Zwischen den Stühlen
»Be quiet, small man«, kommentierte Elon Musk kürzlich Einträge des polnischen Außenministers Radosław Sikorski auf der Plattform X. Die Auseinandersetzung zwischen Musk und Sikorski hatte sich am 9. März am Starlink-Satelliten-Internetsystem entzündet. Nachdem Sikorski in einem Tweet unterstrichen hatte, dass die polnische Regierung sich finanziell an der Bereitstellung des Systems von Musks Unternehmen Space X für die Ukraine beteilige, und in Frage gestellt hatte, dass Space X noch ein zuverlässiger Partner sei, reagierte Musk ausfällig. Zur Seite sprang ihm dabei auch US-Außenminister Marco Rubio, der die bereits zuvor erhobene Forderung seiner Regierung wiederholte: Man solle ihr doch bitte endlich einmal danken.
Als konfliktscheu gilt Sikorski zwar nicht, doch eine offene Auseinandersetzung mit Vertretern der US-Regierung passt nicht in die Strategie, die er derzeit gegenüber den USA verfolgt. Dementsprechend folgte auch wenige Stunden später ein Entgegenkommen, als Sikorski in der Antwort auf Rubio ein Wort des Danks äußerte und die guten Beziehungen Polens und der USA unterstrich. Auf so versöhnliche Töne hin lenkte selbst Musk ein.
Ministerpräsident Tusk schickt sich an, Polen zum Vorreiter bei der europäischen Verteidigung zu machen – ganz nach dem Motto der polnischen EU-Ratspräsidentschaft: »Sicherheit, Europa«.
Abgesehen von solchen Streitigkeiten in den sozialen Medien gilt Sikorski als derjenige im politischen Führungspersonal Polens, der das beste Händchen im Umgang mit der US-Regierung besitzt. Sikorski, der 1981 die Volksrepublik Polen verließ, in England politisches Asyl erhielt und in Oxford den Studiengang »Philosophy, politics and economics« abschloss – wie viele prominente Politiker vor ihm –, machte zunächst als Kriegsberichterstatter und Journalist im anglophonen Raum Karriere. In den neunziger Jahren begann er in Polen seine politische Karriere. Seine vorherige Berufserfahrung als Journalist sowie seine Ehe mit der US-amerikanischen liberal-konservativen Publizistin Anne Applebaum haben ihm den Ruf als »Amerikaflüsterer« eingebracht.
Sikorski pflegt seit langer Zeit intensive Kontakte mit Vertreter:innen der Republikanischen Partei. Im September 2024 war er bei verschiedenen US-amerikanischen Fernsehsendern zu Gast, darunter dem den Republikanern nahestehenden Sender Fox News. Bei diesen Auftritten war er sehr bemüht, die guten polnisch-US-amerikanischen Beziehungen zu betonen und sich nicht auf die Seite einer der beiden großen Parteien zu stellen. Auch nach dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump im Januar pflegt Sikorski, der zu Beginn der nuller Jahre selbst noch mit der rechtskonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) verbunden war, bevor er zur liberal-konservativen Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition, KO) von Ministerpräsident Donald Tusk wechselte, seine Kontakte zu den Republikanern weiter. Ende Februar war er zu Gast bei der Conservative Political Action Conference (CPAC), einem jährlichen Treffen des rechten Lagers von erzkonservativ bis extremistisch.
Faszination für Trump und seine MAGA-Bewegung
Neben Sikorski waren bei der diesjährigen CPAC vor allem polnische Politiker der rechtsextremen Konfederacja und der PiS vertreten, darunter am prominentesten der polnische Präsident Andrzej Duda, der PiS nahesteht. Dessen Besuch in den Vereinigten Staaten war allerdings nicht von Erfolg gekrönt. Sein groß angekündigtes Treffen mit Trump am 22. Februar wurde in einem Teil der polnischen Presse mit Häme kommentiert, hatte dieser Duda doch zunächst eine Stunde warten lassen, bevor er sich zu einem zehnminütigen Gespräch herabließ, das keine greifbaren Resultate hervorbrachte.
Einen ähnlich unsouveränen Eindruck hinterließ kürzlich eine Aussage Dudas in der Financial Times: In einem anscheinend mit der polnischen Regierung nicht abgesprochenen Statement sagte er, er halte es sicherheitspolitisch für notwendig, US-Atomwaffen in Polen zu stationieren. Diesen Vorschlag räumte US-Vizepräsident J. D. Vance jedoch noch am selben Tag in einem Interview mit Fox News ab. Vance sagte, er habe das Thema nicht mit Trump besprochen, wäre aber »schockiert«, wenn dieser die Ausbreitung des US-amerikanischen Atomwaffenarsenals weiter nach Osten unterstützen würde.
