10.04.2025
Große Demonstrationen gegen hohe Mieten in ganz ­Spanien

Selbstorganisation gegen hohe Mieten

In Spanien kam es landesweit zu Massenprotesten gegen hohe Mieten und die Geschäftspraktiken der Eigentümer. In Barcelona und anderen Städten werden Mietstreiks vorbereitet.

Granada. Es waren die größten Demonstrationen in Spanien seit langem, die am Samstag in 42 Städten landesweit stattfanden. Vor dem Hintergrund der seit Jahren rapide steigenden Mietpreise lautete die kämpferische Ansage der Proteste: »Setzen wir dem Geschäftemachen mit Wohnraum ein Ende!« Veranstaltet hatten die Demonstrationen selbstorganisierte lokale »Bewegungen« oder »Gewerkschaften« für Wohnraum wie der Sindicat de Llogateres in Barcelona.
Die Teilnehmerzahlen wurden sehr unterschiedlich angegeben. In Madrid und Barcelona demonstrierten nach Angaben der Organisatoren über 150.000 beziehungsweise 100.000 Menschen; nach Behördenangaben waren es nur 15.000 beziehungsweise 12.000. Tausende forderten ein »Málaga zum Leben« (Málaga para vivir), zogen durch València, A Coruña und Granada. Die Proteste verliefen fast gänzlich friedlich, einzig in Madrid griff die Antiaufruhreinheit der Polizei gegen Demonstrierende gewaltsam durch. Es gab Verletzte.

Die Forderungen der Organisator:in­nen, unterstützt von den seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 aktiven »Plattformen gegen Zwangsräumungen« sowie linken und anarchosyndikalistischen Gewerkschaften wie der CNT-AIT oder CGT, sind angesichts der Lage und der prognostizierten Entwicklung am Immobilien- und Mietwohnungsmarkt verständlich. Unter anderem geht es um eine sofortige Senkung der Mieten um die Hälfte und die Verpflichtung der Eigentümer:in­nen, unbefristete Mietverträge zu vergeben.

In den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten in Spanien durchschnittlich um fast 80 Prozent gestiegen, im vorigen Jahr erhöhten sie sich in Madrid, Barcelona, Sevilla und anderen Städten um mehr als 13 Prozent.

Die Wut der Protestierenden richtet sich gegen den »Mietwucher« der rentistas – jener, die nur von Einnahmen aus ihrem Eigentum leben –, die man, wie in Granada und andernorts skandiert wurde, »aus dem Bezirk vertreiben will«. »Mehr Hausbesetzung, Selbstorganisation, gegen die Spekulation« oder »Que pasa? No tenemos casa!« (Was los ist? Wir haben keine Wohnung!) war ebenso zu hören.

In den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten in Spanien durchschnittlich um fast 80 Prozent gestiegen, im vorigen Jahr erhöhten sie sich in Madrid, Barcelona, Sevilla und anderen Städten um mehr als 13 Prozent. Die Nachfrage wächst ständig, nach Angaben der Spanischen Nationalbank fehlten 2024 etwa 600.000 Wohnungen. Die meisten Mietverträge in Spanien sind befristet auf fünf oder sieben Jahre. Danach kann der Vermieter ohne Grund kündigen und einen neuen Vertrag mit höherer Miete anbieten.

»Historischer Moment«

Erste Initiativen haben sich beispielsweise in Barcelona zusammengeschlossen und einen Mietstreik begonnen, zudem sind über 100 Menschen aus den katalanischen Städten Banyoles, Sitges und Sentmenat, unterstützt vom Sindicat de Llogateres in Barcelona, gegen die Großbank Caixabank im Mietstreik, um den Verkauf ihrer Sozialwohnungen an den Meistbietenden zu verhindern.

»Wir sind an dem historischen Moment, an dem die Menschen wieder die Initiative ergreifen und sich selbst organisieren«, betont das Sindicat de Llogateres in einem Kommuniqué nach den erfolgreichen Demonstrationen. Kritisiert werden die »lauwarmen«, zahnlosen Lösungsversuche der Regionalregierung Kataloniens, die als den Eigentümern und Dachverbänden der Banken hörig gilt.

