Dein Ich, das unbekannte Wesen

Wer braucht schon Identität? Sechs Tonnen Pinienholz in der Form einer sprechenden und pfeifenden Hand jedenfalls nicht. Das Wittgenstein-Denkmal in Skjolden, Norwegen
Wittgenstein hatte so seine Schwierigkeiten mit der Identität. »Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts«, meinte er.
Die damit denkbar nichtidentischsten Ansichten hatten zuvor die Deutschen Idealisten vertreten. So hatte sich der junge Schelling angeschickt, die Philosophie mit seinem »absoluten Identitätssystem« zu revolutionieren, in dem die »Identität der Identität« eine in sich »duplicirte Identität« hervorbringen sollte.
Schelling, Hegel, Adorno
Sein Kumpel Hegel kam auf die hilfreiche Idee, diesen Gedanken noch klarer, um nicht zu sagen: »klarer« zu fassen in der Formel von der »Identität der Identität und Nichtidentität«. Später machte dann Adorno, stets bemüht, mehr Negativität zu wagen, geradezu die Nichtidentität von Nichtidentität und Nichtidentität zum Programm.
Das hat man davon, wenn man Philosophen fragt.
Bei der vieldiskutierten Identitätspolitik geht es um Identität in einem spezielleren Sinn, nämlich die von Menschen – was die Sache nur verworrener macht. Einerseits meint Identität hier das einmalige Ich des Individuums; andererseits scheint sie aber nur in einer Anhäufung von Eigenschaften zu bestehen, die es jeweils mit anderen gemeinsam hat.
In der Jugend kann man experimentieren und gleichsam Probeabos verlockender Identitäten abschließen: Goth oder Skater, pansexuell oder grau-asexuell, Trotzkist oder Salafist.
Man mag insistieren: »Ich bin eben, wie ich bin« – aber wie ist man denn? In der Jugend kann man experimentieren und gleichsam Probeabos verlockender Identitäten abschließen: Goth oder Skater, pansexuell oder grau-asexuell, Trotzkist oder Salafist; besonders populär ist derzeit die sogenannte Geschlechtsidentität, obwohl niemand so genau erklären kann, was diese eigentlich über jemanden aussagen soll.
Aber der moderne Mensch hungert nach Identität, und so wird allerlei herangezogen, um eine solche zu begründen: Nationalität, Sternzeichen, Myer-Briggs-Persönlichkeitstyp. Am besten eignen sich dafür Merkmale, die sich schwer oder gar nicht ändern lassen, denn sonst bleibt es ja doch wieder an einem selbst hängen zu entscheiden, wer man ist. Damit werden dann weitere Eigenschaften verknüpft, die »uns« Merkmalsträger auszeichnen sollen.
Doch solcherlei Identität ist stets bedroht, nämlich durch Abweichler unter »uns«, die keine Konformität wahren, sowie durch unverfrorene Außenstehende, die sich »unsere« Charakteristika aneignen. Die Sache der Linken sollte am Ende doch eher Nichtidentitätspolitik sein.