In Ketten gelegt
Budapest. Im Landgericht Budapest werde »deutsches Gesetz gebrochen« – darauf wies am Freitag vergangener Woche der ungarische Anwalt von Maja T. gleich zu Beginn seiner Ausführungen hin. Das deutsche Bundesverfassungsgericht habe schließlich festgestellt, dass Maja T.s Auslieferung nach Ungarn rechtswidrig gewesen ist.
Bewirkt hat dieses Urteil bislang nichts. Maja T. befindet sich weiter in Isolationshaft in Ungarn, vergangene Woche begann der Prozess. Zwei mit Hasskappe vermummte Polizisten führten T. in den altmodisch-pittoresken Verhandlungssaal – in Handschellen und an einer Art Leine. In der mehrstündigen Verhandlung wichen die beiden Beamten nicht von T.s Seite. Einer von ihnen hielt die gesamte Zeit über die Kette in der Hand, die um T.s Hüfte fixiert war.
Bedrohlich wirkte T. – dünn und großgewachsen, Mitte zwanzig und mit Pferdeschwanz – nicht. Die Staatsanwältin gab sich dennoch große Mühe, diesen Eindruck zu erwecken, als sie die Anklageschrift verlas. Maja T. sei Mitglied einer »kriminellen Vereinigung«, hieß es darin. Diese sei 2017 in Leipzig gegründet worden, ihr Ziel sei gewesen, Rechtsextreme anzugreifen. 2022 sei die Entscheidung gefallen, auch in Ungarn solche Angriffe durchzuführen – zum »Tag der Ehre«, bei dem alljährlich im Februar Neonazis aus ganz Europa nach Budapest anreisen.
Die »bedrohlichen Haftbedingungen« zehrten sichtlich an Maja T., sagt die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linkspartei).
Im Februar 2023 sollen Mitglieder der »kriminellen Vereinigung« nach Budapest gereist sein. Dort habe man sich mit Italienern getroffen, um gemeinsam Rechtsextreme zu überfallen. T. soll an mehreren solcher Angriffe beteiligt gewesen sein. Die Angreifer hätten mit Teleskopschlagstöcken auf ihre Opfer eingeprügelt und dann – wie es vorher trainiert worden sei – nach genau 30 Sekunden von ihnen abgelassen. Dabei seien sie vermummt gewesen, hätten Kleidung zum Wechseln dabeigehabt, um sich auf der Flucht umzuziehen, und hätten es vermieden zu sprechen, damit sie nicht anhand der Stimme identifiziert werden – so erzählte es die Staatsanwaltschaft.
Maja T. ist wegen »Lebensgefahr verursachender« schwerer Körperverletzung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe bis zu 24 Jahren. Sie machte T. gleichzeitig ein Angebot: Wenn sie ihre Schuld eingestehe, würde T. nur eine Gefängnisstrafe von 14 Jahren erhalten.
Dieses Angebot lehnte T. ab. »Ich bin angeklagt von einem europäischen Staat, weil ich Antifaschist bin«, sagte T. vor Gericht, doch es gehe in diesem Prozess um viel mehr »als um mich selbst«. Die ausschweifende Erklärung, die T. verlas, war sichtlich nicht nach prozesstaktischen Kriterien verfasst. Es ging T. darum, sich zu erklären. »Totalitäre Sehnsüchte und Autoritäres verfangen in unseren Gesellschaften«, sagte T., »Ausgrenzung und Abschottung erfahren eine Renaissance« – was geschehe da, »wenn alle bloß noch sich selbst retten?«
»Entführt und ausgeliefert«
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bestehe »bloß aus reinen Hypothesen«, sagte T., dazu könne sie sich gar nicht äußern, schon allein, weil sie kaum in der Lage gewesen sei, eine Verteidigung vorzubereiten. Es »fehlt mir das vollständige Aktenmaterial«, und »meine Anwälte sind immer wieder am Gefängnistor abgewiesen« worden.
Ähnliche Vorwürfe erhob T.s Anwalt in seinen einleitenden Bemerkungen: Nur zehn Prozent der Akten seien ins Deutsche übersetzt worden, und bis zuletzt sei es zum Beispiel nicht möglich gewesen, T. die als Beweismittel dienenden Videos überhaupt vorzuspielen.
