Abgeschoben ins Land des Genozids
Zehn Jahre lag das Massaker zurück, das der »Islamische Staat« (IS) in der mehrheitlich von Yezid:innen bewohnten nordirakischen Stadt Sinjar verübte, als die UN-Untersuchungsmission für vom IS begangene Verbrechen, Unitad, im Spätsommer 2024 ihre Arbeit beendete. Den Yezid:innen sei »unsägliches Leid zugefügt« worden, die Unitad habe »eindeutige und überzeugende Beweise« für einen Völkermord gesammelt, sagte die UN-Sonderbeauftragte Ana Peyró Llopis. Dies sei der »erste Schritt, um hoffentlich zu verhindern, dass sich solche Gräueltaten wiederholen«. Doch ausgeschlossen ist das keineswegs.
In etwa zur selben Zeit hatte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock in Berlin bei einem Gedenkakt zum zehnten Jahrestag des Massakers in Sinjar gesagt, sie sei »unglaublich dankbar«, dass die bei der Veranstaltung anwesenden Yezid:innen dem IS-Terror entkommen konnten. Deutschland trage »Verantwortung dafür, dass sich so eine Barbarei nie wieder wiederholt«. Die Abschiebungen von in die Bundesrepublik geflüchteten Yezid:innen in den Irak waren da schon wieder im Gange.
Schätzungen von Pro Asyl gehen von 10.000 ausreisepflichtigen yezidischen Flüchtlingen in Deutschland aus.
Schon Anfang 2024 hatte die irakische Regierung die Schließung des UN-Camps Shariya angedroht, in dem über 12.000 vom IS vertriebene Yezid:innen leben. Wohin diese gehen können, weiß niemand. »Yeziden fürchten immer noch um ihr Leben, wenn sie zurückkehren sollen«, sagte im August vergangenen Jahres Kadry Furany, der Landesdirektor der Hilfsorganisation Care im Irak. »Die Anwesenheit bewaffneter Gruppen stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko für alle dar, insbesondere aber für Frauen und Mädchen.« Sie müssten »Entführung, Vergewaltigung und Misshandlung« fürchten, so Furany. »Die Dörfer und Städte im einstigen yezidischen Siedlungsgebiet sind immer noch größtenteils zerstört.«
Bis heute drohen »trotz der Zurückdrängung des sogenannten Islamischen Staats weiterhin Anschläge und Entführungen«, sagt eine Vertreterin der Beratungsstelle Pena-Ger der Jungle World. »Besonders gefährlich sind Abschiebungen für traumatisierte Frauen und Kinder, die mit den Tätern des Genozids konfrontiert werden.«
Immer neue Ablehnungen von Asylanträgen
Nach Schätzungen von Pro Asyl sind derzeit bis zu 10.000 yezidische Flüchtlinge aus dem Irak in Deutschland ausreisepflichtig und damit von einer Abschiebung bedroht. Die genaue Zahl ist unbekannt, denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) registriert yezidische Geflüchtete unter jenen mit irakischer Staatsangehörigkeit nicht gesondert. Nach Angaben der Beratungsstelle Pena-Ger werden immer neue Ablehnungen von Asylanträgen irakischer Yezid:innen ausgesprochen, es gibt kein Entscheidungsmoratorium wie bei syrischen Yezid:innen.
Am 22. März protestierten deshalb Tausende Yezid:innen in Hannover für ein Bleiberecht. Yezid:innen »erhalten Abschiebebescheide, während diejenigen, vor denen sie geflohen sind, teilweise unbehelligt ihr Dasein fristen«, schrieb die yezidische Journalistin Düzen Tekkal zu der Aktion.
In mehreren Bundesländern sind Abschiebestopps für Yezid:innen in den Irak ausgelaufen. Bis Dezember 2023 waren yezidische Frauen sowie Minderjährige und deren Väter durch eine solche Regelung geschützt. Die Bundesländer aber können eine solche Maßnahme nur für sechs Monate aufrechterhalten – danach ist eine Zustimmung des Bundes erforderlich. Doch das SPD-geführte Bundesinnenministerium hat die Zustimmung für die Verlängerung der Abschiebestopps verweigert.
»Viele der Täter wurden nie verurteilt«
Zudem habe das Bamf den Schutzstatus von fast 1.500 in Deutschland anerkannten Yezid:innen widerrufen, so Pena-Ger. Und seit April 2024 sind Abschiebungen in den Irak auch für nichtvorbestrafte Personen wieder möglich.
»Besonders besorgt sind wir darüber, dass derzeit die Lage im Şingal (dem Distrikt Sinjar; Anm. d, Red.) immer unsicherer für Yezid:innen wird«, sagt Caroline Mohrs vom Flüchtlingsrat Niedersachsen der Jungle World. »Viele der Täter des Genozids wurden nie verurteilt und sind weiterhin frei.« In den sozialen Medien gebe es »Hassrede und Propaganda gegen Yezid:innen«, islamistische Kräfte »erstarken in der Region«, sagt Mohrs. »Der irakische Staat kann heute, genauso wie 2014, die Sicherheit nicht garantieren.«