Zudem wird gefordert, die Zahl von Sozialwohnungen in öffentlicher Hand drastisch zu erhöhen – nur noch 2,5 Prozent des gesamten Wohnungsbestands sind derzeit Sozialwohnungen –, Hausbesetzer:innen Straffreiheit zu gewähren und ein wirksames Moratorium über Zwangsräumungen zu verhängen, die Jahr für Jahr neue Rekordzahlen erreichten. Das Recht auf eine würdige und angemessene Wohnung ist in Spanien in der Verfassung festgeschrieben.
Bei der Erfüllung des Wahlversprechens der linken Zentralregierung, rasch 180.000 neue Wohnungen mit erschwinglichen Mieten auf den Markt zu bringen, geht es schleppend voran. Erste Projekte sind abgeschlossen, die meisten jedoch noch im Bau. Das hatte faktisch keinen Einfluss auf die Preisentwicklung.

Ungezügelter Bauboom der Anfang des heutigen Desasters

Erschwerend kommt hinzu, dass der in vielen Regionen regierende konservative Partido Popular (PP) überzeugt ist, das Problem lasse sich nur nur durch Steuersenkungen für Eigentümer:innen oder etwa die Umwidmung von Flächen zu Bauland für privaten Wohnungsbau lösen. Das lässt Erinnerungen wach werden an den ungezügelten Bauboom, die »Ziegelökonomie« (ladrillo) in der Ära des Ministerpräsidenten José María Aznar (PP), die eine immense Spekulationsblase erzeugte, die um 2007/2008 platzte; bis dahin war es in Spanien eher üblich, eine Wohnung zu kaufen, als eine zu mieten. Viele, die ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten, verloren ihre angezahlten Wohnungen und wurden auf den traditionell kleinen Mietwohnungsmarkt gedrängt – der Anfang des heutigen Desasters.

Insbesondere online vermietete Ferienwohnungen sind schon seit Jahren Grund für Proteste, die Städte dazu gezwungen haben, die Lizenzvergabe stark zu limitieren oder gar einzustellen und die Auflagen zu verschärfen. Zuletzt erhöhte die Zentralregierung zudem die Steuer auf die Einnahmen aus der Vermietung über Plattformen wie Airbnb und Booking von zehn auf 21 Prozent; zudem laufen gegen diese Buchungsplattformen Verfahren, angestrebt unter anderen vom Konsumministerium (dessen Aufgabenbereich entspricht in etwa dem, was man in Deutschland unter Verbraucherschutz versteht) wegen des illegalen Anbietens von Ferienwohnungen; dabei handelt es bis zu 70 Prozent des Angebots, etwa in Madrid oder Málaga.

Einen Mietstreik, ausgerufen von der anarchosyndikalistischen CNT-AIT, befolgten im Sommer 1931 über 100.000 proletarische Familien; er dauerte über ein halbes Jahr an, führte im Zuge heftiger Repression zu 18 Todesopfern und endete in einer Übereinkunft mit den privaten Eigentümern. 

Während nun zum Frühlingsbeginn der Tourismus Fahrt aufnimmt, sich Ferienwohnungen mit Urlauber:innen füllen und Spaniens Wirtschaft nicht zuletzt deswegen brummt (2024 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 3,2 Prozent), bauen die Gewerkschaften und Bewegungen für Wohnraum weiter auf Selbstorganisation und arbeiten gemeinsam auf einen landesweiten Mietstreik hin.

Einen solchen, ausgerufen von der anarchosyndikalistischen CNT-AIT, befolgten im Sommer 1931 über 100.000 proletarische Familien; er dauerte über ein halbes Jahr an, führte im Zuge heftiger Repression zu 18 Todesopfern und endete in einer Übereinkunft mit den privaten Eigentümern. Gegen große Immobilienfirmen dauerten die Streiks und Proteste an, bis in den Bürgerkrieg 1936 und die kurz währende soziale Revolution, die im Sommer des ersten Bürgerkriegsjahrs den Großbesitz kurzerhand kollektivierte.