Chance verpasst
Es war der wohl letzte Versuch in dieser Legislaturperiode: Am Montag vergangener Woche ist die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Rechtsausschuss des Bundestages gescheitert. Abtreibungen bleiben rechtswidrig, der entsprechende Paragraph 218 im Strafgesetzbuch wird nicht gestrichen.
Vor allem Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei hatten eine Gesetzesnovelle unterstützt, die vorsah, Abtreibungen bis zur zwölften Woche zu legalisieren; 328 Abgeordnete hatten im Herbst einen entsprechenden Gruppenantrag eingebracht. Das Vorhaben scheiterte an der FDP und der Union. Im Rechtsausschuss stimmten sie dagegen, das Gesetz im Bundestag zur Abstimmung zu stellen. Der Gesetzentwurf könnte deshalb nur noch in einer Sondersitzung des Bundestags eingebracht werden, deren Einberufung aber als ausgeschlossen gelten kann.
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte sich bereits im November gegen eine Reform ausgesprochen. Es handele sich um ein Thema, »das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen«.
Einer repräsentativen Umfrage zufolge sind 81,6 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Frauen das Recht auf Abtreibung haben.
Nun gibt es durchaus auf beiden Seiten aktive Protestbewegungen – die gut organisierten Abtreibungsgegner stehen der feministischen Pro-Choice-Bewegung gegenüber. Doch gesamtgesellschaftlich betrachtet scheint das Thema nicht mehr allzu kontrovers zu sein, wie eine repräsentative Studie vom April 2024 belegte. Der Aussage »Es ist das Recht von Frauen, sich frei bis zur 12. Woche einer Schwangerschaft für einen Abbruch entscheiden zu können« stimmten demnach 79,3 Prozent der männlichen und 83,7 Prozent der weiblichen Befragten zu, insgesamt 81,6 Prozent. Man scheint sich über »My body, my choice!« also schon fast einig zu sein. Sogar 76,3 Prozent der Unionsanhänger stimmten der Aussage zu.
Wenn Merz vor einem »unnötigen Großkonflikt« warnt, könnte man also – mit Blick auf das Meinungsbild selbst bei den eigenen Anhängern – folgern: Unnötig ist eine Veränderung für jenen, den reproduktive Rechte nicht interessieren. Und vor einem Großkonflikt, wo keiner ist, warnt man nur, wenn man die eigenen Wahlchancen in Gefahr wähnt.
Frauen müssen Kosten eines Abbruchs oft selbst tragen
Der nun de facto gescheiterte Gesetzesvorschlag sah unter anderem vor, den Schwangerschaftsabbruch zu einer Standardleistung von Krankenkassen zu machen. Bislang müssen Frauen die Kosten eines Abbruchs, der nicht medizinisch oder kriminologisch indiziert ist, oft selbst tragen. Zudem leidet die Qualität der Eingriffe selbst unter ihrer grundsätzlichen Rechtswidrigkeit, denn in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung kommt das Thema oft zu kurz.
Es gibt außerdem zu wenige Praxen, die Abbrüche vornehmen, vor allem auf dem Land. Eine von der Bundesregierung beauftragte Studie kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass es in 85 von 400 Landkreisen keine angemessene Versorgung gibt. Knapp die Hälfte dieser Landkreise befindet sich in Bayern.
Nicola Völckel leitet eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt. Sie kritisiert, dass bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages zum Teil antiwissenschaftliche Argumente vorgebracht worden seien. »Expert:innen der Anti-Choice-Bewegung« hätten »mit wissentlichen Falschaussagen und anekdotischer Evidenz« argumentiert. Zum Beispiel sei »das nicht existierende ›Post-Abortion-Syndrom‹, das von Abtreibungsgegner:innen erfunden wurde, als wissenschaftlich bewiesen dargestellt« worden. Der Begriff soll ein psychisch-emotionales Leiden bezeichnen, an dem Frauen nach Abtreibungen angeblich oft leiden, das aber wissenschaftlich und medizinisch nicht anerkannt ist.
Die Umfragen zur Bundestagswahl legen nahe, dass die Union die nächste Bundesregierung führen wird. Deshalb geht Völckel davon aus, dass dies die vorerst letzte Gelegenheit für die Streichung des Paragraphen 218 gewesen sein dürfte. Der SPD und den Grünen wirft sie vor, »das Thema viel zu spät und erst nach dem Ampel-Bruch aufgegriffen« zu haben.
Entmündigung aller Frauen
Dem statistischen Bundesamt zufolge wurden 2023 rund 106.000 Abtreibungen vorgenommen. Das sei der höchste Stand seit 2012. Im Vergleich zu damals gebe es nunmehr deutlich weniger Abbrüche in jüngeren Altersgruppen und deutlich mehr Abbrüche bei Frauen ab 30 Jahren.
Eine Streichung von Abbrüchen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche aus dem Strafgesetzbuch würde nicht nur diese ungewollt Schwangeren entlasten. Die Furcht, ungewollt schwanger zu werden, lastet auf allen gebärfähigen Frauen – verschlimmert wird sie durch die Aussicht, für einen Abbruch eine Zwangsberatung mit potentieller Stigmatisierung auf sich nehmen zu müssen. Auch das Beibehalten des grundsätzlichen Unrechtscharakters von Abtreibungen trägt zur Stigmatisierung bei, hinzu kommen die eventuellen Kosten.
Der Fortbestand des Paragraphen 218 bedeutet eine Entmündigung aller Frauen. In ihm manifestiert sich der gesellschaftliche Zugriff auf die Frau als nutzbare Ressource der Reproduktion.