Jungle+ Artikel 24.04.2025
Die Kraker-Bewegung im Utrecht der neunziger Jahre

Springweg brennt

Utrecht in den neunziger Jahren: Eine Hausbesetzergang knackt ein uraltes, bezauberndes Altstadthaus. Drinnen spukt es, draußen lauern die Räumkommandos. Und völlig unerwartet wird »Springweg 23« zu einem Symbolkampf der alternativen Szene, der die gesamten Niederlande was angeht. Ein Auszug aus dem autobiographischen Kraker-Roman »Springweg brennt«.
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Es war Anfang Dezember 1995, als ich am Bahnhof Utrecht Centraal ankam. Das Thermometer zeigte tief in den Minusbereich, es wehte ein eisiger Küstenwind bis ins Landesinnere herein, die Grachten waren zuge­froren und die Menschen hasteten von den Zügen in Autos oder Geschäfte und Häuser.

Mir machte das alles nichts aus, ich war zwanzig Jahre alt und hatte das Gefühl, endlich in Freiheit an­gekommen zu sein. Das war die neue Welt, in der ich bleiben würde. Die kleinen Häuser, die fremde Sprache auf den Anzeigentafeln und ihr Klang in meinen Ohren, die kurzen schnellen Züge, die freundlichen, ­ruhigen Menschen. Dieses Utrecht legte sofort einen Glitzer über mich.

Bart hatte mir detaillierte Anweisungen gegeben, wie ich zu seinem Haus in der Lanslaan gelangen würde. Dieses Haus war kein gewöhnliches Haus, sondern ein besetztes Schulgebäude in einem Randbezirk der Stadt, zwischen großen Alleen und grauen Wohnhochhäusern der siebziger Jahre, in einer kleinen, verschlafenen Siedlung aus einstöckigen Reihenhäusern. Dort stand dieses L-förmige Schulgebäude, ohne Stockwerke, nur zwei lange Gänge, aus denen die Klassenräume abzweigten.

»Hi« sagte Bart und schüttelte mir die Hand. Er zeigte mir das Gästezimmer, das war ein unbeheizter und fensterloser Raum, der früher vermutlich eine Abstellkammer gewesen war. Das Zimmer war trotzdem geräumig und auch hell, da es zum Gang hin zwei große Fenster und an der Decke ein Oberlicht besaß. Nur konnte ich nicht nach draußen schauen, das war weniger romantisch. Vormittags lag ich oft im Schlafsack, las Bücher, ich hatte ständig eine gefrorene Nase. Und es liefen den ganzen Tag Menschen an den Fenstern vorbei. Ein Stück weiter den Gang hoch gab es nämlich ein Atelier und ein Musikzimmer. Deswegen hängte ich irgendwann zwei große Schals auf.

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