10.04.2025
Bei den Massenprotesten gegen die US-Regierung prägen ältere Angehörige der ­Mittelschicht das Bild

Die Schockstarre löst sich

Unter dem Motto #HandsOff haben in den USA landesweit schätzungsweise drei bis fünf Millionen Menschen gegen die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung Donald Trumps demonstriert.

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten 2016 kam für Liberale als unerwarteter Schock. Aber gerade weil fast niemand mit ihr gerechnet hatte, ließ sie sich leicht als Betriebsunfall abtun: Dass Trump ins Weiße Haus einzog, obwohl er zwei Millionen Stimmen weniger als seine Kontrahentin Hillary Clinton bekommen hatte, wirkte mehr wie ein Sechser im Lotto denn als Ausdruck einer volonté générale.

Entsprechend selbstbewusst traten seine Gegner auf. Die Amtseinführung wurde von Ausschreitungen begleitet und der Women’s March wenige Tage später brachte ungeahnte Massen auf die Straße. Als kurz darauf die Regierung Trump ihr erstes Einreiseverbot für Muslime verhängte, kam es an zahlreichen Flughäfen zu spontanen Protesten. Oscar-Verleihungen verwandelten sich in Anti-Trump-Kundgebungen, in Presse und Fernsehen avancierten die Faktenchecker zu Helden der Zivilgesellschaft und auf Twitter hatten Accounts, die sich vollmundig der resistance zurechneten, Hochkonjunktur.

Die völlig ohne Not vom Zaun gebrochenen Handelskonflikte sind das Ergebnis der Überzeugung, dass jedes Handelsdefizit der USA nur Produkt unlauterer Machenschaften sein kann.

Acht Jahre später sah die Lage deutlich anders aus. 2024 hatte es tatsächlich zu einer Mehrheit der Stimmen gereicht – und ins Amt kam Trump dieses Mal nicht als unbeschriebenes Blatt, sondern als Mann, von dem alle wissen konnten, wozu er fähig ist. Darum waren sich die Beobachter einig, wie das Ergebnis zu verstehen sei: als Scherbengericht über die Demokratische Partei, welche »die Debatte« verloren habe – ganz gleich, ob es dabei um Einwanderung, Rechte von Trans-Personen, neokeynesianische Wirtschaftspolitik oder den Fortbestand der Demokratie handelte. Wollte der linke Liberalismus in Zukunft wieder konkurrenzfähig werden, müsse er sich von allen abgehobenen und unpopulären Forderungen verabschieden und fortan kleinere Brötchen backen.

Die Opposition trat infolgedessen reichlich kleinlaut auf. Vor der Wahl hatte man die Alarmglocken über die drohende Autokratie geläutet, jetzt wollte man es so ernst dann doch nicht gemeint haben. Scherzend traf sich Präsident Joe Biden mit Trump zur Amtsübergabe; Abgeordnete der Demokraten bekunden ihre Bereitschaft zur »Zusammenarbeit in Sachfragen«, als würden sich Wähler in zwei oder vier Jahren wohlwollend daran erinnern, dass Senator X irgendeinem von Trump nominierten Hallodri sein Plazet erteilt hatte; und kein führender Demokrat protestierte gegen Elon Musks sogenanntes Department of Government Efficiency, ohne eingangs zu Protokoll zu geben, selbstverständlich teile man das Ansinnen, die Verschwendung von Steuergeldern einzudämmen. 

Peinlicher Höhepunkt des Ganzen war das Verhalten der Senatsfraktion der Demokraten, die, ohne auch nur ein einziges Zugeständnis ausgehandelt zu haben, den republikanischen Entwurf für einen Übergangshaushalt Mitte März passieren ließ – aus Sorge, für die ansonsten drohende Zahlungsunfähigkeit der Regierung verantwortlich gemacht zu werden.

Demokraten: Lieber abwarten

Demokratische Strategen erklärten ganz offen, das beste Vorgehen für die Partei sei, so wenig wie möglich anzuecken und lieber abzuwarten, bis die Regierung Trump von ganz allein abgewirtschaftet habe. Bloß kein Einspruch gegen menschenfeindliche, aber bei den Wählern womöglich populäre Maßnahmen, lautet das Motto.

Ruben Gallego, Arizonas neu gewählter Senator, erklärte, wer gegen die gesetzeswidrige Deportation von venezolanischen Migranten in einen Folterknast in El Salvador protestiere, tappe in die von Trump aufgestellte Falle; man müsse sich vielmehr ganz auf die alltäglichen Sorgen und Nöte der Menschen, etwa die steigenden Eierpreise, konzentrieren.

Und auch sonst war von Gegenwehr wenig zu verspüren. Mehrere große Unternehmen beendeten ihre Programme zur Inklusion von Minderheiten. Anwaltskanzleien, die sich Trumps Zorn zugezogen hatten und darum von der Regierung mit Repressalien bedroht wurden, verzichteten darauf, gegen die entsprechenden Erlasse vor Gericht zu gehen, und versuchten stattdessen, sich durch die Zusicherung von pro bono-Vertretungen für konservative Anliegen freizukaufen.

