13.03.2025
Der einseitige Waffenstillstand der PKK und die Zukunft der kurdischen Selbstverwaltung in Syrien

Herausgeforderte Autonomie

Zum Nationalen Dialog über Syriens Zukunft waren Vertreter:innen der Selbstverwaltung im Nordosten Syriens nicht eingeladen. Sie richteten kurz darauf in Raqqa eine alternative Konferenz aus.

In allen größeren Städten Nordsyriens waren am 27. Februar Großbildschirme aufgestellt, vor denen die lokale Bevölkerung gespannt ausharrte. Nicht etwa, weil ein Fußballspiel von Real Madrid oder ein Konzert von Taylor Swift übertragen werden sollte, sondern weil alle die angekündigte Erklärung des in der Türkei inhaftierten PKK-Gründers und -Anführers Abdullah Öcalan hören wollten. Verlesen wurde sein Aufruf, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen, von Vertreter:innen der prokurdischen Partei für die Gleichheit und Demokratie der Völker (DEM). Kurz darauf rief die PKK einen einseitigen Waffenstillstand aus.

Öcalan richtete sich zwar an die PKK, sprach aber von »allen bewaffneten Gruppen«. Ob damit auch die kurdischen Milizen – die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ – im Norden Syriens gemeint sind, bleibt offen. Die YPG/YPJ sind dort Teil der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die als militärischer Arm der Autonomen Selbstverwaltung (Daanes), auch ­Rojava genannt, fungieren. Die SDF pflegen zwar enge Verbindungen zur PKK, agieren aber unabhängig von dieser. Für die türkische Staatsführung sind PKK und SDF jedoch völlig identisch – beide werden als Terrororganisationen dargestellt und auch so behandelt. Die Türkei greift die Selbstverwaltungsgebiete regelmäßig völkerrechtswidrig an und hält große Teile davon besetzt. Zudem gehen auch die Angriffe gegen die PKK im Nordirak trotz des Waffenstillstands unvermittelt weiter.

Sechs der sieben Mitglieder des Vorbereitungskomitees der Konferenz für den nationalen Dialog waren sunnitische Muslime mit engen Verbindungen zu al-Sharaa beziehungsweise der HTS. 

Mazlum Abdî, der Oberkommandierende der SDF, stellte in einer Pressekonferenz unmittelbar nach Öcalans Aufruf klar, dass dieser ausschließlich an die PKK gerichtet sei und die SDF nicht betreffe. Er begrüßte die Initiative für einen Friedensprozess, betonte aber gleichzeitig erneut die Unabhängigkeit der SDF von der PKK und sagte, dass eine Entwaffnung für die SDF nicht in Frage komme. Für die Selbstverwaltung steht zu viel auf dem Spiel: Die neuen syrischen Machthaber bedrohen die hart erkämpfte Auto­nomie.

Vorvergangene Woche hatte der islamistische Interimspräsident Ahmad al-Sharaa zum »nationalen Dialog« im Präsidentenpalast in Damaskus geladen, bei dem es um Übergangsregelungen für das Land bis zur Aus­arbeitung einer neuen Verfassung ging. Obwohl Sharaa und seine Leute immer wieder politische Inklusion und Partizipation versprechen, waren keine Vertreter der Daanes zu der Konferenz geladen. Auch die Minderheit der Alawiten, zu denen auch die Assad-Fa­milie zählt, blieben von der Konferenz ausgeschlossen.

Entwaffnung der SDF abgelehnt

Die neuen Macht­haber in Syrien hatten die Entwaffnung der SDF und ihre Integration in einer neuen syrischen Armee zur Bedingung der Teilnahme an der Konferenz gemacht. Das lehnen die SDF ab beziehungsweise verlangen, als einheitlicher Block in die Armee integriert zu werden.