Trotz dieser brüsken Abweisung Dudas durch Vertreter der US-Regierung sowie der außenpolitischen Haken, die Trump schlägt, scheint PiS unbeirrbar
in ihrer Faszination für Trump und seine Bewegung. Diese schlägt sich nicht nur in symbolischen Aktionen der PiS-Fraktion im Sejm nieder, die dort, kurz nachdem der Wahlsieg Trumps feststand, bemützt mit Maga-Kappen den Namen Trumps skandierte.
Finanzpolitische Deregulierung und »Antiwokismus«
Sie offenbart sich auch in den Aussagen des führenden PiS-Personals: Die Parteileitung rund um den Vorsitzenden und ehemaligen Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński versichert in öffentlichen Aussagen regelmäßig, dass Trump trotz seiner Kritik an EU und Nato an der militärischen Unterstützung Polens festhalten werde. Auch die Äußerungen von Trump und Vance über die undankbare Ukraine und die Kritik an deren Präsidenten Wolodymyr Selenskij übernimmt PiS gerne, die sich zu Beginn der russischen Vollinvasion, damals noch als Regierungspartei, als großer Unterstützer der Ukraine geriert hatte.
Während das Personal anderer europäischer rechtskonservativer und rechtsextremer Parteien, wie beispielsweise des französischen Rassemblement national, sich in den vergangenen Wochen zumindest rhetorisch von Trumps außenpolitischen Ausführungen abgrenzte, versucht PiS, durch gute Beziehungen zum Lager des US-amerikanischen Präsidenten auch die im Mai anstehende Präsidentschaftswahl zu beeinflussen. So hofft die Partei wohl, dass sich Trump oder Musk vor den Wahlen für den PiS nahestehenden Kandidaten, Karol Nawrocki, aussprechen werden, so wie dies beispielsweise Musk bei der Bundestagswahl in Deutschland zugunsten der AfD getan hat.
Nawrockis Umfragewerte sinken derweil und es droht ihm sogar, dass er die sicher geglaubte Stichwahl nicht erreicht. Überholen könnte ihn Sławomir Mentzen, Kandidat der Konfederacja, der mit seinem Programm der finanzpolitischen Deregulierung und seinem »Antiwokismus« insbesondere unter jungen Männern populär ist. Außenpolitisch plädiert er für eine ausschließlich auf das nationale Interesse Polens gerichtete Politik und einen weitgehenden Rückzug Polens aus der Unterstützung der Ukraine. Seit vielen Wochen unumstritten auf dem ersten Umfrageplatz rangiert hingegen Rafał Trzaskowski, der seit 2018 Stadtpräsident von Warschau ist und als Kandidat für das Wahlbündnis Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition), deren stärkste Partei Tusks PO ist, antritt. Trzaskowskis Sieg gilt derzeit als sehr wahrscheinlich und würde der amtierenden Regierung außen- und sicherheitspolitisch den Rücken stärken.
Polen zum Vorreiter bei der europäischen Verteidigung zu machen
Währenddessen schickt sich Tusk an, Polen zum Vorreiter bei der europäischen Verteidigung zu machen – ganz nach dem Motto der derzeitigen polnischen EU-Ratspräsidentschaft: »Sicherheit, Europa«. Dazu gehören sowohl die stete Anhebung des Verteidigungsbudgets, das in diesem Jahr 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen soll, als auch die angekündigten Pläne, massenhaft freiwillige Militärschulungen für erwachsene Männer zu organisieren.
Darüber hinaus stimmte das Europäische Parlament am 12. März dafür, das polnische Investitionsprogramm »Schutzschild Ost«, das etwa 2,5 Milliarden Euro für die Sicherung der Ostgrenze Polens und der Ostflanke der Nato bereitstellen will, in seine gemeinsame Verteidigungsstrategie aufzunehmen. Tusk selbst eilt von einem EU-Spitzentreffen zum anderen und bemüht sich um eigene sicherheitspolitische Initiativen, wie bei seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am 12. März, bei dem er diesen überzeugen wollte, eine führende Rolle in Verhandlungen für ein Ende des Kriegs zwischen der Ukraine und Russland zu übernehmen.
Die Strategie der polnischen Regierung, sich um Kooperation mit den USA zu bemühen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die EU eine eigenständige Militärpolitik entwickelt, scheint derzeit aufzugehen. Der Sieg Trzaskowskis bei der Präsidentschaftswahl ist dafür aber von entscheidender Bedeutung.