13.02.2025
Dominik Bloh, Autor, im Gespräch über das Leben auf der Straße

»Ich konnte nicht an den nächsten Tag denken«

Ein Jahrzehnt lang war Dominik Bloh obdachlos. Später schrieb er ein Buch über seine Erfahrungen. Heutzutage lebt er in Hamburg und ist Autor und Sozialunternehmer. Die »Jungle World« sprach mit ihm über das Überleben auf der Straße.

Wie kam es dazu, dass Sie zehn Jahre auf den Straßen Hamburgs lebten?
Wie die meisten Menschen auch bin ich unverschuldet auf die Straße gekommen. In meinem Fall war es eine schwierige Familiengeschichte, die dazu geführt hat, dass meine Mutter erst krank wurde und irgendwann so überfordert war, dass sie ihre Vormundschaft abgelegt hat. Mit dieser Entscheidung hat sie in einer Nacht ­allerdings den Entschluss gefasst, mich vor die Tür zu setzen. Somit habe ich mit 16 Jahren meine ersten Schritte in die Obdachlosigkeit gemacht.

»Obdachlose befinden sich im Überlebenskampf. Das bedeutet: jeder gegen jeden.«

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie glaubten, Sie würden die Straße nie überleben. Was hat Sie am Leben gehalten?
Menschen ohne Obdach sterben durchschnittlich 30 Jahre früher als Menschen, die ein geregeltes Leben führen. Überleben auf der Straße bedeutet Rastlosigkeit. Es gibt nur eine Zeit, das Jetzt. Ich konnte nicht an den nächsten Tag denken. Nur dieser Modus hat mich am Leben gehalten. Ansonsten waren es Dinge wie das Schreiben – wenn ich nachts alleine draußen war, konnte ich alles, was ich erfahren hatte, auf ­Papier bringen. So konnte ich alles rauslassen. Die Wörter haben mich gerettet – und aus einem Jungen der Straße wurde ein Mann der Schrift.

Wieso ist eigentlich Solidarität unter Obdachlosen genauso selten wie in der übrigen Gesellschaft?
Obdachlose befinden sich im Überlebenskampf. Das bedeutet: jeder gegen jeden. Außerdem gibt es auf der Straße einige Sachen, die ganz anders sind als im bürgerlichen Alltag. Ich habe nie meinen echten Namen genannt und auch niemandem verraten, wo ich übernachte. Ich wollte ja nicht, dass mein Schlafplatz von jemand anderem eingenommen wird. Ein vertrauens­volles, ehrliches Verhältnis auf der Straße aufzubauen, ist fast unmöglich. Allerdings gibt es auch echte Freundschaften, in denen geteiltes Leid halbes Leid ist und man über Jahre gemeinsam ­unterwegs ist.

Gibt es irgendetwas von der Straße, das Sie im heutigen Leben vermissen?
Die Straße hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin; aber es gibt nichts von der Straße, das ich vermisse. Überleben ist nie ein Leben.

»Wir bei Go Banyo bringen Duschen auf die Straße, mit einem um­gebauten Bus, in dem statt Sitzplätzen drei vollausgestattete Badezimmer eingebaut sind. Wir fahren in Hamburg verschiedene ­Stationen an, damit Menschen ohne Obdach Zugang zu sanitären Anlagen bekommen.«

Sie haben Go Banyo gegründet, ein gemeinnütziges Unternehmen. Was machen Sie dort?
Wir bei Go Banyo bringen Duschen auf die Straße, mit einem um­gebauten Bus, in dem statt Sitzplätzen drei vollausgestattete Badezimmer eingebaut sind. Wir fahren in Hamburg verschiedene ­Stationen an, damit Menschen ohne Obdach Zugang zu sanitären Anlagen bekommen. Das ist ganz entscheidend. Außerdem mache ich Öffentlichkeitsarbeit und politische Arbeit. Unsere Mission ist es, Duschen bereitzustellen, aber auch, irgendwann die Obdach­losigkeit zu beenden.

Wie viel Hoffnung haben Sie, dass das passieren könnte?
Das Europäische Parlament hat eine Resolution zur Obdachlosigkeit verabschiedet, in der sie die Mitgliedstaaten dazu aufruft, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden. Seitdem ist aber zu ­wenig passiert. Die Bundesregierung hat ihre verfehlte Wohnungspolitik eingestanden, allerdings noch nicht die ernsthafte Wohn­krise, in der wir uns meiner Meinung nach bereits befinden. Mir fehlt immer noch eine langfristige Strategie.