Auch die von Sharaa geforderte Aufgabe wesentlicher Autonomie­rechte der Selbstverwaltung, wie ein eigenes Bildungs-, Gesundheits- und Justizwesen, lehnen die SDF ab. Sie kritisieren eine Konzentration der Macht in den Händen der Islamisten, die sich nun bei dem von Sharaa vorangetriebenen Aufbau staatlichen Strukturen zeige. Sechs der sieben Mitglieder des Vorbereitungskomitee der Konferenz waren sunnitische Muslime mit engen Verbindungen zu Sharaa beziehungsweise zu seiner mittlerweile aufgelösten Miliz HTS, die wesentlich am Sturz des Diktators Assad beteiligt war.

Der kurdische Politiker von der Partei der Demokratischen Union in Syrien, Salih Muslim, bemängelte die Einseitigkeit, die nicht die multiethnische und -konfessionelle Realität des Landes widerspiegele: »Wir befürchten, dass Persönlichkeiten und Parteien, die den Wünschen der salafistischen Bewegungen entsprechen, eingeladen werden, um deren Ambitionen zu verwirklichen und nicht die Interessen des syrischen Volks.«

Weiterhin berechtigte Zweifel

Hinter verschlossenen Türen finden Verhandlungen zwischen der SDF und der neuen Führung unter Sharaa statt, deren Ausgang jedoch ungewiss erscheint. Abdî reiste im Januar nach Damaskus, um zu sondieren. Zudem reiste Sharaa Mitte Februar nach Afrin und versprach dort den mehrheitlich kurdischen Bewohner:innen, deren Sicherheit in der von der Türkei kontrollierten Stadt zu verbessern. Abdî hatte daraufhin Sharaa eingeladen, Rojava zu besuchen.

Doch da von Seiten der Selbstverwaltung weiterhin berechtigte Zweifel bestehen, wie ernst die neue syrische Interimsregierung ihr Versprechen eines inklusiven Übergangsprozesses meint, traf sich Anfang März in Raqqa ein eigenes »Syrisches Forum für ­Nationalen Dialog« mit Teilnehmer:in­nen aus Nordsyrien, Aleppo, Dara’a, ­Suwayda, Damaskus und Latakia. Zwei Tage nach der Konferenz in Damaskus kamen dort unter der Leitung der ­Daanes und der SDF etwa 200 Menschen zusammen.

In der Abschlusserklärung wurden konkrete Vorschläge gemacht, wie der Übergangsprozess für ein neues Syrien demokratischer gestaltet werden könne. So sollen unter anderem regionale Dialogforen geschaffen, eine Übergangsjustiz implementiert, die Verwaltung dezentralisiert und die Rechte ­aller ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen anerkannt und geschützt werden.

Viel wird davon abhängen, welche außenpolitischen Volten US-Präsident Donald Trump noch schlagen wird. Der von ihm verhängte weltweite Auszahlungstopp aller Hilfsgelder der Behörde USAID betrifft auch den Norden Syriens. 

Dass die Machthaber in Damaskus um Sharaa diesen Vorschlag als Grundlage einer neuen syrischen Verfassung anerkennen, darf bezweifelt werden. Ohnehin wird viel davon abhängen, welche außenpolitischen Volten US-Präsident Donald Trump noch schlagen wird. Der von ihm verhängte weltweite Auszahlungstopp aller Hilfsgelder der Behörde USAID betrifft auch den Norden Syriens. Zwar hat der Oberste Gerichtshof diese Entscheidung am Mittwoch aufgehoben und die Auszahlung der eingefrorenen Gelder angewiesen, doch dabei handelt es sich um eine vorläufige Entscheidung, der Rechtsstreit ist damit noch nicht beigelegt.

Außerdem hat Trump bereits angekündigt, die rund 2.000 noch in Syrien stationierten US-Soldaten abzuziehen, die dort gegen den weiterhin aktiven »Islamischen Staat« im Einsatz sind. Ohne die militärische Stärke dieses Verbündeten wären die SDF und damit die gesamte Selbstverwaltung unmittelbar gefährdet. Ein Abzug hätte Auswirkungen auf die Sicherheit in der gesamten Region. Besonders betroffen wären Gefängnisse und Flüchtlingslager, in denen mehr als 50.000 Menschen untergebracht sind, darunter rund 9.000 IS-Kämpfer. Ohne US-Truppen könnte es für die SDF schwierig werden, diese Einrichtungen weiterhin zu sichern.