»Niemand weiß, ob sich der Konflikt ausweitet«
Wie beurteilen Sie das europäische Interesse an der Situation im Kongo?
Derzeit interessiert sich die Weltöffentlichkeit für den Konflikt, weil der Konflikt sich regional ausweiten könnte. Aber generell gibt es tatsächlich wenig Aufmerksamkeit für die bewaffneten Konflikte im Kongo, obwohl diese so viel Leid verursachen. Der Konflikt besteht seit mehr als 30 Jahren, da hat die Aufmerksamkeit nachgelassen. Auch wird der Kongo als failed state wahrgenommen, deshalb gibt es wenig Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Konflikts.
Wie viele Menschen sind im Ostkongo auf der Flucht?
Schon vor dem derzeitigen Konflikt gab es im Kongo 5,6 Millionen Binnenflüchtlinge; in den Provinzen Ituri, Nord- und Süd-Kivu im Osten des Landes sind rund 4,5 Millionen Menschen vertrieben, mehr als 21 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe. Wir sprechen von einer großen humanitären Krise. Bei der Eroberung von Goma durch die M23 wurden schätzungsweise 3.000 Menschen getötet, weitere 3.000 Verletzte wurden in die total überfüllten Krankenhäuser eingeliefert, Hunderte von Frauen wurden vergewaltigt.
Wie war die Lage in Goma während der Kämpfe?
Zur Zeit des Angriffs waren 700 000 Binnenflüchtlinge in den Camps rund um Goma untergebracht. Dort lebten Familien auf wenigen Quadratmetern unter Plastikplanen. Beim Angriff wurden Maschinengewehre und schwerer Artillerie eingesetzt. Die Flüchtlinge haben die Camps verlassen und Unterschlupf in Schulen und Kirchen gesucht. Viele wurden von Gastfamilien aufgenommen.
»Schon vor dem derzeitigen Konflikt gab es im Kongo 5,6 Millionen Binnenflüchtlinge; in den Provinzen Ituri, Nord- und Süd-Kivu im Osten des Landes sind rund 4,5 Millionen Menschen vertrieben, mehr als 21 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe. Wir sprechen von einer großen humanitären Krise.«
Wie wurden diese Menschen während der Kämpfe versorgt?
Die humanitäre Hilfe, die generell ungenügend gewesen ist, wurde eingestellt. Die Energie- und Wasserversorgung in Goma hat nicht funktioniert. Die Stadt war eingekesselt, weshalb keine Nahrungsmittel mehr geliefert werden konnten. Die Lage aller Menschen in Goma war hart, aber die der Binnenflüchtlinge besonders, weil sie ohnehin kein Einkommen und keinen Besitz haben. Kürzlich hat die M23 mitgeteilt, dass alle Flüchtlinge innerhalb von 72 Stunden in ihre Heimatgebiete zurückkehren sollen. Viele machten sich auf den Weg – oft sind das Menschen, die von der Landwirtschaft leben, aber kein Saatgut oder landwirtschaftliche Geräte haben. Der Anfang wird für sie hart werden.
Es heißt, dass sich in Goma, wo Sie leben, der Alltag allmählich normalisiert. Stimmt das?
Die Menschen haben ein Stück Alltag wieder. Sie gehen einkaufen, gehen zur Arbeit, begleiten ihre Kinder zur Schule. Unsere Kollegen wollten wieder ins Büro kommen, wieder arbeiten. Aber die Menschen und auch unsere Kollegen sind traumatisiert, ihre Gesichter sind teilweise wie erstarrt. Man kann die Ängste, den Stress und die Müdigkeit der vergangenen Tage sehen. Auch die Ungewissheit belastet die Menschen. Niemand weiß, ob sich der Konflikt ausweitet oder nicht.
Wie ist es, in einem Kriegsgebiet zu leben? Haben Sie Angst um Ihr Leben?
Am 27. Januar, als Goma gefallen ist, gab es Maschinengewehrsalven und Detonationen, das war natürlich beängstigend, auch wenn wir in Gisenyi waren, der direkt an Goma grenzenden ruandischen Stadt. Das Belastende ist aber eher, dass es trotz der großen humanitären Krise so wenig finanzielle Unterstützung gibt. Wir bekommen jeden Tag Berichte über Menschen, die kein Essen und keine Versorgung haben.