Koalieren heißt kapitulieren – vor der AfD
Ein Koalitionsvertrag ist, so glaubt das naive Parteimitglied, eine Art politisches Versprechen – kein Ehegelübde aus Liebe, aber immerhin ein bindender Vertrag aus Berechnung. Was CDU, CSU und SPD nun jedoch zu Papier gebracht haben, gleicht eher dem letzten Anlauf dreier Traditionsparteien, die – vom Bedeutungsverlust getrieben – beschlossen haben, sich rechts zu überholen. Gegenseitig, versteht sich.
Man lese nur die Pläne zum Asylrecht: Grenzkontrollen, als wären wir wieder bei Zollkontrolle und Schlagbaum; Zurückweisungen selbst bei Asylgesuchen, als hätte der Schengener Grenzkodex nie existiert; und das Ganze garniert mit der semantischen Spitzfindigkeit von »Regelausweisung«, »Beibringungsgrundsatz« und anderem Verwaltungsvokabular, das klingt wie aus einem Juristenmund gefallen – aber geschrieben wurde, um Menschen zu entrechten.
Während die SPD das Grundrecht auf Asyl wie eine Monstranz vor sich herträgt, um zu kaschieren, dass sie in der Sache längst kapituliert hat, schreibt die Union ungerührt in den Vertrag, was die AfD gestern noch in Wutbürger-Newslettern diktierte.
Während die SPD das Grundrecht auf Asyl wie eine Monstranz vor sich herträgt, um zu kaschieren, dass sie in der Sache längst kapituliert hat, schreibt die Union ungerührt in den Vertrag, was die AfD gestern noch in Wutbürger-Newslettern diktierte. Man fordert Abschiebungen in Länder wie Afghanistan, in denen queere Menschen und politische Dissidenten nicht bloß Diskriminierung fürchten müssen, sondern darum, die nächste Nacht zu überleben.
Der stramme Rechtsdrall des Koalitionsvertrags findet seine Bestätigung von intellektueller Seite in den Forderungen von Andreas Rödder. Der Historiker war einst als Vorsitzender der Grundwertekommission der CDU engagiert, musste aber 2023 zurücktreten, weil er sich eine Zusammenarbeit mit der AfD wünschte. Seitdem kommentiert er als freischwebender »CDU-Vordenker« (Welt), gerne zitiert in allen großen Medien. Er fordert »konditionierte Gesprächsbereitschaft« mit der AfD, hält Unvereinbarkeitsbeschlüsse für störende Altlasten, meint, man hätte der AfD im Bundestag den Alterspräsidenten gönnen sollen – und bezeichnet ausgerechnet den AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland als »respektable Persönlichkeit«.
Dass solche Positionen nicht in der Jungen Freiheit, sondern in Welt und Stern kursieren, ist kein Ausrutscher, sondern ein Symptom. Der Tabubruch ist nicht länger Provokation, sondern Bewerbungsschreiben.
Die Brandmauer zur AfD steht noch – aber der Putz bröckelt
Und die CDU? Reagiert nicht etwa entsetzt, sondern genervt, wie eine bürgerliche Familie, wenn der Onkel bei der Goldenen Hochzeit mal wieder nur gesagt hat, »was man ja wohl noch sagen dürfen muss«. Die sogenannte Brandmauer zur AfD steht noch – aber der Putz bröckelt, das Fundament wackelt und die Tür ist längst einen Spalt offen.
Dass der wohl baldige Kanzler Friedrich Merz (CDU) zur gleichen Zeit beginnt, den Koalitionsvertrag, den er selbst unterzeichnet hat, nach seinem Gusto zu interpretieren, fügt sich nahtlos ins Bild: Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen? Nur wenn’s passt. Mindestlohn? Kein Automatismus. Vermögensteuer? Hat es nicht einmal in einer Minimalversion in den Vertrag geschafft. Die Haltung der Union bleibt hart: Wer nichts hat, soll arbeiten. Wer viel hat, darf behalten. Und wer aus Afghanistan oder Syrien kommt, soll abgeschoben werden – egal ob dort Bomben oder Hinrichtungen drohen.
Was bleibt, ist ein Land, in dem die Sozialdemokratie die Flüchtlingspolitik der CSU verteidigt, die CDU die Sprachmuster der AfD übernimmt und Historiker der AfD zuarbeiten.