24.04.2025
Repression gegen Gewerkschafter in Belarus

Gewerkschafter als Staatsfeinde

Vor drei Jahren wurden alle unabhängigen Gewerkschaften in Belarus verboten und zahlreiche ihrer Mitglieder verhaftet. Zum Jahrestag der Verhaftungen versuchen Gewerkschafter, ihren Kollegen in den Gefängnissen Aufmerksamkeit zu verschaffen, doch öffentlich können sie sich nur noch im Exil betätigen.

Vilnius. »Wir sind am Leben, wir kämpfen und werden weiter kämpfen«, sagte der Vorsitzende des Belarussischen Kongresses der Demokratischen Gewerkschaften, Maksim Pasnjakow, auf einer Pressekonferenz anlässlich eines internationalen Aktionstags in Solidarität mit den Gewerkschaften in Belarus am 16. April. Doch die Konferenz, an der fast 90 Vertreter internationaler Gewerkschaften teilnahmen, fand nur online statt. Wie viele seiner Kollegen lebt Pasnjakow im Exil, öffentliche Aktivitäten unabhängiger Gewerkschaften sind in Belarus längst nicht mehr möglich.

Der Aktionstag sollte Aufmerksamkeit für Gewerkschafter schaffen, die aus politischen Gründen in Belarus im Gefängnis sitzen. Die Menschenrechtsorganisation Wjasna schätzt, dass seit 2020 50 Gewerkschafter verhaftet wurden. 29 von ihnen befinden sich immer noch in Gefängnissen und Strafkolonien, einige von ihnen wurden zu »Extremisten« oder sogar »Terroristen« erklärt und erhielten lange Haftstrafen. Zehn Mitglieder der zur »ex­tremistischen Formation« erklärten Gewerkschaft »Rabotschj Ruch« (Arbeiterbewegung) seien beispielsweise zu zwischen elf und fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Die Gewerkschafter gehören zu den Tausenden politischen Gefangenen seit 2020. Während der Massenproteste gegen die ­gefälschte Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren kam es zu zahlreichen Streiks und Protesten in großen Industriebetrieben. Die Betriebe und Behörden reagierten mit scharfer Repression: Zahlreiche Arbeiter wurden bedroht, entlassen oder festgenommen. Vor allem Vertreter kleinerer Gewerkschaften, die, ­anders als die großen staatsnahen Gewerkschaften, unabhängig von der ­Regierung sind, waren betroffen, denn sie hatten den Wahlbetrug und die brutale Gewalt kritisiert, mit der die Regierung gegen Demonstranten vorging.

29 verhaftete Gewerkschafter befinden sich immer noch in Gefängnissen und Strafkolonien, einige von ihnen wurden zu »Extremisten« oder sogar »Terroristen« erklärt.

Im Juli 2022 erklärte der Oberste Gerichtshof fünf unabhängige Gewerkschaften für illegal, weil sie sich während der Proteste an kriminellen Aktivitäten beteiligt hätten. Auch des »Extremismus« wurden sie beschuldigt, eine Bezeichnung, die die belarussischen Behörden verwenden, um politische Verfolgung zu rechtfertigen. Dem Urteil ging eine Verhaftungswelle gegen ­Gewerkschafter voran: Allein zwischen dem 19. und 21. April 2022 nahm die Polizei fast 20 Personen fest, der Gruppe Wjasna zufolge sind 17 von ihnen immer noch in Haft.

Fast gleichzeitig zum Urteil des Obersten Gerichtshofs strahlte das Staatsfernsehen einen Film aus, in dem die verbotenen Gewerkschaften als korrupt dargestellt wurden. Sie würden über ihre wahren Mitgliederzahlen lügen, um bedeutender zu erscheinen, Funktionäre hätten von »Kuratoren« aus dem westlichen Ausland von 2019 bis 2022 300.000 Euro erhalten und damit ihren persönlichen Lebensstil finanziert. Der Film skandalisiert, dass sich ein Gewerkschafter ein I-Phone gekauft und eine andere ihren Hund mit Hühnerfilet gefüttert habe.

»Die globale Gewerkschaftsbewegung unterstützt die inhaftierten Gewerkschaftsführer und alle, die sich innerhalb und außerhalb von Belarus für Demokratie und Menschenrechte einsetzen«, schreibt Jim Baker, ein US-Gewerkschafter mit langjähriger Erfahrung in verschiedenen internationalen Gewerkschaftsorganisationen, auf der Website Linkedin. »Dazu gehört auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die Opfer des Regimes unterstützt und Belarus aufgefordert hat, unabhängige Gewerkschaften wieder ­zuzulassen, nachdem sie vom Obersten Gerichtshof als ›extremistische Formationen‹ verboten worden sind. Daraufhin wurde die ILO mit denselben Lügen abgespeist und ihr Antrag auf einen Besuch bei den Gefangenen abgelehnt«, so Baker weiter.

Das Problem der staatsnahen Gewerkschaften

In Belarus gab es lange zwei unterschiedliche Arten von Gewerkschaften: die großen staatsnahen, die in Nachfolge der sowjetischen Gewerkschaften stehen, und kleinere, die sowohl von der Regierung als auch vom Management der Industriebetriebe unabhängig sind. Die Repression der ­Regierung Lukaschenko gegen Letztere begann bereits Mitte der neunziger Jahre, Amnesty International zufolge hatten sie 2021 etwa 10.000 Mitglieder.

Staatsnahe Gewerkschaften umfassen mit etwa vier Millionen Mitgliedern die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Anders als die unabhängigen Gewerkschaften verwalten sie große Vermögen, und ähnlich wie zu Sowjetzeiten bekommen Arbeiter über sie Zugang zu zahlreichen sozialen Leistungen wie etwa Urlaubsreisen.

Weniger effizient sind sie allerdings darin, die Rechte von Arbeitnehmern zu schützen. Umfragen zeigten in der Vergangenheit, dass Arbeitnehmer sich von den staatsnahen Gewerkschaften in dieser Hinsicht nichts versprechen. Zwar würden sie immer noch vor Gericht die Rechte von Arbeitern verteidigen, schreibt das Online-Medium Salidarnasz unter Berufung auf einen unabhängigen Gewerkschaftsaktivisten, der noch in Belarus lebt und darauf hinweist, dass Personen gezwungen würden, den staatsnahen Gewerkschaften beizutreten. Doch sei »der Anteil der gewonnenen Prozesse gering«.