T. ging auch auf ihre rechtswidrige Auslieferung nach Ungarn ein: In einem »Akt des Rechtsbruchs« sei sie »entführt und hierher ausgeliefert« worden. Anfang Februar hatte das Bundesverfassungsgericht endgültig festgestellt, dass T. Auslieferung rechtswidrig gewesen ist. Das zuständige Kammergericht Berlin habe seine Pflicht verletzt, die Haftumstände, die Maja T. in Ungarn erwarteten, aufzuklären, heißt es in der Urteilsbegründung. Damit habe das Berliner Gericht gegen Artikel 4 der Grundrechtecharta der EU verstoßen: das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung.
Dieser Grundrechtsverstoß »dauert noch jeden Tag an«, den Maja T. in Ungarn im Gefängnis sitze, betonte ihr deutscher Anwalt Sven Richwin im Gespräch mit der Jungle World. Er zeigt sich überzeugt, dass die Auslieferung damals in einer lange vorher geplanten Nacht-und-Nebel-Aktion durchgeführt worden sei, weil die Behörden verhindern wollten, dass die Auslieferung rechtzeitig von Gerichten gestoppt werden konnte. Es sei darum gegangen, »Tatsachen zu schaffen«.
Bedingungen in Ungarn entsprechen nicht den internationalen Standards
Das deutsche Außenministerium unter Annalena Baerbock (Grüne) setzt sich Medienberichten zufolge bei der ungarischen Regierung für bessere Haftbedingungen ein. Doch laut einem Angehörigen von Maja T. habe das Ministerium der Familie mitgeteilt, dass es sich nicht für eine Rückauslieferung nach Deutschland einsetzen könne, weil es dafür keine juristische Handhabe gebe.
Lili Krámer vom ungarischen Helsinki-Komittee, das sich für Rechtsstaatlichkeit im Justiz- und Strafsystem einsetzt, sagte der Jungle World, sie finde es »besorgniserregend«, dass »Deutschland entschieden hat, T. auszuliefern«. Selbst »Zeitungslesern sei bekannt, dass die Bedingungen hier in Ungarn nicht internationalen Standards entsprechen«, dies sei schließlich auch im Fall von Ilaria Salis durch die Medien gegangen.
Salis stand vor gut einem Jahr in Budapest vor Gericht, ihr wurde vorgeworfen, ebenfalls an Angriffen der Gruppe beteiligt gewesen zu sein. Sie hatte gut ein Jahr in Untersuchungshaft gesessen und über schlimme Haftbedingungen berichtet. Auch sie wurde vor Gericht an einer Kette vorgeführt, was insbesondere in Italien große Empörung auslöste. Sogar die rechtsextreme Ministerpräsidentin Giorgia Meloni setzte sich für bessere Haftbedingungen ein und bestellte den ungarischen Botschafter ein. Salis kam dann zunächst in Hausarrest, später kam sie ganz frei, weil sie im Zuge der Europawahl 2024 als Abgeordnete ins Parlament einzog und dadurch Immunität genoss.
Vor Gericht beklagte T. erneut die »menschenunwürdigen Bedingungen« im Gefängnis – die »Schreie und Schläge«, die sie aus anderen Zellen gehört habe, und in ihrer eigenen Zelle das Ungeziefer, die stündlichen Kontrollen, die nachts den Schlaf rauben, das fehlende Tageslicht, das spärliche, manchmal verdorbene Essen und die Videoüberwachung in der Zelle, die erst nach mehreren Wochen durch anwaltlichen Protest beendet worden sei.
Fehlendes Tageslicht, verdorbenes Essen, Videoüberwachung, Isolationshaft
Vor allem aber sei es die Isolationshaft, die T. zu schaffen mache. Ihren Anwälten zufolge hat T. keinen Kontakt zu Mithäftlingen, nur einmal am Tag geht es für eine halbe Stunde in einen leeren Hof. Auch der Besuch ist eingeschränkt: Der Stiefbruder von Maja T. erzählte der Jungle World in der Verhandlungspause, er habe T. bei dieser Gerichtsverhandlung zum ersten Mal seit der Verhaftung wiedergesehen. Beim ersten Versuch sei sein Besuchsantrag einfach abgelehnt worden, und beim zweiten Mal kurz vor Weihnachten habe er seinen Eltern und Geschwistern den Vortritt gelassen, denn es dürften immer nur vier Personen gleichzeitig zu Besuch kommen.