Keimzelle der einsetzenden Oppositionsbewegung

Dass die Schockstarre sich in den vergangenen Wochen langsam zu lösen begann, ist wohl in erster Linie ein unfreiwilliger Verdienst von Elon Musk. Der Kahlschlag, den seine Pseudobehörde Doge veranstaltet, gefährdet die Erledigung grundlegender Staatsaufgaben, beispielsweise dass Renten ausbezahlt werden und die Krankenversorgung sichergestellt wird, auf die nicht bloß Randgruppen angewiesen sind, sondern die breite Mehrheit. Und die nach Schätzungen über 100.000 Staatsangestellten, die bislang ihren Arbeitsplatz verloren haben – darunter fast ein Drittel Veteranen, die traditionell eher republikanisch gesinnt sind –, bilden, vernetzt über Reddit und andere Foren, eine Keimzelle der einsetzenden Oppositionsbewegung.

Auch über die unmittelbar Betroffenen hinaus wirkt das Bild des reichsten Mannes der Welt, der sich mit Motorsäge auf der Bühne dafür feiern lässt, den Ärmsten der Welt die Aids-Hilfen zu streichen, wie des Bösen ein bisschen zu viel. Tesla-Verkaufsstellen rückten in den Mittelpunkt einer Protestkampagne – mit handfesten Auswirkungen: Seit Beginn von Musks Tätigkeit für die Regierung Trump sind Verkaufszahlen und Aktienkurse des Unternehmens stark eingebrochen. Und auch in anderer Hinsicht haben Musks Milliarden ihren Nimbus verloren. Eine Verfassungsrichterwahl in Wisconsin, die Musk zum Prüfstein für den Fortbestand der Zivilisation erklärt und mit Millionenspenden zu beeinflussen versucht hatte, endete für die Republikaner in einem überraschend deutlichen Debakel.

Im Februar hatte die New York Times den »Widerstand« noch für tot erklärt, inzwischen übersteigt die Zahl der Kundgebungen die des Jahres 2017. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten sie am Samstag. Unter dem Motto #HandsOff versammelten sich, aufgerufen von einem Bündnis aus Gewerkschaften und Bürgerrechtsinitiativen, schätzungsweise drei bis fünf Millionen Menschen an über 1.300 Orten, um gegen Sozialkürzungen, Nationalparkschließungen, Abschiebungen oder Autoritarismus zu protestieren. In Washington, D.C., und New York City hatten die Organisatoren jeweils etwa 20.000 Demonstrantinnen erwartet; es kamen vier- bis fünfmal so viele. Aber auch in Kleinstädten Alabamas oder Montanas fanden Kundgebungen statt.

Musks technofeudalistische Phantasmen

Für die unerwartet große Beteiligung dürfte auch Trumps drei Tage zuvor erfolgte Ankündigung gesorgt haben, gegen buchstäblich alle Welt Schutzzölle zu verhängen. Wenn die in Aktienpaketen angelegte Summe, die in den USA häufig der Altersvorsorge dient, innerhalb von 48 Stunden deutlich schrumpft, bringt das Leute schon mal auf die Straße. Kein Zufall, dass eher ältere Semester das Bild dominierten und das Gros der Teilnehmer weiße Angehörige der Mittelschicht waren.

Für die Regierung verheißt das wenig Gutes. Das Erfolgsgeheimnis des modernen Autokraten besteht schließlich darin, die Mehrheit der Bevölkerung zumindest so lange bei Laune zu halten, bis konkurrierende Machtzentren – die Justiz, die Medien – irreversibel unterworfen sind. Hätte Trump es dabei belassen, öffentlichkeitswirksam ein paar Flüchtlinge abzuschieben, Bürokraten zu feuern und die positive Wirtschaftsentwicklung, die er bei der Amtsübernahme vorfand, als sein Verdienst zu reklamieren, er hätte wahrscheinlich einigermaßen ungestört seine Macht entfalten und seine Klientel bedienen können.

Stattdessen machten ihm erst Musks technofeudalistische Phantasmen und dann seine eigene Unfähigkeit, die Welt anders denn durch die Augen des Schutzgelderpressers zu betrachten, einen Strich durch die Rechnung. Die völlig ohne Not vom Zaun gebrochenen Handelskonflikte – Ergebnis der Überzeugung, dass jedes Handelsdefizit der USA nur Produkt unlauterer Machenschaften sein kann – untergraben Trumps wichtigste Reputation: die selbst unter Gegnern verbreitete Überzeugung, er verstehe etwas von »Wirtschaft«.

Die konsequentesten Propagandisten flüchten sich ins Metaphysische: Was seien schon Geld und materieller Besitz, wenn das Vaterland auf dem Spiel steht?

Seither versuchen die Getreuen zu retten, was zu retten ist. Die einen erklären die Zölle zur brillanten Verhandlungstaktik; die anderen verkaufen sie als notwendige Rosskur einer moribunden Ökonomie. Die vielen kleinen Schräubchen in den Handys, schwärmt Handelsminister Howard Lutnick, würden bald in den USA eingedreht werden. Und die konsequentesten Propagandisten flüchten sich ins Metaphysische: Was seien schon Geld und materieller Besitz, wenn das Vaterland auf dem Spiel steht? Und wen verlange es nach billiger Unterhaltungselektronik, wenn stattdessen die Aussicht locke, als Mann endlich wieder Sinnstiftung in körperlicher Feld- und Fabrikarbeit zu finden?

Dumm nur, dass für die Maga-Anhänger so etwas wie Einschränkungen zum Besten der Allgemeinheit auf der Dringlichkeitsliste – man denke nur an die Covid-19-Krise – ganz unten steht. Der Kern der populistischen Revolte ist das Versprechen, ein Theater der Grausamkeit genießen zu dürfen, ohne dass es einen selbst tangiert. Opfer für die Nation klingen verlockend, solange man sie nicht selbst zu erbringen hat.