17.04.2025
Deutsche Großmachtphantasien haben derzeit keine Konjunktur

Deutsche Großmäuligkeit

Noch nie war der deutsche Antiamerikanismus so leise wie derzeit, wo er in den USA ins Weiße Haus eingezogen ist. Das Machtvakuum, das der US-amerikanische Iso­lationismus hinterlässt, müsste deutsche Großmacht­sehnsüchte eigentlich befeuern, doch stattdessen ist ängstliches Zögern zu beobachten.

Eine Grundannahme der antideutschen Fraktion der hiesigen Linken war die Überzeugung, dass es anderswo besser sei. Die kleine Differenz zwischen den Verhältnissen hierzulande und wahlweise den französischen, britischen oder US-amerikanischen sei zugleich eine ums Ganze, der zwischen Zivilisation und Barbarei.

In den Neunzigern, den Jahren der Flüchtlingspogrome und der Beteiligung am Krieg gegen Serbien, hieß das Schlagwort »Dritter Griff zur Weltmacht«. Das wiedervereinigte Deutschland strebe zu vollenden an, woran die Hohenzollern und Hitler noch gescheitert waren – sich als Superimperialist die Welt untertan zu machen.

Die Bundesregierung plant, sich militärisch unabhängiger von der Nato auszurichten, und beschließt Milliardenschulden für die Aufrüstung. Selbst eine Verfügungsgewalt Deutschlands über Atomwaffen wird diskutiert. Nur scheint das im Westen niemanden zu stören.

Anfang der nuller Jahre, als Massen gegen den Irak-Krieg auf die Straße gingen, machte dann das Wort vom »Gegenhegemon« die Runde. Nicht mehr vom säbelrasselnden Militarismus gehe die Gefahr aus, die der Welt von Deutschland drohe, sondern von der Berufung auf Frieden und Völkerrecht. Die Stoßrichtung aber bleibe dieselbe: als Schutzpatron aller Schurkenstaaten den USA und Israel den Kampf anzusagen, um die westlich-liberale Weltordnung aus den Angeln zu heben.

Nun endlich scheint der Ernstfall eingetreten. Die Bundesregierung plant, sich militärisch unabhängiger von der Nato auszurichten, und beschließt Milliardenschulden für die Aufrüstung. Selbst eine Verfügungsgewalt Deutschlands über Atomwaffen wird diskutiert. Nur scheint das im Westen niemanden zu stören.

Ganz im Gegenteil: Liberale in den USA und Großbritannien preisen ausgerechnet Deutschland als Anker demokratischer Normalität in einem sich immer autoritärer gestaltenden Weltgeschehen. Sehnsuchtsvoll blickt man auf deutsche Sozialstaatlichkeit, deutsche Vergangenheitsaufarbeitung und deutsche »Willkommenskultur«.

Die Konstellationen haben sich verändert

Diese Illusionen sagen mehr über die Sprecher aus als über ihren Gegenstand. Und doch ist schwer zu bestreiten, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Konstellationen verändert haben. Statt als »ehrlicher Makler« Israel zu unterminieren, rücken die bundesrepublikanischen Entscheidungsträger auf einmal wegen angeblicher Drangsalierung der Palästinenser ins Visier der antizionistischen Mobilmachung.

Statt dass eine deutsch-russische Achse die USA herausforderte, ist es die US-Regierung, die sich auf die Seite Putins schlägt und die Nato für obsolet erklärt – und so die Europäer zum militärpolitischen Alleingang nötigt. Und statt Enthusiasmus darüber, dass die Weltmachtträume endlich in Erfüllung gehen, herrscht bei deutschen Politikern unübersehbar Alarmstimmung.

War somit alles falsch, was die Antideutschen Unfreundliches übers Vaterland zu sagen hatten? I wo. Nur ist daran zu erinnern, dass Wollen nicht dasselbe ist wie Können. Den Griechen das Leben zur Hölle zu machen, ist eine Sache; aber die Zeiten, da ein europäisches Provinzregime die halbe Welt unterjochen konnte, sind halt unwiederbringlich vorbei. Selbst ein weitaus potenterer Staat wie die USA stößt da, siehe Afghanistan und Irak, an seine Grenzen.

Antiamerikanismus gegen die Subalternen im eigenen Land

Ein Irrtum darum, zu glauben, der Antiamerikanismus habe sich je ernsthaft gegen die USA gerichtet. Zu fürchten hatten ihn nie die US-Amerikaner, sondern die Subalternen im eigenen Land, welche durch Sit-ins, Rock ’n’ Roll und Hollywood das Versprechen auf »life, liberty and the pursuit of happiness« für sich zu verwirklichen suchten. Antiamerikanismus war immer schon die Ideologie des Verlierers, der sich mit seiner Niederlage grollend zu arrangieren sucht.

Hochkonjunktur hatte jener darum hierzulande stets, wenn den Landsleuten wieder einmal etwas danebenging. Der Kulturdünkel der Nachkriegszeit reagierte auf das klägliche Scheitern des »Tausendjährigen Reiches«; der Friedensnationalismus der Achtziger auf die Einhegung der Studentenrevolte zur Lebensreformbewegung; die rot-grüne Politik der nuller Jahre auf die Blamagen der deutschen Großmachtambitionen nach der sogenannten Wiedervereinigung, als man selbst die Zerschlagung Jugoslawiens nur mit Hilfe des großen Bruders hinbekam und dann in Afghanistan von Fettnapf zu Fettnapf schlitterte.

Inzwischen ist Deutsche Ideologie so kraftlos, dass sie schon ihre Kampfbegriffe – von wokeism bis cancel culture – aus Übersee importieren muss. Und seit der Antiamerikanismus in den USA an die Macht gekommen ist, wo Trump keine Gelegenheit ungenutzt lässt, die eigene Nation in den schwärzesten Farben zu zeichnen, ist er den Landsleuten abhandengekommen. Statt lautstark zu zetern, stolpert man hilflos zwischen Schmeichelei und ohnmächtigen Ankündigungen hin und her.

Sich als der bessere Welthegemon aufzuspielen, funktioniert nun einmal am ehesten im sicheren Bewusstsein, diese Rolle nie wirklich ausüben zu müssen. Nun, da diese Gewissheit weggefallen ist, bekommen sie weiche Knie. Was aus dieser Enttäuschung folgt, bleibt abzuwarten.