17.04.2025
Der linke Autor Ole Nymoen argumentiert gegen den Verteidigungskampf der Ukraine

Alles Jacke wie Hose

Der Podcaster Ole Nymoen hat ein Antikriegsbüchlein geschrieben, das sich hervorragend verkauft. Neben kritisch anmutenden Formeln über Staat und Nation enthält das Buch aber eine Anleitung zum politischen Querdenken und eine eklatante Verharmlosung des Gewaltpotentials von Diktaturen.

Während in den Politikressorts deutscher Medien über die Wehrpflicht diskutiert wird, schaffte es der Podcaster und Jacobin-Kolumnist Ole Nymoen mit seinem Büchlein »Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde« in den Kulturteil zahlreicher Zeitungen und in entsprechende Fernsehsendungen und Talkshows. Dort wird er als Vertreter der »Generation Z« präsentiert, die mehrheitlich die Wehrpflicht ablehnt, und steht damit im Kontrast zu den üblichen altlinken Vertretern der sogenannten Friedensbewegung, die oft verschwörungstheoretisch, national und rechtsoffen daherkommen.

Nymoen, der mit seinem Podcast-Partner Wolfgang M. Schmitt eine Art Anti-Influencer-Buch geschrieben hat, ist selbst Polit-Influencer. Und vor allem ist er sehr links. »Die Unterordnung unter Staat und Kapital wird so vehement gefordert wie lange nicht mehr« – solche Sätze finden sich in seinem Buch zuhauf.

Für Unterscheidungen zwischen Aggressoren und Angegriffenen, imperialistischen Eroberungszügen und Landesverteidigung, Demokratien und Diktaturen hat Nymoen nichts übrig.

Das Buch ist unter dem Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine geschrieben und argumentiert dafür, deren Verteidigung zu unterlassen. Die üblichen Märchen über eine angebliche Friedensbereitschaft Russlands finden sich bei Nymoen allerdings nicht. Seine Kritik ist grundsätzlicher: Im Krieg verwende die staatliche Herrschaft ihre Bürger als Menschenmaterial, um ihre eigenen Zwecke zu verfolgen. Soldaten würden gezwungen, für eine Sache zu kämpfen, die nicht die ihre sei, auch wenn nationale Propaganda das vergessen machen wolle, und sie hätten nichts zu erwarten als Tod und Leid.

Das gelte auch für Staaten, die sich verteidigen: ob von Putin oder Selenskyj beherrscht, sei für die Bürger letztlich nicht entscheidend. Nymoen brachte es mal auf die Formel »Lieber in Unterdrückung leben, als tot zu sein«: Er würde lieber fliehen oder unter Besatzung leben, als selbst den am allerdemokratischsten regierten bürgerlichen Staat mit der Waffe zu verteidigen. Eine Ausnahme macht er einzig für »Vernichtungskriege«.

Nymoen hat diese Argumentation zuerst im Herbst in einem Artikel für Zeit Online vorgebracht. Schon damals erntete er viel empörte Kritik, inklusive autoritären Reflexen – es lief darauf hinaus, er würde sein Vaterland verraten – und schlichtem Unverständnis. Wie könne Nymoen Dinge in Frage stellen, die sich doch von selbst verstehen?

Der Vorwurf, Nymoen sei ein Egoist, geht daneben

Besonders daneben geht der Vorwurf, Nymoen sei ein Egoist – als wäre es das Anliegen der Linken, den Dienst an einer Gemeinschaft zu predigen, die in den bestehenden Verhältnissen nur Ideologie ist. »Ein gutes Leben für alle ist nicht die Staatsräson der Bundesrepublik«, schreibt Nymoen dagegen, das »nationale ›Wir‹, das heraufbeschworen wird, ist eine verlogene Fiktion«. Und er kritisiert den Wahnsinn einer in Staaten aufgeteilten Welt, deren jeweilige Stellung auf der Fähigkeit zur Gewaltausübung nach innen und außen beruht.

Ganz ohne die populistische Rhetorik, mit der seit Jahren gegen die Unterstützung der Ukraine agitiert wird, kommt das Buch nicht aus, inklusive plattem Grünen-Bashing. Es heiße heutzutage zwar nicht mehr »›Jeder Schuß ein Russ!‹, sondern ›feministische Außenpolitik‹ – aber das Ergebnis ist dasselbe«, schreibt Nymoen. Das Gerede von zu verteidigenden Werten ist für ihn nicht einfach leere Rhetorik, die Realpolitik bemäntelt, sondern eine gefährliche Form des Massenbetrugs, ein Trick der Herrschenden, um ihre Untertanen bereit für den nächsten Krieg zu machen.

