Gedrückte Stimmung
Helsinki. Am letzten Montag im Februar haben sich gut 2.000 Menschen vor der Domkirche in Helsinki zum dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine versammelt. Kerzen wurden auf die markante Steintreppe im Herzen der finnischen Hauptstadt gestellt. Die Kundgebung wurde schon seit Tagen auf den digitalen Werbeflächen der U-Bahn in Helsinki beworben. Die Stimmung ist gedrückt, die außenpolitischen Aussagen von US-Präsident Donald Trump haben auch in Finnland zu tiefer Verunsicherung geführt.
Schon am Freitag der Vorwoche hatte Finnlands wichtigste Zeitung Helsingin Sanomat (HS) Spitzenpolitiker:innen aller Parteien gefragt, ob die USA überhaupt noch ein Verbündeter seien. Der sozialdemokratische Abgeordnete Matias Mäkynen antwortete: »Es ist schon überraschend, wie weit Trump in seiner russlandfreundlichen Rhetorik zu gehen bereit ist.«
Die konservativ-rechtspopulistische Regierung von Ministerpräsident Petteri Orpo hält sich mit allzu kritischen Worten bisher zurück. Man scheint abwarten zu wollen, wie die europäischen Verbündeten auf die Entwicklungen reagieren. Der Abgeordnete Pauli Kiuru von Orpos konservativer Nationaler Sammlungspartei (Kansallinen Kokoomus, Kok) druckste über Trumps Ausbrüche herum: »Man könnte sagen, dass dies eine Diplomatie ist, an die wir bisher noch nicht gewohnt sind.«
Die konservativ-rechtspopulistische Regierung hält sich mit allzu kritischen Worten in Richtung Trump zurück. Man scheint abwarten zu wollen, wie die europäischen Verbündeten auf die Entwicklungen reagieren.
In den finnischen Medien und Debatten zeigt sich die neue Unsicherheit. Finnland war während des Kalten Kriegs neutral, dieser Status erforderte außen- und auch innenpolitische Rücksichtnahme auf die Interessen der Sowjetunion. Auch nach deren Zerfall trat man nicht der Nato bei – bis zur umfassenden russischen Invasion der Ukraine 2022.
Darüber, dass die USA Verhandlungen mit Russland über die Zukunft der Ukraine erwägen, ohne das angegriffene Land selbst zu beteiligen, herrscht Entsetzen. »Können wir noch auf eine regelbasierte internationale Ordnung vertrauen, die insbesondere aus der Sicht eines kleinen Landes wichtig ist?« lässt sich Iro Särkkä vom Außenpolitischen Institut (Ulkopoliittinen instituutti) in HS zitieren.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des finnischen Parlaments, Jukka Kopra (Kok), geht im Interview mit der Boulevardzeitung Ilta-Sanomat noch weiter: »Tatsächlich hat Russland eine neue Front eröffnet. Das sind diese Pseudofriedensverhandlungen, mit denen Russland versucht, die USA von ihren eigenen Zielen abzubringen, die sie in diesem Krieg hatten.«
Positiver Bezug auf Putins Russland undenkbar
Die rechtsextreme Partei Perussuomalaiset (PS), Orpos Koalitionspartner, ist dagegen hin- und hergerissen. Einerseits begrüßte die PS-Vorsitzende Riikka Purra die wirren Einlassungen von US-Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und bezeichnete sie auf dem Microblogging-Dienst X als »schöne Rede«.
Andererseits zeigt man sich selbst bei den finnischen Rechten entsetzt über Trumps Sichtweise des Ukraine-Kriegs. PS hatte 2023 im Europäischen Parlament die Fraktion »Identität und Demokratie« wegen deren russlandfreundlicher Haltung verlassen und war damit dem Beispiel der zuvor bereits ausgetretenen niederländischen und dänischen Abgeordneten gefolgt. Mit FPÖ, AfD oder Rassemblement national hat man zwar ansonsten viel gemein, ein positiver Bezug auf Putins Russland ist aber für PS – erst recht seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine – undenkbar.
Zusätzlich zum Nato-Beitritt im April 2023 hat Finnland im Dezember desselben Jahres auch noch einen bilaterales Verteidigungsabkommen mit den USA geschlossen, das Defence Cooperation Agreement (DCA). Darin hat Finnland ähnlich wie Schweden, Dänemark und Norwegen den US-Truppen ein Dutzend Militärareale zur Nutzung überlassen und weitreichende bilaterale Kooperation beschlossen. Was die unter der Herrschaft von US-Präsident Trump wert ist, fragen sich nun viel verunsichert.
Interesse an einer europäischen militärischen Integration
Präsident Alexander Stubb (Kok) hatte anfangs noch vor übertriebener Furcht wegen Trumps Amtsantritt gewarnt. Man müsse Trump zwar ernst nehmen, solle ihn aber nicht wortwörtlich verstehen, so Stubb. Bald sorgte aber Trumps Forderung, Grönland zu annektieren, für Unbehagen.
Die nordischen Regierungsoberhäupter zeigten sich demonstrativ am Abendbrottisch bei Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Bei der ersten vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron einberufenen Krisensitzung in Paris am 17. Februar vertrat Dänemark die nordischen und baltischen Staaten.
So verdruckst manche konservative Politiker reagierten, so deutlich wurde Vasemmistonuoret, der Jugendverband der finnischen Partei Linke Allianz (Vasemmistoliitto). Sie forderte, das DCA auszusetzen, bis Trump die Souveränität der Ukraine respektiere. Pinja Vuorinen, die Vorsitzende von Vasemmistonuoret und selbst Reserveoffizierin, ließ verlauten: »Beim Beitritt zur Nato wurde behauptet, die Zeiten der ›Finnlandisierung‹ seien endlich vorbei, aber jetzt scheinen sie zurückzukehren.«
Die finnische Rüstungsindustrie kann sich auf goldene Zeiten einstellen. Ende Januar gab der Chemiekonzern Forcit bekannt, in der Nähe der westfinnischen Stadt Pori die zweitgrößte TNT-Fabrik der EU zu errichten. Der Konzern investiert demnach gut 200 Millionen Euro in die neuen Fertigungsanlagen.
Finnlands führende Politiker achten nun besonders auf Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens Verhalten. Die Zusage des britischen Premierministers Keir Starmer, dass auch britische Soldaten eine Pufferzone in der Ostukraine sichern könnten, sorgte in den Kommentarspalten für Begeisterung. An einer europäischen militärischen Integration zeigt man sich interessiert. Die nordische Kooperation ist ohnehin bereits so eng wie kaum je zuvor, nachdem alle Gebiete von Nordkarelien bis zum Skagerrak Nato-Territorium geworden sind.
Die finnische Rüstungsindustrie kann sich auf goldene Zeiten einstellen. Ende Januar gab der Chemiekonzern Forcit bekannt, in der Nähe der westfinnischen Stadt Pori die zweitgrößte TNT-Fabrik der EU zu errichten. Der Konzern investiert demnach gut 200 Millionen Euro in die neuen Fertigungsanlagen. Die Bundeswehr will beim finnischen Rüstungsunternehmen Patria 300 sechsrädrige Transportpanzer bestellen. Der Konzern gehört zu 50,1 Prozent dem finnischen Staat.