06.03.2025
Aus der Haft ordnet Abdullah ­Öcalan die Auflösung der von ihm geführten PKK an

Die Botschaft von der Insel

Der inhaftierte Abdullah Öcalan will, dass die von ihm geführte PKK sich entwaffnet und auflöst. Profitieren dürfte von dieser Anweisung vor allem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Es war bekannt, dass Verhandlungen stattfinden, dennoch kam die Botschaft überraschend. Nach einem Besuch auf der Gefängnisinsel İmralı hat am Donnerstag voriger Woche eine hochrangige Delegation der prokurdischen Partei für die Gleichheit und Demokratie der Völker (DEM Parti) eine Botschaft des gefangenen PKK-Anführers Abdullah Öcalan bekanntgegeben. Nach einer historischen Analyse über Klassen und Völker in seinem üblichen Stil forderte er: »Alle Gruppen müssen ihre Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen.« Ferner erteilte er einem separaten Nationalstaat, einer Verwaltungsautonomie oder Föderation eine Absage. Es ist unklar, was für die kurdische Seite noch übrig bleibt.

Öcalan verlas seine Erklärung vom Blatt inmitten der Delegation und seiner drei Mitgefangenen sitzend. Dies wurde auf Video aufgezeichnet und Standbilder aus dem Video wurden an die Presse gegeben. Zudem sagte Öcalan nach Angaben eines Mitglieds der Delegation noch: »Zweifellos erfordern die Niederlegung der Waffen und die Auf­lösung der PKK in der Praxis eine demokratische Politik.« Schließlich erteilte er der einen Arbeitsauftrag: »Beruft euren Kongress ein und fasst einen Beschluss zur Integration in den Staat und die Gesellschaft.« So stellt sich Öcalan Demokratie vor.

Öcalan erteilte einem separaten Nationalstaat, einer Verwaltungs­autonomie oder Föderation eine Absage. Es ist unklar, was für die kurdische Seite noch übrig bleibt. 

Schon zweimal, 2013 und 2015, hatte Öcalan ähnliche Erklärungen abgegeben. Damals wie heute erweckte Staatspräsident Erdoğan zwar den Eindruck, er begrüße die Entwicklung, hielt sich aber mit konkreten Aussagen zurück. Diesmal ging die Initiative von seinem Koalitionspartner Devlet Bahçeli aus, dem Vorsitzenden der ultranationalistischen MHP, der im Oktober vorigen Jahres ein Versöhnungsangebot formuliert hatte, auf das Öcalan reagierte.

Bahçeli sagte aber auch: »Es gibt keine kurdische ethnische Identität«, und: »Türken und Kurden sind Brüder, wer das nicht akzeptiert, ist unredlich.« Mit solch einer Formel können auch die türkischen Nationalisten in Erdoğans Wählerbasis ­einigermaßen zurechtkommen. Einer, der es nicht kann, der Vorsitzende der Partei des Sieges (ZP), Ümit Özdağ, wurde im Januar wegen Präsidentenbeleidigung inhaftiert.

Der neue »Friedensprozess« dürfte wie bereits in den Jahren 2013 bis 2015 die kurdische Opposition just in einem Moment lähmen, in dem Erdoğans Position zu wanken droht. Die Inflationsrate ist weiterhin hoch, in Januar waren es 42 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat; in den drei größten Städten des Landes, Istanbul, Ankara und İzmir, regiert die Opposition. Der beliebte Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, hat verkündet, dass er bei der Präsidentschaftswahl antreten will. Die soll erst 2028 stattfinden, aber Erdoğan könnte sie vorziehen. Seine zweite Amtszeit gälte dann als nicht absolviert, was es ihm erlaufen würde, erneut zu kandidieren.

Repressionswelle schwappt übers Land

Gleichzeitig schwappt eine Repressionswelle übers Land, nicht zuletzt über die DEM und ihr Umfeld. Nach Razzien am 18. Februar wurden 30 Personen inhaftiert und gegen 13 weitere, die dem Kongress der Demokratie der Völker (HDK) nahestehen, wurde Hausarrest verhängt; insgesamt wird gegen 4.753 Personen ermittelt. Der HDK ist ein Zusammenschluss linker und prokurdischer Parteien unterschiedlicher Couleur.

