03.04.2025
Marine Le Pen darf voraussichtlich nicht zur nächsten Präsidentschaftswahl antreten

Rückschlag für Le Pen

Marine Le Pen hat Millionensummen veruntreut, deshalb darf sie 2027 voraussichtlich nicht zur Präsidentschaftswahl antreten. Sie stellt sich als Opfer eines politischen Urteils dar, ihre Partei ruft zum Widerstand auf.

Paris. Wer solche Freunde hat … Wladimir Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow machte sich am Montag Sorgen um »die Missachtung der Regeln der Demokratie« in Frankreich. US-Präsident Donald Trump tat es ihm gleich und zog Parallelen zu Vorgängen im eigenen Land – deren Opfer er selbst geworden sei. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán twitterte, anspielend auf die Solidaritätsparole »Je suis Charlie« (Ich bin Charlie) nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris vor zehn Jahren: »Je suis Marine.«

Die von dem Trio Bedauerte, die diesen Vornamen trägt, die 56jährige Fraktionsvorsitzende des Rassemblement national (Nationale Sammlung, RN) in der französischen Nationalversammlung und jüngste Tochter des zu Jahresanfang verstorbenen Jean-Marie Le Pen, war am selben Tag von einer dreiköpfigen Gerichtskammer in Paris zu vier Jahren Haft verurteilt worden, davon zwei auf Bewährung und zwei mit elektronischer Fußfessel, sowie zu 100.000 Euro Geldstrafe und fünf Jahren Entzug des passiven Wahlrechts. Einzig Letzteres tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Die anderen Strafen sind, da Marine Le Pen in Berufung ging, ausgesetzt. Neben ihr wurden 23 Mitangeklagte sowie ihre Partei als juristische Person verurteilt.

Jordan Bardella gilt vielen Mitgliedern wie auch Wählern des RN als geeigneter Ausweichkandidat und diente bereits im Juni vergangenen Jahres bei der Europaparlamentswahl sowie kurz darauf bei den vorgezogenen Parlamentswahlen als Spitzenkandidat.

»Erdbeben«, »politisches Großereignis«, »Katastrophe«: An großen Worten mangelte es zu Wochenanfang in den Medien nicht. Auf vielen Fernsehkanälen folgte Sondersendung auf Sondersendung zum Thema. Denn nun ist fraglich, ob Le Pen wie geplant zur turnusmäßig im Frühjahr 2027 anstehenden Präsidentschaftswahl antreten kann.

Das wäre nur noch möglich, falls das Berufungsgericht vorher eine Entscheidung zugunsten Le Pens im zweitinstanzlichen Verfahren trifft. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich, handelt es sich doch um einen komplexen Prozess – allein das am Montag vom Gericht verlesene Urteil umfasst 152 Seiten, die Verkündung nahm drei Stunden in Anspruch.

Marine Le Pen hat bereits 2022 den Parteivorsitz an ihren jungen Nachfolger Jordan Bardella übergeben. Der 29jährige gilt vielen Mitgliedern wie auch Wählern des RN als geeigneter Ausweichkandidat und diente bereits im Juni vergangenen Jahres bei der Europaparlamentswahl sowie kurz darauf bei den vorgezogenen Parlamentswahlen als Spitzenkandidat.

Ausdrücklich sagen dürfen dies allerdings weder Bardella selbst noch die Verfechter einer solchen Lösung, sonst würde wohl der innerparteilich nach wie vor mächtige Familienclan Le Pen – dem Bardella auch seinen Aufstieg verdankt, immerhin war er zeitweilig der Lebenspartner einer Nichte von Marine und Enkelin von Jean-Marie Le Pen – über ihn herfallen. Wer in der Vergangenheit versuchte, in der Partei an der Familie des Gründers vorbei etwas zu organisieren, lief jedenfalls immer gegen die Wand. So wie der im Winter 1998 geschasste Chefideologe Bruno Mégret: Er hatte sich angeboten, als Spitzenkandidat an Stelle des damals – aufgrund einer Verurteilung in einem Strafverfahren wegen rassistischer Äußerungen – mit zweijährigem Kandidaturverbot belegten Jean-Marie Le Pen zur Europawahl 1999 anzutreten, was seiner Parteikarriere schlecht bekam.

