Jungle+ Artikel 13.02.2025
Die zweischneidige ­Befreiung von der Eifersucht

Von der Eifersucht zur Mitfreude

Schon die Achtundsechziger kritisierten Eifersucht als bürgerliche Emotion, heutzutage propagieren Beziehungsratgeber und an Polyamorie Interessierte ihre Überwindung. Auch wenn der Anspruch durchaus löblich ist, wirkt er nicht immer nur befreiend.

Zu den wohl verbreitetsten Mythen über die sogenannten Achtundsechziger zählt jener über die sogenannte freie Liebe. Doch wenngleich die Überwindung »bürgerlicher« Beziehungsformen wie der Zweierbeziehung theoretisch auf die Befreiung der Frau zielte, sah die Realität oft anders aus: »Die Forderung nach Aufhebung der Zweierbeziehung, um stattdessen unverbindliche ›unanstrengende‹ lockere Beziehungen einzugehen, hat nichts mit dem emanzipativen Anspruch zu tun, mit dem sie sich schmückt (…). Nach den Verwirrungen und der Unterdrückung eigener Bedürfnisse, die dieses ganze Geschwätz für Massen von Genossinnen nach sich gezogen hat, kann man nur sagen: Misstrauen!!!! vor jedem Genossen, der von freier Sexualität daherschwätzt«, schreibt die Frankfurter »Frauengruppe im Revolutionären Kampf« im Jahr 1972, im Original mit vier Ausrufezeichen. Die Frauengruppe war ein autonom-feministischer Teil des »Revolutionären Kampfs«, einer operaistischen Gruppe, die sich im Zuge des Zerfalls der Studentenbewegung gründete, und zu der unter anderem Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer ­gehörten.

Dass es in den vorgeblich befreiten Kommunen oft ganz schön unfrei zuging, bemerkte mancher Zeitgenosse erst in der Retrospektive. Für ihre Dissertationsschrift »Sexualität und Beziehungen bei den ›68ern‹« (2015) hat die Erziehungswissenschaftlerin Karla Verlinden mit Beteiligten gesprochen. »Die Stigmatisierung bestimmter emotionaler Bedürfnisse als ›bürgerlich‹ führte dazu, dass diese nicht geäußert wurden, um dem Verdacht zu entgehen, sich nicht ausreichend von seiner bürgerlichen Erziehung abgegrenzt zu haben«, schreibt sie und kommt zu dem Zwischenfazit: »Alle Interviewten er­innern sich, dass das Gefühl Eifersucht tabuisiert war.«

Wer nicht mittun wollte bei der fröhlich-freien Liebe oder wer eifersüchtelte, konnte als bürgerlich, konterrevolutionär, schlimmstenfalls faschistoid abgestempelt werden.

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