17.04.2025
Eine der wenigen Berliner Einrichtungen für obdachlose Frauen ist gefährdet

Zur Ruhe kommen

Frauen, die auf der Straße leben, kommen nachts häufig nicht zur Ruhe, weil das zu riskant wäre. In Berlin gibt es einige wenige Einrichtungen, in denen sie sich zumindest am Tag mal entspannen können. Eine davon muss gerade um ihren Fortbestand fürchten.

»Die Frauen schlafen oft nicht«, sagt Marit der Jungle World. Sie sitzt im Büro von Unterschlupf e. V., einem geschützten Tagestreff für obdachlose Frauen in Kreuzberg, für den sie arbeitet. Es ist zehn Uhr, Frühstückszeit. »Wenn sie wirklich auf der Straße leben, also nachts draußen sind, dann schlafen sie nicht«, sagt sie erneut, nachdem sie einer weiteren Besucherin die Tür geöffnet hat. »Weil es zu gefährlich ist.« Erst vor wenigen Tagen haben Unbekannte einen schlafenden Obdachlosen in Berlin von einer Parkbank gezerrt und in die Spree geworfen.

Gewalt gegen Obdachlose erreicht bundesweit Höchststände. Das Bundeskriminalamt (BKA) erhebt entsprechende Straftaten erst seit 2011 Straftaten. Damals waren es 602, im vergangenen Jahr 2.194 – mehr als dreimal so viele. Bei über 300 davon handelte es sich um Vergewaltigungen oder sexuelle Nötigungen beziehungsweise Übergriffe; betroffen waren vorrangig Frauen.

Schätzungsweise 2.500 Frauen leben allein in Berlin auf der Straße. Besonders in der Nacht sind sie schutzbedürftig. Viele haben Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht und meiden daher gemischtgeschlechtliche Notunterkünfte. An Schlafunterkünften nur für Frauen mangelt es jedoch.

»Am wichtigsten ist, dass die Menschen spüren, sie sind nicht vergessen und nicht in die Einrichtungen aussortiert.« Karin, Besucherin von Unterschlupf e. V.

»Wenn die Frauen hier sind, können sie durchatmen, können sich ausruhen, können ihre Tasche abstellen, können mal in Ruhe vielleicht eine Stunde schlafen, duschen«, berichtet Marit. Seit Januar 2023 gibt es den Tagestreff, der sich aus privaten Geldern und Spenden finanziert. Die Unabhängigkeit erlaubt es, ein niedrigschwelliges Angebot zu schaffen – bedeutet aber auch knappe Finanzen.

Es sind vermeintliche Kleinigkeiten, die den Unterschied machen. In der Stadtplanung werden die besonderen Bedürfnisse von Obdachlosen nicht berücksichtigt – oder gar bewusst konterkariert. Öffentliche Toiletten kosten Geld, City-Toiletten haben oft nur Pissoirs, sind für Frauen also ungeeignet. Es gibt zudem keine Möglichkeiten, die wenigen Besitztümer sicher zu lagern. Bei Unterschlupf gibt es hierfür einen Keller.

Etwa 3,5 Millionen Menschen über 65 Jahren sind armutsgefährdet

Eine weitere Besonderheit ist der Garten. »Das ist auch wirklich notwendig, dass die Frauen sich einfach mal zwei Gurkenscheiben auf die Augen kleben, auf die Liegen legen und ihre Ruhe haben können«, so Marit. Und er biete eine Möglichkeit zu rauchen, ohne auf die Straße zu müssen, wo sie »jederzeit angreifbar sind«. Anfänglich seien etwa sechs Frauen am Tag gekommen. »Klar, es hatte sich noch nicht rumgesprochen.« Mittlerweile, so Marit weiter, seien es etwa 50, darunter auch immer häufiger ältere. »Die schaffen es mit ihrer Rente nicht, eine Wohnung zu halten.«

Die Zahl armutsbedrohter Rentner hat in Deutschland einen neuen Höchstwert erreicht. Etwa 3,54 Millionen Menschen über 65 Jahren sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts armutsgefährdet, das entspricht etwa 300.000 mehr als noch 2023. Frauen sind demnach stärker armutsgefährdet als Männer.