Im Prozess wurde Marine Le Pen und den anderen Angeklagten vorgeworfen, Mittel des Europäischen Parlaments unterschlagen zu haben. Deren Höhe schätzte das Gericht auf 4,1 Millionen Euro. Konkret ging es darum, dass das Europaparlament die Anstellung von parlamentarischen Mitarbeiterinnen unter Bedingungen stellt. Ihre Tätigkeit muss im Zusammenhang mit der europaparlamentarischen Arbeit ihrer Abgeordneten stehen.

Genaue Erfassung der Arbeitszeit mittels einer elektronischen Stechuhr

Diese Regel wurden beim damaligen Front national, dem heutigen RN, im für die Strafverfolgung untersuchten Zeitraum von 2004 bis 2016 grob missachtet. Mehrere der parlamentarischen Fraktionsmitarbeiter des RN wussten Vernehmungsprotokollen zufolge nicht einmal, wo sich das Büro ihres oder ihrer Abgeordneten in Brüssel befand, oder waren im Rahmen ihrer Anstellung noch nie nach Brüssel gereist. Vielmehr arbeiteten sie mehr oder minder ausschließlich in der Parteizentrale des Front national, die damals in Nanterre bei Paris lag – die Parteibüros des jetzigen RN wurden mittlerweile ins vornehme 16. Pariser Arrondissement verlegt –, wo praktischerweise eine genaue Erfassung ihrer Arbeitszeit mittels einer elektronischen Stechuhr stattfand.

Das Gericht kam deswegen zu dem Schluss, Marine Le Pen habe »im Zentrum eines Systems« gestanden, das dazu diente, Geldmittel der EU-Institutionen zweckentfremdet einzusetzen. Die französische rechtsextreme Partei hatte damals erhebliche finanzielle Probleme, insbesondere aufgrund ihres relativ schwachen Abschneidens bei den Wahlen 2007. Die staatliche Parteienfinanzierung in Frankreich richtet sich nach den Ergebnissen bei Parlamentswahlen.

Erst der im Nachhinein skandalumwitterte, vom Putin-Regime vermittelte Millionenkredit einer russischen Bank von 2014 und später das gute Abschneiden bei den Wahlen von 2022 und 2024 behoben die Geldprobleme der Partei. Nun muss der RN allerdings eine Million Euro Geldstrafe bezahlen, die Zahlung einer weiteren Million wurde auf Bewährung ausgesetzt.

Vorbild Trump?

Le Pen und ihr Clan finden sich bislang weder mit dem Urteil noch mit einem Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur ab. Sie werde »kämpfen« und alles dafür tun, bei der Präsidentschaftswahl anzutreten, so Le Pen. Das Urteil tat sie als »politisch« ab. Bardella schimpfte unterdessen über die »­Tyrannei« der »roten Richter« und rief zu »friedlichem Widerstand« auf.

Ob die Partei friedlich bleiben oder eine Strategie wie Donald Trump verfolgen sollte, der zum Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C., am 6. Januar 2021 anstachelte, ist umstritten. Zwar drängt es einen Teil der rechtsextremen Wählerschaft zu solchen Aktionen, doch käme dies bei einem anderen Teil derselben schlecht an. Das reaktionäre Kernpublikum in den USA hat als Idealbild den waffentragenden Siedler, der ein Land erobert und dabei dem Staat vorausgeht. In Frankreich dagegen bezieht sich die autoritäre Rechte eher auf einen über Jahrhunderte aufgebauten zentralisierten Staat.

Bardella soll Trumps Maga-Bewegung näher stehen als Marine Le Pen, sich jedenfalls für ihre rechtslibertären und wirtschaftsliberalen Aspekte interessieren, während Le Pen bei einer eher nationalkeynesianischen Ausrichtung bleibt. 

Bardella soll Trumps Maga-Bewegung näher stehen als Marine Le Pen, sich jedenfalls für ihre rechtslibertären und wirtschaftsliberalen Aspekte interessieren, während Le Pen bei einer eher nationalkeynesianischen Ausrichtung bleibt. Im Februar weilte Bardella in Maryland bei der CPAC, der Konferenz, auf der sich seit 1973 jährlich Erzkonservative mit Rechtsextremen treffen.

Bardella reist jedoch ab, als der Trump-Berater und Maga-Ideologe Stephen Bannon dort die zuvor von Elon Musk erprobte Andeutung oder Abwandlung eines faschistischen Grußes öffentlich wiederholte. Bannon jedenfalls gab Bardella damals mit auf den Weg, dass er keine große politische Zukunft vor sich habe, weil er ein »kleines Mädchen und ein Feigling« sei.