haben. Im Januar haben sich sieben Personen gestellt, nach denen ebenfalls gefahndet wurde, weil sie in Budapest an Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt gewesen sein sollen.
Am Wochenende trafen sich in Budapest wieder Nazis aus ganz Europa zum »Tag der Ehre«.
Auch ihnen droht nun die Auslieferung nach Ungarn. Die Entscheidung fällt die Bundesanwaltschaft, weil sowohl in Ungarn wie in Deutschland Haftbefehle vorliegen. Doch wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts seien für eine Auslieferung an Ungarn »die Hürden nun wohl extrem hoch«, meint Richwin. Der im Herbst festgenommene Johann G., dem ähnliche Vorwürfe wie Maja T. gemacht werden, wird nicht nach Ungarn ausgeliefert – das hat das Oberlandesgericht Jena Ende Januar entschieden. Schwierig könnte es nur für eine der sieben Personen werden, die sich kürzlich der Polizei stellten. Denn für den syrischen Staatsbürger gibt es nur einen ungarischen Haftbefehl, keinen deutschen.
Unterdessen trafen sich am Wochenende in Budapest Nazis aus ganz Europa erneut zum »Tag der Ehre«. Der Beobachtungsstelle Democ zufolge nahmen Tausende an einem gemeinsamen Marsch Teil, darunter viele deutsche Neonazis von »Der III. Weg«, den »Jungen Nationalisten«, den »Freien Sachsen« und »Die Rechte«. Videos von Democ zeigen, wie sie ungestört in historischer Nazi-Montur herumstolzierten, mit Hakenkreuzen und SS-Abzeichen.
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