»Auf einmal war die Klage wirklich ein Thema«
Nach den beiden Verhandlungstagen und der Ankündigung, dass das Gericht schon am 14. April sein Urteil verkünden wird, wie fühlen Sie sich?
Ich bin besorgt, auch etwas enttäuscht, dass der eine Gutachter das Risiko, dass es zu einer Flutwelle kommen könnte, die Huaraz zerstören und mein Haus beschädigen würde, so gering einschätzt.
Der Gutachter der Klägerseite schätzt das Risiko auf bis zu 30 Prozent. Dem Sachverständigen des Gerichts zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit hierfür innerhalb der nächsten 30 Jahre bei nur einem Prozent. Werden Sie dennoch zur Urteilsverkündung am 14. April erneut kommen?
Nein, das ist zu aufwendig. Hinzu kommt, dass ich nicht schon wieder CO2-Emissionen verantworten möchte und dass die Chancen für ein Urteil, das RWE wirklich zur Verantwortung zieht, nicht so groß sind.
Sie glauben nicht, dass es zu einem Urteil gegen RWE kommt?
Bis vor wenigen Tagen habe ich die Chancen auf fünfzig zu fünfzig eingeschätzt. Als Peruaner, der immer wieder mit einer Justiz konfrontiert ist, die nicht unabhängig ist, bin ich ohnehin skeptisch. Mittlerweile weiß ich, dass die Wahrscheinlichkeit nicht sonderlich groß ist, dass RWE verurteilt wird – das ist schade, denn ich hätte das Geld gern gespendet. Es hätte in den Fonds gehen sollen, aus dem das Monitoring und die Instandhaltung der Anlagen, vor allem der Pumpen, an und in der Laguna Palcacocha finanziert werden.
»Die Gletscher sind in den letzten Jahren weiter zurückgegangen und derzeit sind keine großen Eisabbrüche zu befürchten – es ist einfach wenig übrig vom Gletscher.«
Es geht um eine Entschädigungszahlung von 17.000 Euro. Sie fordern, dass RWE 0,47 Prozent der Gesamtkosten für die Schutzmaßnahmen rund um die Laguna Palcacocha übernimmt – entsprechend dem Anteil des Unternehmens am globalen CO2-Ausstoß. Auch wenn das unwahrscheinlich ist: Überwiegt die Freude, überhaupt so weit gekommen zu sein?
Ich bin enttäuscht, ein Schuldspruch ist – oder besser gesagt, war – das Ziel. Ein Urteil, dass RWE zu Zahlungen verpflichtet, hätte noch mehr Symbolcharakter entfaltet, als der Prozess es ohnehin schon getan hat.
Ihre Anwältin Roda Verheyen hat mehrfach betont, dass Sie schon gewonnen haben, weil die Klage überhaupt zugelassen wurde. Dies schaffe einen Präzedenzfall, um zukünftig Staaten und Unternehmen für die Folgen der Klimakrise juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Sehen Sie das auch so?
Ja, grundsätzlich schon. Sehr positiv ist, dass eine deutsche Delegation aus Richtern, Anwälten und Gutachtern im Mai 2022 in Huaraz war; dass wirklich vor Ort untersucht, überprüft und eruiert wurde. Das war ein fundierter, gut vorbereiteter Besuch und er hat hier in Huaraz vielen die Augen geöffnet. Auf einmal war die Klage hier wirklich ein Thema. Die Nachbarn auf dem Dorf, aber auch in Huaraz, wo ich ein Haus habe, haben begriffen, wie alles zusammenhängt. Das hat die Menschen sensibilisiert. Die Gerüchte verstummten, die behaupteten, ich würde Geld für die Klage bekommen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, gegen einen deutschen Konzern zu klagen, der seine Konzernzentrale mehr als 10.000 Kilometer entfernt von Huaraz hat?
Die Idee stammt weniger von mir und mehr von meinem Vater. Er ist derjenige, der mich auf die Idee gebracht, mich animiert und unterstützt hat, eine derartige Klage anzustrengen. Daraufhin habe ich über einen guten Freund, José Valdivia, den Kontakt zu Germanwatch geknüpft. Nach der UN-Klimakonferenz 2014 in Lima kam eine Germanwatch-Delegation nach Huaraz. Das war der Auftakt.
Und dann sind Sie damals mit Ihrem Vater und der deutschen Delegation zur Laguna Palcacocha hinaufgestiegen?
So ungefähr. Wir sind wirklich am nächsten Morgen zum Bergsee gewandert und haben den Pegelstand inspiziert und über die Bedrohung diskutiert, die von der vollgelaufenen Lagune für Huaraz ausgeht. Ich wollte aktiv werden und Germanwatch hat mir dann aufgezeigt, was möglich ist – wie wir gemeinsam agieren können. Daraufhin haben wir einen offenen Brief an RWE aufgesetzt. Germanwatch hatte auch den Kontakt zu meiner Anwältin, Roda Verheyen.
Damals war der Pegelstand deutlich höher als heute, richtig?
Ja, wir sprechen von etwa fünf Meter Unterschied zwischen damals und heute.
Geht derzeit von der Laguna Palcacocha ein akutes Überschwemmungsrisiko aus?
