Die letzten Sozialdemokraten
Der Höhenflug der Linkspartei scheint anzuhalten. Bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft Anfang März erreichte sie 11,2 Prozent, in einem westdeutschen Bundesland wohlgemerkt. Etwa so stark schneidet sie derzeit in den bundesweiten Wahlumfragen ab. Vergessen scheint schon, dass sie 2024 durchgängig bei zwei bis drei Prozent herumdümpelte.
Dass »Die Linke« bei der Bundestagswahl mit 8,8 Prozent recht locker die Fünfprozenthürde übersprang, stellt sicher: Es wird im nächsten Bundestag eine sozialdemokratische Opposition geben. Das ist eine gute Nachricht für alle, die sich im Supermarkt nach den unteren Regalen bücken müssen.
Doch der Jubel über das jüngste Bundestagswahlergebnis lässt vergessen, dass die Linkspartei nicht außergewöhnlich gut abgeschnitten hat – nur halt nicht so schlecht wie in den vergangenen Jahren. 4,355 Millionen Wähler machten im Februar ihr Kreuzchen bei ihr. Das sind nicht einmal 60 000 Stimmen mehr als bei der Bundestagswahl 2017 und 436 000 weniger als 2009.
Die Wähler der Linkspartei sind tendenziell jung, tendenziell weiblich, tendenziell gut gebildet und tendenziell arm.
Und wer wählte die Partei? Statistisch gesehen waren es dieselben Leute wie immer: Die Wähler sind tendenziell jung, tendenziell weiblich, tendenziell gut gebildet und tendenziell arm. In Großstädten ist die Partei viel stärker als auf dem Land, in Berlin wurde sie mit knapp 20 Prozent der Stimmen sogar stärkste Kraft. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land ist schärfer geworden, kulturell und ökonomisch.
In den nuller Jahren konnte die Linkspartei noch viele von jenen erreichen, die die sogenannte Agenda 2010 erschüttert hatte. Seitdem verlor sie an Rückhalt unter Arbeitern und gewann an Unterstützung in Berufsgruppen wie Lehrern, Sozialarbeitern und Journalisten. Dieser Trend setzte sich fort. Doch nach wie vor wird sie überdurchschnittlich oft von Arbeitslosen gewählt und immer noch häufiger in Ost- als in Westdeutschland. Das Klischee, sie sei endgültig zur Partei von Akademikern aus der Großstadt geworden, stimmt also nur zum Teil.
Professioneller Auftritt auf Tiktok und Instagram
Der relative Erfolg der Linkspartei hatte eine Reihe von Gründen: Als einzige Partei vertrat sie im Wahlkampf eine Sozialpolitik, die jenen nützt, die arm sind. Als einzige Partei machte sie die Brutalisierung der Flüchtlings- und Asylpolitik nicht mit. Und sie stellte sich überzeugend als entschlossene Gegnerin der AfD dar.
Die Wutrede der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek, mit der sie darauf reagierte, dass die Unionsfraktion erstmals mit den Stimmen der AfD eine Abstimmung gewonnen hatte, wurde zum Hit auf Social Media. Überhaupt wusste die Linkspartei vor allem junge Menschen mit ihrem professionellen Auftritt auf den Plattformen Tiktok und Instagram zu überzeugen. Schließlich haben über Monate hinweg nach eigenen Angaben Wahlkämpfer an Hunderttausenden Haustüren geklingelt und vermittelt, dass die Partei sich für die Anliegen derjenigen interessiert, die sonst annehmen, dass sie keinen Einfluss auf die Parteien nehmen können.
Überraschend ist, dass ein Kniff der Linkspartei kaum diskutiert wird: Sie sprach potentielle Wähler gezielt als arbeitende Menschen an. In ihren Wahlkampfvideos traten Hafenarbeiterinnen und Hafenarbeiter auf, Straßenreiniger, Pflegerinnen, Bauarbeiter, Feuerwehrleute und viele mehr, die in Arbeitskleidung am Arbeitsplatz zu sehen waren. Programmatisch war die Linke schon immer die Partei derer, die schuften. Diesmal tat sie alles, um das auf der Gefühlsebene zu vermitteln.
Erinnerung an ältere Selbstverständnisse
Daraus kann man schlussfolgern: Wahlkampf- und Werbestrategien sind verwandt, die Entscheidung für eine Partei hängt ähnlich von Gefühl und Identitätsangebot ab wie die Entscheidung für eine Marke. Zugleich zeigt es aber, dass es trotz der allseitigen Instrumentalisierung von Identitäts- und kulturellen Konflikten noch eine Erinnerung an ältere Selbstverständnisse gibt. Leute erkennen wie entscheidend die Erwerbsarbeit für ihr Leben ist und sich selbst in den gezeigten Arbeitern wieder.
Die Linkspartei hat Interessenpolitik für jene im Angebot, deren Gedanken um Arbeit, Miete und Wocheneinkauf kreisen müssen. Angesichts dessen, was die künftige CDU-geführte Bundesregierung in Sachen Sozialstaat und Arbeiterrechten vorhat, dürfte die Nachfrage danach auch in Zukunft nicht abreißen.