Hier erinnert Nymoens Tonfall an antiwestliche Affekte, die sich heutzutage bei Rechten ebenso wie bei Linken finden und die oft mit einer an sogenannte Querdenker erinnernden Attitüde einhergehen: den Herrschenden und den Medien sei erst mal gar nichts zu glauben. Das Ergebnis ist ein mitunter ätzender Zynismus, der sich in Vokabeln wie »Wertewesten« ausdrückt. So ein Begriff kritisiert weniger, dass die Politik westlicher Staaten hinter den Ansprüchen zurückbleibt, die sie propagieren; vielmehr denunziert er es als Lüge, dass die liberalen Demokratien beanspruchen, etwas Besseres darzustellen als eine Diktatur.

Wer differenziert, fällt aus Nymoens Sicht auf die Propaganda der Herrschenden herein

»Das Ergebnis ist dasselbe« könnte sowieso das Motto des Buchs lauten, denn auch für Unterscheidungen zwischen Aggressoren und Angegriffenen, imperialistischen Eroberungszügen und Landesverteidigung, Demokratien und Diktaturen hat Nymoen nichts übrig. Das Gerede davon diene den Herrschenden nur dazu, ihre Untertanen auf ihre Zwecke einzuschwören, und ähnele damit in seiner Funktion klassischer Kriegspropaganda. Ein sich verteidigender Staat zwinge seine Bürger genauso wie ein Aggressor dazu, zu »sterben für Zwecke, die nicht die ihren sind«, und mache damit »letztlich dasselbe, nur spiegelverkehrt«.

Wer differenziert, fällt auf die Propaganda der Herrschenden herein – dieser Maxime scheint Nymoen zu folgen. Dementsprechend sieht er auch in Deutschland bereits eine »politisch beschlossene Militarisierung der Gesellschaft« und »verbale Stahlgewitter« in den Talkshows. Die von den Herrschenden manipulierte Bevölkerung müsse begreifen, dass sie bei deren Kriegen nichts zu gewinnen habe.

Eine naheliegende Frage stellt Nymoen sich nicht: ob nicht das von ihm selbst anhand von Umfrageergebnissen angeführte weitverbreitete Friedensbedürfnis in der deutschen Bevölkerung und die Wut auf die vermeintlich kriegstreiberischen »Eliten« weniger daher rühren, dass die Massen seine radikal erscheinende Kritik an Staat und Kapital teilen, als dass sie sich nur ausrechnen, dass sie sicherer und komfortabler leben könnten, wenn sie der Unterwerfung der Ukraine unbeteiligt zusehen und wieder mit russischem Gas heizen. In einem Interview mit Jacobin gab der Autor aber zu, dass er die Situation, die der Titel seines Buches nahelegt, selbst eigentlich für unwahrscheinlich hält: »Angst davor habe ich nicht, da ich einen russischen Angriff für unrealistisch halte.«

Nymoen will von Widersprüchen nichts wissen

Tatsächlich rekrutiert der ukrainische Staat Soldaten immer mehr mit Zwang und setzt dabei teilweise Mittel ein, die daran erinnern, mit welcher Gewalt auch ein Rechtsstaat, wie die Ukraine nur teilweise einer ist, über seine Bürger verfügen kann. Ole Nymoen legt den Finger zu Recht in die Wunde, wenn er darauf hinweist, wie monströs die als selbstverständlich hingestellte Aufopferung des Einzelnen auf Geheiß des Staats in Wahrheit ist.

Auch trifft sein Hinweis zu, dass es angesichts der unzähligen Verweigerer, Deserteure und aus der Ukraine geflohenen Männer eine ideologische Fiktion sei, vom Verteidigungswillen »der« Ukraine zu sprechen. Nach 2022 gab es in Deutschland eine verstörende Bereitschaft einiger, solche Widersprüche mit nationaler Euphorie und Freiheitspathos wegzudrücken.