Mitte Januar wurde die Filmproduzentin und Künstler:innenagentin Ayse Barim festgenommen. Ihr wird »versuchter Umsturz« vorgeworfen, sie soll vor gut elf Jahren an den regierungsfeindlichen Gezi-Protesten teilgenommen haben. Der Richter Fatih Kaplan ließ Barim zunächst wieder frei. Daraufhin wurde sie erneut inhaftiert und gegen den Richter eine Untersuchung eingeleitet. Gegen Auflagen wieder freigelassen wurde der Vorsitzende des Unternehmerverbands Tüsiad, Ömer Aras. Er soll die Justiz beleidigt haben. Der Tüsiad und Erdoğan passten nie recht zusammen. Der türkische Präsident steht dem Müsiad näher, in dem konservativ-islamisch orientierte Unternehmen zusammengeschlossen sind; der Tüsiad sieht zudem Erdoğans Wirtschaftspolitik kritisch.

Auch gegen Istanbuls Bürgermeister İmamoğlu laufen verschiedene Verfahren, die mit Gefängnisstrafen und Politikverbot enden könnten. Doch er wehrt sich und hat Strafanzeige gegen 14 Personen erstattet, denen er die Vorlage falscher Dokumente und Verleumdung vorwirft. Eigentlich wäre es ein Moment, in dem die Opposition zusammenarbeiten müsste, doch die kurdische Opposition ist mit dem »Friedensprozess« beschäftigt.

Keine Feuerpause in Nordsyrien und im Irak

Weiterhin führt die Türkei einen Krieg, in dem sie die kurdischen Gebiete in Nordsyrien und Stellungen im Irak angreift; dabei kommen vor allem Drohnen zum Einsatz. So wurden im Juli und August ein yezidischer Journalist und zwei kurdische Journalistinnen im Irak mit Drohnen getötet. Die Infrastruktur im kurdisch dominierten syrischen Rojava wird ebenfalls ständig angegriffen. Seitens der PKK gab es im Oktober einen Anschlag auf eine Firma in Ankara, die Drohnen für das türkische Militär herstellt.

Offizielle Zugeständnisse hat die türkische Regierung nicht gemacht. Mög­licherweise gibt es informelle Zusagen über die Freilassung politischer Gefangener, von einer Amnestie ist allerdings nicht die Rede. Das Exekutiv­komitee der PKK kündigte am Samstag an, dass man Öcalans Anweisung »­befolgen und umsetzen« werde.

Isoliert auf der Insel İmralı kann Öcalan seit Jahrzehnten keine operative Führungsrolle spielen, er wird jedoch auch von den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) in Rojava als Anführer und ideologische Leitfigur anerkannt.

Auch zu einer Feuerpause in Nordsyrien und im Irak hat sich die Türkei nicht verpflichtet. Isoliert auf der Insel İmralı kann Öcalan seit Jahrzehnten keine operative Führungsrolle spielen, er wird jedoch auch von den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) in Rojava als Anführer und ideologische Leitfigur anerkannt. Doch der SDF-Kommandant Mazlum Kobanê sagte zur Entwaffnung: »Das gilt nur für die PKK, es hat nichts mit uns in Syrien zu tun.« Ohne die schlagkräftige Armee von etwa 70.000 Frauen und Männern wäre Rojava seinen Feinden schutzlos ausgeliefert.

Die Vereinbarung mit Öcalan dürfte die Position der Kurd:innen in Syrien schwächen, während Erdoğan zur islamistisch geführten Interimsregierung in Damaskus beste Beziehungen unterhält. Das Einzige, was derzeit sicher erscheint, ist, dass der »Friedensprozess« mit unklarem Ziel und Ausgang Erdoğans Position innen- und außenpolitisch stärkt.