17.04.2025
Einem aus oppositionellen Protesten hervorgegangenen Festival in Serbien droht das Aus

Ein Exit aus Vučićs Serbien

Trotz eines neuen Ministerpräsidenten und einzelner Zugeständnisse der Regierung hören die Proteste gegen das autoritäre Regime in Serbien nicht auf. Allerdings droht einem bedeutenden Musikfestival, das aus oppositionellen Protesten hervorgegangen ist, das Aus.

Die seit Monaten andauernden Massenproteste in Serbien gegen die politische Führung, die Korruption und den Autoritarismus reißen nicht ab. Ausgelöst wurden sie durch den Einsturz des Bahnhofvordachs in Novi Sad November vergangenen Jahres, bei dem 15 Menschen starben. Einschüchterungsversuche durch regierungstreue Schlägertrupps und den mutmaßlichen Einsatz einer Schallkanone bei einer Großdemonstration in Belgrad Mitte März halten die Demonstrierenden nicht davon ab, weiterzumachen.

Studierende führen die Proteste an, einer von ihnen ist Aleksandar. Auf einem Button, der an der Winterjacke des Mathematikstudenten befestigt ist, steht neben einer roten Hand »Krvave su vam ruke« – »Eure Hände sind blutig.« Solche Slogans sieht man in Belgrad oft, wenn man in den Bars rund um die historische Straße Skadarlija oder an einem zentralen Stadtplatz wie dem Studentski Trg unterwegs ist. Vor allem Studierende berichten dort von ihrer tiefen Frustration über ihr »Land im Niedergang«. Viele seiner wohlhabenderen Freunde, sagt ein junger Mann, seien bereits ins Ausland geflüchtet – sie studieren nun in den Niederlanden oder in Großbritannien. Auch die Geburtenrate ist niedrig; bis 2050, so mutmaßt die Weltbank, werde Serbiens Bevölkerung um 17 Prozent schrumpfen. Ein weiterer Leitspruch der Protestierenden, »My menjaem sistemu« (Wir verändern das System), ist angesichts dieser Umstände naheliegend, wird in der Praxis jedoch überraschend pragmatisch interpretiert.

Bauern machen mit, und auch fünf der größten Gewerkschaften haben ihre Unterstützung erklärt. Umfragen zufolge begrüßen rund 60 Prozent der Bevölkerung die Proteste in Serbien.

Dušanka Milosavljević, eine Doktorandin der Philosophie, erwidert auf die Frage nach historischen Vorbildern, man unterscheide sich dezidiert von der Achtundsechzigerbewegung. Während es damals hieß: »Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche«, sage man jetzt: »Wir sind unrealistisch, weil wir das Mögliche fordern.« Im Kern gehe es eben »nur« um einen funktionierenden Staat: niedrigere Studiengebühren, sichere Infrastruktur, Umweltschutz und die Aufklärung von Korruption. Eine minimalistische Strategie, wie Milosavljević es nennt, die bislang aufzugehen scheint. Bauern machen mit, und auch fünf der größten Gewerkschaften haben ihre Unterstützung erklärt. Umfragen zufolge begrüßen rund 60 Prozent der Bevölkerung die Proteste.

An der Uferpromenade in Belgrad wachsen saudisch, russisch oder chinesisch finanzierte Hochhäuser empor. Für die Expo 2027 sollen 18 Milliarden US-Dollar in Infrastrukturprojekte fließen, finanziert über Staatsanleihen und Kredite aus China, verwirklicht von chinesischen Baufirmen. Das Serbien von Präsident Aleksandar Vučić ist eine großangelegte Fassade, die durch ausländisches Geld – meist autokratischer Herkunft – gestützt wird.