Eine davon ist die fast 70jährige Karin. Mit einer Unterbrechung von zwei Jahren ist sie seit 16 Jahren ohne eigene Wohnung. Sie ist an der Ostsee geboren, hat nahezu überall in Deutschland mal gelebt. »Ich habe für Kost und Logis auf Biohöfen gearbeitet und bin in zehn Bundesländern rumgereist, damit ich überhaupt mal eine Unterkunft hatte«, erzählt sie der Jungle World. Seit einem halben Jahr ist sie in Berlin.

»Ich setze mich für Menschenrechte ein«, erzählt sie. Sieben Jahre lang habe sie einen Prozess wegen Hartz IV geführt. »Den habe ich gewonnen vor dem Bundessozialgericht«, sagt sie. 

»Und dann kam ja auch vom Bundesverfassungsgericht die Entscheidung, dass es in Teilen verfassungswidrig ist.« Mit dem Urteil von 2019, das gewisse Sanktionen fortan untersagte, fühlt sie sich in ihrem damaligen Dagegenhalten bestätigt.

»Respekt der Mitarbeiter, die Liebe und Fürsorge«

»Am wichtigsten ist, dass die Menschen spüren, sie sind nicht vergessen und nicht in die Einrichtungen aussortiert.« Die dürften nicht das Gefühl vermitteln, von dort aus gehe es nicht weiter. Die Menschen müssten »die Chance haben und die Hilfe erhalten, da rauszukommen«. Wirklich zuversichtlich ist Karin allerdings nicht: »Ich befürchte, dass es schlechter werden wird.«

An der Kreuzberger Einrichtung schätzt sie »den Respekt der Mitarbeiter, die Liebe und Fürsorge«. Das äußere sich auch in Kleinigkeiten. »Es wird frisch gekocht, man kann helfen beim Kochen. Also ist man ein bisschen eingebunden.« Und gerade heute habe eine Mitarbeiterin ihr eine »Jacke im maritimen Stil« geschenkt. So eine habe sie sich gewünscht.

»Hier ist es gemütlich, bisschen wie zu Hause«, sagt Monika der Jungle World. Die junge Polin ist seit fünf Jahren obdachlos. Gerade habe sie Bürgergeld beantragt und kümmere sich um einen Platz in einem Wohnheim, wo sie auf ein eigenes Zimmer hofft – um jederzeit kreativ sein zu können; auch nachts, wenn sie mal nicht schlafen kann. »Du brauchst Ruhe, um kreativ zu sein.« In Polen war sie auf einer künstlerischen Schule, hat auch schon mit Keramik gearbeitet. Sie träumt von einer Ausbildung zur Kunsttherapeutin. Dementsprechend glücklich ist sie, dass es bei Unterschlupf unter anderem Zeichenkurse gibt. Auf die Frage, wie sie damit umgehen würde, sollte es den Tages­treff nicht mehr geben, sagt sie: »Ich will darüber nicht nachdenken.«

Unklar, wie es weitergeht

Denn es ist unklar, wie es weitergeht. Das Grundstück, das der evangelischen Kirchengemeinde Kreuzberg gehört, soll neu bebaut werden. Dem ­Bezirksamt zufolge ist ein sechsgeschossiges Wohngebäude mit Gewerbeeinheiten geplant. Der Verein muss die Räumlichkeiten deshalb Ende Juni verlassen, einen Ersatz hat er bislang nicht. Gern würde man in Kreuzberg bleiben, wo der Bedarf besonders hoch ist. Mit dem Kottbusser Tor und dem Görlitzer Park gibt es hier gleich zwei Schwerpunktgebiete.

Also prüft man regelmäßig den Leerstand in der Nachbarschaft. »Wenn wir dann überhaupt mal was gefunden haben, was frei ist, wollen die Vermieter uns oft nicht«, sagt Marit und wirkt frustriert. Oder die Miete sei zu hoch. »Wir können halt auch nicht so viel zahlen.«

Auch das Bezirksamt weiß um die Problematik. »Wir sind vorsichtig optimistisch, dass sich für das laufende Jahr eine tragfähige Lösung abzeichnet«, antwortet das Bezirksamt auf Anfrage der Jungle World. »Auch werden wir Unterschlupf e. V. weiterhin bei der Raumsuche unterstützen«. Besonders tatkräftig unterstützt werde man derzeit aber nicht, so Marit. Ähnliches gilt für die Kirche. Auf die Frage, wie die sich derzeit verhalte, meint Marit ­trocken: »Gar nicht.«