24.04.2025
Ich bin dann mal in Danzig

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: In Gdańsk

Auf dem polnischen Urban-Sketcher-Meeting in Świdnica lernten Julia und ich im vergangenen Jahr Dominika Wróblewska kennen. Im Herbst besuchte sie uns in Berlin, jetzt fuhren wir zum Gegenbesuch nach Gdańsk. Für Julia und mich ist es überhaupt das erste Mal, dass wir uns privat, abseits der organisierten Urban-Sketcher-Meetings, mit jemandem treffen, um nur zu Zeichnen. Dominika in ihrer Stadt zu besuchen, bringt uns an Orte und zu Leuten, die wir sonst nie kennengelernt hätten.

Sie stellt uns ihrer Mutter vor. Wir sitzen im Garten ihres Hauses, zeichnen und malen stundenlang. Wir gehen zum Stapellauf eines Schiffs in der berühmten Danziger Werft. Die eigentliche Taufe, das Zerschlagen einer Sektflasche am Bug, sehen wir nicht. Wie die meisten der überwiegend einheimischen Zuschauer stehen wir hinter dem Schiff.

Wir sind zufrieden, weil wir alle das komplette Schiff und die Menschenmenge in der knappen Zeit festgehalten haben, Dominika und Julia sogar in Farbe.

Wir hören kurz, wie die Nationalhymne erklingt, dann geht ­alles ganz schnell. Das Schiff setzt sich in Bewegung, die Leute zücken ihre Handys. Ein paar Menschen winken den Arbeitern zu, die oben an der Reling des Schiffs stehen, ein paar winken zurück. Weil alle ihre Handys hochhalten und filmen, applaudiert niemand. Lautlos rutscht das Schiff ins Hafenbecken. Wir sind zufrieden, weil wir alle das komplette Schiff und die Menschenmenge in der knappen Zeit festgehalten haben, Dominika und Julia sogar in Farbe. Die mache ich erst später in unserem Appartement drauf.

Dominika Wróblewska, Künstlername Domee (sprich Domie), ist Autorin, Reportageillustratorin und Höhlenforscherin. Ihre besondere Fähigkeit ist es, Alltagssituationen festzuhalten, präziser: Alltagssituationen in Bewegung. Dominika versucht wirklich, echtes Leben festzuhalten. Uns drei verbindet, dass wir zufällig alle im selben Stil zeichnen, den ich »Comic-Realismus« nennen würde.

Einzelausstellung in einer Buchhandlung, illustrierter Spieltisch in einer Spielebar

Dominika bringt uns auch zu ihrer erst vor kurzem eröffneten ersten Einzelausstellung in einer Buchhandlung in Gdańsk. Gezeigt werden vergrößerte Reproduktionen ihrer Stadtansichten, Wimmelbilder und dialogreiche Miniaturen. In Schaukästen sind ihre Skizzenbücher ausgestellt. Auch ihre auf kleinen Plastikkärtchen angefertigten Höhlenskizzen sind zu sehen.

Am Abend gehen wir in die Bar »Graciarnia«, eine Spielebar, in der ein Spieltisch unlängst von Dominika mit Ereignissen aus der Bar illustriert wurde. Der Barmann Wolf gibt dort sein erstes Konzert mit seinen eigenen poetischen Lieder auf Polnisch und Englisch.

Ich gehe Bier holen. Hinter der Bar ein kurzhaariger Metaller mit Mayhem-T-Shirt. Er eröffnet unsere Begegnung mit einem ausdruckslosen Kopfnicken: Willkommen in der Servicewüste. Weil ich vermute, dass Biermischgetränke hier nicht verbreitet sind, bestelle ich getrennt eine Sprite, ein Bier und ein zweites Glas. »Was für ein Bier?«, fragt der Barmann. »Egal. Ich will es mischen.« »Ach, du willst ein Radler machen!« »Ja, genau.«

»Don’t you know a Shandy! A Shandy?«

Jetzt hätte ein sachkundiger Barmensch angeboten, mir ein Radler zu machen, doch er stellt die Gläser einfach auf die Bar. Als ich mich daran mache, die Getränke zu mischen, sagt er: »Kannst du es bitte nicht verschütten.« Ich bin ein bisschen genervt. Er ist so unfreundlich und alles so unnötig kompliziert. Ich antworte: »Oh, würdest du es für mich mischen?«

Er nimmt die Gläser und mischt, als der britische Barbesitzer ihn sieht. »What? Is that your first Shandy?« sagt er mit breitestem britischen Akzent. Als der Mayhem-Mann ihn nur anguckt, legt er richtig los und macht sich über ihn lustig: »Have you never made a Shandy? Don’t you know a Shandy! A Shandy?«

Zufrieden gehe ich mit den Radlern wieder zu meinem Platz. Irgendwie fühlt es sich gut an, dass der Barmann vom Besitzer ein bisschen verarscht wurde. Warum war er auch so doof zu mir? Ich war total freundlich.

Ich war auch sehr freundlich zu den Kontrolleuren in der Tram am Dienstag. Und eigentlich hatte ich auch ein Ticket …  Trotzdem haben sie mich 50 Euro Strafe zahlen lassen. Aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt geht es erst mal nach Sopot – ans Meer.