Eines der größten Technofestivals Europas

In Novi Sad zeigt sich aber auch ein anderes Bild. Eine bröcklige Straße führt über die Varadin-Brücke zur historischen Festung Petrovaradin. Dort findet seit 25 Jahren jeden Sommer das Exit-Festival statt, eines der größten Technofestivals Europas. Die Exit-Bewegung begann als studentische Bewegung für Demokratie in Serbien. Im Jahr 2000 versammelten sich während ganzer 100 Tage Studierende von überall aus Serbien an den Ufern der Donau zu einem musikalischen Protest gegen das Regime Slobodan Miloševićs, unter dem Slogan »Exit – way out of a ten-year madness«. Nach der jugoslawischen Parlamentswahl und dem Ende von Miloševićs Herrschaft zog das Festival im Jahr 2001 schließlich in die Festung. Sie stammt aus dem Mittelalter, wurde unter den Osmanen ausgebaut und im 18. Jahrhundert von den Habsburgern als Militärstützpunkt gegen das Osmanische Reich systematisch erweitert. Einst das Symbol imperialer Herrschaft auf dem Balkan, ist die Festung als Veranstaltungsort für das Exit-Festival nun zu einem Symbol des liberalen Serbien avanciert.

Während in Serbien erneut von Studierenden angeführte Massenproteste die autoritäre Regierung des Landes herausfordern, droht die 25. Auflage des Festival die letzte zu werden. Im IQ Magazine machten die Veranstaltenden jüngst deutlich, dass Exit unter enormen Druck stehe, weil man sich öffentlich mit den Protesten solidarisiert und sie unterstützt habe und für Demokratie sowie freie Meinungsäußerung eintrete. »Als Folge dessen erwägen wir ernsthaft, Serbien zu verlassen«, heißt es in ihrem Fazit. Hinter den Kulissen ist bereits von einem »last dance« die Rede, aber wie konkret diese Pläne sind und wie sich der Druck der Regierung genau gestaltet, bleibt unklar.

Für das Festival ist der Umgang mit den Protesten zu einem regelrechten Drahtseilakt geworden. Zuletzt sah sich Dušan Kovačević, der Geschäftsführer des Festivals, genötigt, auf die Kritik der Protestierenden zu reagieren, Exit setze sich zu wenig für die Proteste und die Demokratisierung Serbiens ein. Auf der anderen Seite erhöht das Regime den Druck, denn auch Novi Sad wird schließlich von einem Bürgermeister aus Vučićs Fortschrittspartei regiert.

Protestierende mit niedrigeren Studiengebühren besänftigen

Das Exit-Festival stand einst symbolisch für das Ende des Regimes und den Neuanfang in einem weltoffeneren Serbien. Gleichzeitig, so Milosavljević, habe es aber auch einen falschen, allzu unpolitischen Ausweg gewiesen. Der derzeitige Präsident war schließlich vor 27 Jahren schon Informationsminister unter Milošević; das autoritäre System überdauerte, indem es die Opposition mit ein paar symbolischen Zugeständnissen befriedete: »Nach der Revolte von 1968 war das Zugeständnis das Studentische Kulturzentrum (SKC), nach den neunziger Jahren war es Exit«, analysiert die Philosophin. Das SKC wurde 1971 an Universität in Belgrad gegründet und ist nach wie vor eine bedeutende intellektuelle und künstlerische Institution des studentischen Milieus und darüber hinaus.

Milosavljević fügt hinzu, dass die Regierung versuche, die Protestierenden mit niedrigeren Studiengebühren zu besänftigen. Anfang März beschloss das Parlament, die Gebühren um 50 Prozent zu senken. Die Ernennung des politischen Quereinsteigers und Medizinprofessoren Đuro Macut zum Ministerpräsidenten Anfang vergangener Woche zielt darauf ab, die Lage zu beruhigen. Macut gehört der Fortschrittspartei nicht an und wird als nicht durch deren Korruption belasteter Technokrat präsentiert, ist aber ein loyaler Anhänger des Präsidenten. Am Samstag verkündete Vučić vor Zehntausenden Anhängern in Belgrad die Schaffung einer neuen überparteilichen Bewegung. Gegendemonstranten hatten versucht, die Busse der teilweise auch aus Bosnien und dem Kosovo Angereisten zu blockieren. Bislang sieht es so aus, als werde die studentische Bewegung ihren Kampf so lange fortsetzen, bis alle Forderungen erfüllt sind – ein wahrer Exit eben.