Aber auch Nymoen will von Widersprüchen nichts wissen. Nicht nur, dass er die Besatzungsherrschaft, die auf systematischer Entrechtung von und Gewalt gegen Zivilisten beruht, als »Verschlechterung der Lebensumstände« bagatellisiert. Auf eine Weise, die irritierend an russische Propaganda erinnert, der zufolge nur die »Kiewer Junta« ein Interesse am Krieg gegen Russland hätte, stellt er den Verteidigungskampf als reine Sache der Staatenlenker dar, die nicht die Interessen ihrer Bürger, sondern nur ihre Herrschaft als Selbstzweck verteidigen.

Dass die Regierung der Ukraine demokratisch gewählt ist, dass die militärische Verteidigung große Unterstützung in der Bevölkerung hat, dass Millionen an ihr aktiv in und außerhalb der Armee mitarbeiten und sie ohne diese alltägliche Unterstützung auch gar nicht möglich wäre, dass selbst den meisten von jenen, die nicht kämpfen wollen, die Zerstörung ihres Staats keineswegs gleichgültig ist, sondern sie ihn immer noch als Schutz vor der Barbarei einer russischen Eroberung ansehen, spielt für Nymoen keine Rolle.

»Drastische Defensiv-›Sonderoperation‹«

Auch über die politischen Konflikte in postsowjetischen Staaten mit ihren unzähligen Regierungsstürzen und Massenbewegungen, aus denen die Motivation des russischen Angriffs und das ukrainische Bestehen auf Eigenstaatlichkeit erst erklärt werden könnte, erfährt man – typisch für deutsche Linke – nichts. Stattdessen werden Texte der Gruppe Gegenstandpunkt zitiert, die in ihren Schriften behaupten, Russland habe 2022 eine »drastische Defensiv-›Sonderoperation‹« gegen eine strategische Einkreisung durch die Nato begonnen.

Zur Frage autoritärer Herrschaft finden sich so weltfremde Gedanken wie der, es sei »Ausweis der Dummheit moderner Diktatoren« zu glauben, dass ihre Herrschaft nicht »auch bei freier Presse und Meinungsäußerung« frei walten könnte, wenn ihr Regime nur »einen Großteil seiner Bürger dazu erzieht, die eigenen Maßstäbe gelungenen Regierens anzunehmen« – als sei die jüngere Geschichte nicht voller Beispiele für Regime, die mit brutaler Gewalt jegliche Bestrebungen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bekämpfen, die ihre Herrschaft gefährden würden. Daran blamiert sich jede plumpe Manipulationstheorie.

Die derzeitige Weltlage zwingt immer öfter dazu, das Schlechte gegen das noch Schlimmere zu verteidigen. Einige vergessen darüber ihre Kritik an Staat und Kapital, bei anderen weckt es offenbar das Bedürfnis, entscheidende politische Fragen schlicht für irrelevant zu erklären. 

Entsprechend seiner pseudoradikalen Kritik am bürgerlichen Staat finden sich bei Nymoen auch keine Gedanken zu reformistischen antimilitaristischen Bestrebungen. Man muss nicht der Illusion anhängen, dass eine Welt demokratischer Staaten automatisch friedlich sei. Aber das Beispiel Russlands, wo die autoritäre Staatsführung über den Angriffskrieg entschied, zeigt doch, dass ohne politische Freiheiten Kriegsgegner kaum in der Lage sind, Widerstand zu leisten.

Ebenso kann dieser Widerstand gegen Krieg selbst nicht immer gewaltlos sein. Nymoen erzählt eine rührende Geschichte über Kriegsverbrecher der Balkan-Kriege, die im Gefängnis in Den Haag trotz ihrer ehemaligen Feindschaft friedlich zusammenleben. Der Gedanke, dass diese Massenmörder wohl kaum durch gutes Zureden entwaffnet und in ein Gefängnis verfrachtet wurden, wo sie miteinander Schach spielen, statt weiter zu morden, kommt ihm dabei nicht.

Die derzeitige Weltlage zwingt immer öfter dazu, das Schlechte gegen das noch Schlimmere zu verteidigen. Einige vergessen darüber ihre Kritik an Staat und Kapital, bei anderen weckt es offenbar das Bedürfnis, entscheidende politische Fragen schlicht für irrelevant zu erklären. Vertretern beider Richtungen kann man attestieren, dass sie beim Test, sich von der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen zu lassen, durchgefallen sind.