Dubioser Einschüchterungsversuch
Paris. Die Zeichen stehen auf Sturm. Am Sonntag nahm das algerische Regierungskabinett einen Gesetzentwurf zur militärischen Mobilmachung an. Dies gab ein über die amtliche Nachrichtenagentur APS verbreitetes Pressekommuniqué bekannt.
Ein Krieg dürfte zwar nicht unmittelbar bevorstehen, in den vergangenen Wochen hat sich jedoch ein Konflikt mit dem südlichen Nachbarn zugespitzt. In der Nacht vom 31. März zum 1. April schoss die algerische Luftwaffe eine Mali gehörende Drohne aus türkischer Produktion ab, die nach Angaben der Regierung in Algier in ihren Luftraum eingedrungen war. Mali versichert hingegen, der Abschuss sei südlich der gemeinsamen Grenze in der zu Nordmali zählenden, von Tuareg geprägten Stadt Tin Zaouatine erfolgt.
Algerien und Mali schlossen ihren Luftraum für den jeweiligen Nachbarn, was in der Region tätige Fluggesellschaften wie die teilstaatliche Turkish Airlines dazu zwingt, sich zu entscheiden, welches der beiden Länder sie anfliegen. Vom 13. bis 17. April tagten unter anderem die Generalstäbe der Luftwaffen Algeriens und Malis gemeinsam in der malischen Hauptstadt Bamako.
Die frühere spanische Kolonie Westsahara ist seit 1975 von Marokko okkupiert, Algerien unterstützt die gegen Marokko kämpfende Frente Polisario. Mit einer unmittelbaren militärischen Eskalation zwischen Marokko und Algerien ist jedoch nicht zu rechnen.
Zu den Konfliktquellen zählen die Autonomie- oder Unabhängigkeitsbestrebungen von Teilen der Tuareg-Bevölkerung im Norden Malis. 2015 war in Algier ein Autonomieabkommen für den Norden Malis paraphiert worden, doch die malische Militärregierung kündigte die Vereinbarung Anfang 2024 auf. Algerien beschwert sich aber auch über die übermäßige Präsenz des russischen Afrikakorps in Mali, des staatlichen Nachfolgers der Söldnergruppe Wagner.
Angespannt sind bereits seit 2020/2021 auch die Beziehungen Algeriens zum Nachbarn Marokko sowie zur früheren Kolonialmacht Frankreich. Die französische Regierung unter Staatspräsident Emmanuel Macron übernahm am 30. Juli vergangenen Jahres – anlässlich des 25. Jubiläums der Thronbesteigung des Monarchen Mohammed VI. – offiziell die marokkanische Position zur Besetzung der Westsahara wie zuvor die USA unter Donald Trump 2020.
Die frühere spanische Kolonie ist seit 1975 von Marokko okkupiert, Algerien unterstützt die gegen Marokko kämpfende Frente Polisario. Mit einer unmittelbaren militärischen Eskalation zwischen Marokko und Algerien ist jedoch nicht zu rechnen. Die bilateralen Beziehungen zwischen den Regierungen Frankreichs und Algeriens aber sind so angespannt wie seit dem Ende des Algerien-Kriegs 1962 nicht mehr.
Algerischer Ausweisungsbeschluss
Am Montag voriger Woche wies Algerien zwölf französische Konsularbeamte aus, die 48 Stunden Zeit erhielten, um das Land zu verlassen. Frankreich reagierte daraufhin am Dienstagabend mit einer identischen Gegenmaßnahme, es rief aber auch den französischen Botschafter in Algier, Stéphane Romatet, zu Beratungen nach Paris zurück.
Unmittelbarer Anlass für den algerischen Ausweisungsbeschluss war die Festnahme von drei algerischen Staatsbürgern in Frankreich, unter ihnen ein Bediensteter des algerischen Konsulats in der Pariser Trabantenstadt Créteil, die am vorvergangenen Wochenende durch die französischen Medien ging. Dem Trio wird vorgeworfen, eine Rolle bei der Entführung des berbersprachigen algerischen Bloggers, Oppositionellen und seit 2023 in Frankreich anerkannten politischen Flüchtlings Amir Boukhors am 29. April vorigen Jahres gespielt zu haben.
Unter dem Pseudonym »Amir DZ« kritisiert er das algerische Regime in sozialen Medien scharf, auf Tiktok hat er mehr als eine Million Follower. In Algerien wurde er in Abwesenheit wegen Betrugs sowie Bedrohung und Verleumdung verurteilt, zudem beantragten die algerischen Behörden der französischen Tageszeitung Libération zufolge sieben Mal seine Ausweisung aus Frankreich, allein im Jahr 2021 zwei Mal wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung; die französischen Behörden wiesen die Anträge stets ab.
Handschrift von Dilettanten
Die algerische Seite gibt offiziell vor allem dem französischen Innenminister, Bruno Retailleau, die Schuld an der diplomatischen Krise: Dieser sei auf Eskalation aus. Algerien wirft zudem französischen Regierungskreisen vor, mit der Festnahme die diplomatische Immunität des Konsulatsbeschäftigten verletzt zu haben. Diese erstreckt sich allerdings nicht auf schwere Straftaten wie Entführung.
Nicht ganz ausgeschlossen ist es, dass eine der notorisch miteinander rivalisierenden Seilschaften in der algerischen Politik einen Versuch unternommen hat, Oppositionelle in Frankreich mit illegalen oder brutalen Mitteln zum Schweigen zu bringen. Die Affäre »Amir DZ« trägt allerdings eher die Handschrift von Dilettanten.
So wurde der Blogger an jenem Apriltag vor einem Jahr seinen Schilderungen zufolge in ein Auto gezerrt. Zunächst wurde ihm eine Fahrt nach Amsterdam angekündigt, bevor die Fahrt schließlich in einem Waldstück im Département Seine-et-Marne, noch im östlichen Teil der Metropolregion Paris, endete. Ihm sei eine Unterredung mit einem »algerischen Verantwortlichen« angekündigt worden, der ihn dringend sehen wolle – dazu kam es nicht. Nach insgesamt 27 Stunden Freiheitsberaubung wurde Boukhors dann ohne weitere Erklärungen oder konkrete Forderungen bei Nacht in einem Waldstück freigelassen.
Es scheint nicht komplett ausgeschlossen, dass eine Fraktion der algerischen Staatsclique aus politischen Motiven eine Wiederannäherung von Frankreich und Algerien zu hintertreiben bestrebt war.
Das Ganze wirkte insgesamt eher planlos. Vielleicht handelte es sich bei der Entführung um einen Einschüchterungsversuch, vielleicht sollte Boukhors umgebracht werden – das zu klären, ist Gegenstand der Ermittlungen.
Es scheint nicht komplett ausgeschlossen, dass eine Fraktion der algerischen Staatsclique aus politischen Motiven eine Wiederannäherung von Frankreich und Algerien zu hintertreiben bestrebt war. Algerische Quellen versuchen hingegen zu suggerieren, dass die Hintermänner aus französischen Geheimdienst- oder Polizeikreisen stammten. Die zwölf aus Algier ausgewiesenen Botschaftsbeschäftigten waren dem französischen Innenministerium unterstellt. Bei ihnen handelt es sich um sechs Polizisten, vier Gendarmen und zwei Angehörige des Inlandsnachrichten- und Spionageabwehrdiensts DGSI. Bei der Botschaft waren sie vor allem für die Bekämpfung der Migration und der Dokumentenfälschung sowie Terrorismusabwehr zuständig.