Die offizielle Begründung für die Einzelhaft ist laut Lili Krámer, dass Maja T. sich als nonbinär identifiziert und deshalb geschützt werden müsse. Das sei bis zu einem gewissen Grad verständlich, so Krámer, doch dann müsse man T. Kompensationen bieten, etwa gemeinsame Aktivitäten mit anderen Häftlingen oder erweiterte Kontaktmöglichkeiten mit Angehörigen. »Es ist inakzeptabel, jemanden monatelang den ganzen Tag vollständig von menschlichem Kontakt zu isolieren.«
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner von der Linkspartei war am Freitag ebenfalls im Gericht anwesend, sie war wie schon in der Vergangenheit mit ihrem Parteikollegen, dem Europaparlamentarier Martin Schirdewan, nach Budapest gereist, um T. zu unterstützen.
Der Jungle World sagte Renner, es gebe »keinen sachlichen Grund für diese Haftbedingungen«. Dass dies zu Maja T.s Schutz geschehe, halte sie nicht für plausibel. »Wir haben mit Maja gesprochen, sie wünscht sich Umgang mit anderen Gefangenen und sinnvolle Beschäftigung.«
»Erhebliche Zweifel an einem rechtsstaatlichen Verfahren«
Die »bedrohlichen Haftbedingungen« zehrten sichtlich an Maja T., sagte Renner. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass »man in dieses Land nicht ausliefern kann – nicht nur wegen der Haftbedingungen, sondern insbesondere weil es auch erhebliche Zweifel an einem rechtsstaatlichen Verfahren gibt«. Dazu gehöre der »schmutzige Deal, den die Staatsanwaltschaft angeboten hat, weil sie sich die Beweisführung sparen will oder sie Angst vor der Beweisführung hat, weil sie dann straucheln wird«.
Renner zufolge »liegt es auf der Hand«, dass die Haftbedingungen ein Druckmittel darstellen. Hätte T. das Angebot der Staatsanwaltschaft angenommen, hätte sie die 14 Jahre zumindest in Deutschland absitzen können. Nun, da sie das Angebot abgelehnt hat, könnte der Prozess noch bis zu drei Jahre dauern – und diese Zeit wird T. voraussichtlich in Isolationshaft verbringen. Den Antrag auf Hafterleichterung, den T.s ungarischer Anwalt gestellt hatte, lehnte der Richter am Freitag ab.
Als T. zu Beginn hereingeführt wurde, stand ein Großteil des Publikums auf und applaudierte fast eine Minute. Die meisten waren offenbar Unterstützer aus Deutschland.
Der Anwalt hatte gefordert, dass T. den Prozess in Hausarrest entweder in Deutschland oder in Budapest verbringen könne. Gegen die Ablehnung durch das Gericht legte er Einspruch ein, eine endgültige Entscheidung steht also noch aus. Doch Richwin glaubt, die Erfolgsaussagen seien mäßig. Das kriege »man nur hin, wenn die Staatsanwaltschaft das mitmacht«, und dieser Eindruck sei während des Prozesses nicht entstanden.
Zum Ende der Verhandlung war die Staatsanwältin auf T.s politische Aussagen eingegangen. Die Taten, die T. vorgeworfen werden, hätten »in der ungarischen Öffentlichkeit große Empörung« hervorgerufen, sagte sie, und sprach T. dann direkt an: »Sie sprachen von einem ›friedlichen Morgen‹, das Sie sich wünschen«, doch dasselbe wünschten sich auch »all die Leute, die in den Nachrichten von diesen Taten erfuhren und schockiert waren« – und »ihre Interessen vertritt die ungarische Justiz«.
Als T. zu Beginn hereingeführt wurde, stand ein Großteil des Publikums auf und applaudierte fast eine Minute. Die meisten waren offenbar Unterstützer aus Deutschland. Zum Abschluss standen viele erneut auf und skandierten »Free Maja«, es wurde gejubelt und applaudiert. Dann wurde T. hinausgeführt – an der Kette.
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