Der Pegel ist auf einem eher niedrigen Stand, zudem haben wir mittlerweile das Sicherheitssystem, um Wasser abzupumpen und die Wassermenge effektiv zu regulieren. Dieses System ist erst nach 2014 installiert worden. Hinzu kommt, dass die Gletscher in den letzten Jahren weiter zurückgegangen sind und derzeit keine großen Eisabbrüche zu befürchten sind – es ist einfach wenig übrig vom Gletscher.
Allerdings gibt es ein anderes Risiko, und das sind die Felsabbrüche. Die Lagune enthält rund 17 Millionen Kubikmeter Wasser. Das hat das Potential für eine riesige Flutwelle. Eine Felsnase, die abbricht, könnte diese Welle auslösen – ein Desaster.
Mittlerweile enthält die Lagune mehr Wasser als 1941. In dem Jahr ereignete sich eine Flutwelle, die den Tod von über 1.000 Menschen nach sich zog. Gab es damals Warnungen, die nicht beachtet wurden?
Hans Kinzel, ein Geologe und Gletscherforscher aus Österreich, hatte 1940 gewarnt, dass der hohe Wasserstand der Laguna Palcacocha zu einem Risiko für die darunter liegende Stadt Huaraz werden könne. Kinzel hatte Ende der dreißiger Jahre in und um Huaraz geforscht und seine Beobachtungen, darunter auch einige Fotos, ein Jahr vor der Katastrophe oder sogar noch früher publiziert. Sie wurden allerdings nicht beachtet. Die Warnung wurde in den Wind geschlagen – von den Menschen, die in der Region lebten, aber auch von den Behörden. Man hatte die Natur und ihre ungeheuren Kräfte unterschätzt, obwohl es sich zuvor abgezeichnet hatte, dass ein großes Stück des Gletschers abbrechen, in den See fallen und die Katastrophe auslösen könnte.
»Das Wasser aus den Bergen ist zum Teil kontaminiert. Das liegt daran, dass dort, wo die Gletscher weggeschmolzen sind, Mineralien oxidieren, die früher unter Eis eingekapselt waren.«
Auf dem Weg nach Huaraz sieht man keine Windkraftanlagen, kaum Solarpaneele. Welche Bedeutung haben regenerative Energieträger in der Region?
Es gibt die ersten Solarpaneele, ja, aber es sind wenige und nachhaltige Energiegewinnung spielt in dieser Region nur eine untergeordnete Rolle. Das ist typisch für Peru – wir sind ein wenig innovatives Land, halten uns lieber an die Ausbeutung von Ressourcen wie Erdgas, Kupfer und anderen Industriemetallen sowie Gold. Das ist die bittere Realität. Dabei hängen Huaraz und die Orte unterhalb der Kordillere von Wasserkraftanlagen ab, die nur funktionieren, wenn genug Wasser von oben kommt. Doch es wird wegen der fortgeschrittenen Gletscherschmelze und den sinkenden Niederschlägen weniger.
Weniger Wasser ist vor allem für die Landwirtschaft ein Problem. Was wird dagegen unternommen?
Das sinkende Wasserangebot bekommen wir schon jetzt zu spüren. Trotzdem kommen die Pläne, Wasserreservoirs zu bauen und einen geschlossenen Kreislauf mit Klärwerk und Wasseraufbereitung aufzubauen, bisher nicht voran. Hier liegt eine große Herausforderung, denn das Wasser aus den Bergen ist zum Teil kontaminiert. Das liegt daran, dass dort, wo die Gletscher weggeschmolzen sind, Mineralien oxidieren, die früher unter Eis eingekapselt waren.
Warum kommen die Maßnahmen nur schleppend voran?
Es wird zwar hin und wieder diskutiert und die Probleme und Herausforderungen werden benannt, aber es passiert nichts beziehungsweise zu wenig. Ein strukturelles Problem ist die Korruption – das Gros der politisch Verantwortlichen der vergangenen Jahre aus der Provinz Ancash sitzt in Haft, weil es bestechlich war. Das ist in Lima nicht anders. Peru ist ein Land in den Fängen der Korruption.
Sie haben vor ein paar Jahren gesagt, dass Sie sich vorstellen könnten, eine Klage wie die gegen RWE auch in einem anderen Land, zum Beispiel den USA, zu führen. Ist das noch eine Option?
Puh, wenn diese Klage am 14. April mit einem Urteil endet, dann ist es für mich erst einmal Zeit für eine Pause.
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Saúl Luciano Lliuya ist peruanischer Bergführer und Kleinbauer aus Huaraz, und führt unterstützt von Germanwatch seit 2015 eine Klage gegen den deutschen Energiekonzern RWE. Er hat das Essener Unternehmen als einen der größten europäischen CO2-Emittenten wegen dessen Beitrag zur globalen Klimaerhitzung vor Gericht gebracht. Oberhalb der Stadt Huaraz, in den Anden, schmelzen die Gletscher. Dadurch ist ein See, die Laguna Palcacocha, stark angeschwollen, der die Stadt überfluten könnte. Sein Damm wurde verstärkt, Pumpen installiert, um Wasser abzuleiten, Personal eingestellt, das den Pegelstand beobachtet – all das kostet Geld. An diesen Kosten soll sich RWE beteiligen.