Erfolgloser Vertuschungsversuch
Für das Gericht steht fest: Mustafa A., früher Lehramtsstudent der Freien Universität Berlin, hat seinen ehemaligen Kommilitonen, den jüdischen Studenten Lahav Shapira, aus antisemitischen Motiven angegriffen. So entschied das Amtsgericht Tiergarten am Donnerstag vergangener Woche und verurteilte A. zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Urteil geht damit über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Die hatte zwei Jahre und vier Monate gefordert.
Der Beschuldigte hatte bereits eingeräumt, im Februar 2024 seinen damaligen Kommilitonen vor einer Bar in Berlin-Mitte brutal zusammengeschlagen zu haben. Aufgrund seiner Kampfsporterfahrung dürfte A. in der Lage gewesen sein, das Ausmaß seiner Gewalt richtig einzuschätzen, hieß es vor Gericht. Eine Gerichtsmedizinerin bescheinigte Shapira »eine komplexe Mittelgesichtsfraktur mit teils verschobenen Knochenpartien«. Die Metallplatten, die dem Geschädigten über Mund und Nase eingesetzt werden mussten, brachte die Sachverständige in einer Plastiktüte mit. Eine akute Lebensgefahr habe zwar nicht bestanden. Die »massive stumpfe Gewalt«, betonte sie, hätte aber potentiell tödlich enden können.
Die Verteidigung versuchte, den Betroffenen als vulgären Provokateur und den Angriff als Folge persönlicher Differenzen darzustellen.
Der Tatbestand war dem Gericht zufolge so eindeutig, dass das frühe Geständnis im Urteil kaum zu berücksichtigen sei. Entscheidender war an diesem Tag die Frage nach dem Tathintergrund. A. bestritt, dass er aus antisemitischen Gründen gehandelt habe. Sein Verteidiger, Ehssan Khazaeli, versuchte, Shapira als vulgären Provokateur und den Angriff als Folge persönlicher Differenzen darzustellen.
Kurz vor dem Prozess veröffentlichte die Taz eine Recherche zu Khazaeli, wonach dieser eine rechtsextreme Vergangenheit hat. Demnach war er um 2010 im Umfeld der rechtsextremen Partei Pro Deutschland aktiv und stand in E-Mail-Kontakt mit dem Geschäftsmann Patrick Brinkmann, einer damaligen Führungsfigur der europäischen Neonazi-Szene. Zu der Zeit sei er außerdem »Jugendgruppenleiter« bei der rechten Kleinstpartei »Die Freiheit« gewesen. Auch Kontakte mit AfD-Politikern habe er gepflegt.
Täter-Opfer-Umkehr
Shapira, so Khazaeli beim Versuch, ein antisemitisches Motiv seines Mandanten zu bestreiten, sei erzieherisch und herablassend gegenüber seinen Kommilitonen aufgetreten. Als Administrator einer Whatsapp-Gruppe für Lehramtsstudenten habe er ihm unliebsame Nachrichten zum Israel-Gaza-Krieg gelöscht und »propalästinensische« Plakate im Universitätsgelände abgerissen. A. habe in der Tatnacht schließlich aus einem Affekt heraus, wegen Shapiras Umgangsformen, zugeschlagen und zugetreten.
Er sei nur gegen antisemitische und rassistische Kommentare vorgegangen, versicherte wiederum Shapira, wofür der Richter Sahin Sezer Verständnis äußerte. Als Administrator einer privaten Chatgruppe habe man das Recht, gegen Nachrichten dieser Art einzuschreiten. Und die Plakate, die Shapira abgerissen hatte, waren Sezer zufolge schlicht antisemitisch. Der Verteidigung warf Sezer vor, eine Täter-Opfer-Umkehr zu versuchen.
Von einem Datenforensiker des Berliner Landeskriminalamts erhoffte man sich zudem vergeblich die Klärung des Ursprungs einer Videosequenz vom Tatort, die auf dem Handy des Angeklagten gefunden wurde. Das Video ist unterlegt mit der Mitteilung »musti hat diesen judenhurensohn totgeschlagen«. Die Verteidigung ließ zwei Freunde, die mit A. in der Tatnacht in der Bar waren, als Zeugen laden, um zu widerlegen, dass A. der Urheber der Videomontage sei.
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Angeklagten
Dass A. selbst deren Urheber sei, behauptete indes weder die Staatsanwaltschaft noch Shapiras Anwalt. Die gingen eher davon aus, dass das Video von einem der Begleiter erstellt worden sei. Und da die keine Studenten der FU seien, sei anzunehmen, dass A. ihnen gegenüber erwähnt hatte, dass Shapira Jude ist. »Herr Shapira wurde als eine Art dämonisches Feindbild konstruiert«, sagte dessen Anwalt Sebastian Scharmer. Die Urheberschaft konnte letztlich nicht eindeutig geklärt werden.
Der Angeklagte äußerte sich während des Prozesses fast gar nicht. Erst kurz vor dem Urteil richtete er sich persönlich an Shapira und entschuldigte sich für seine Tat – könnte man meinen. Denn sein Schlusssatz hinterließ Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit: »Es tut mir leid, dass dieser Fall instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen; das war nie mein Ziel.«
Shapira zeigte sich nach dem Prozess erleichtert, auch darüber, dass das antisemitische Motiv eindeutig benannt wurde.
Abschließend richtete sich der Richter persönlich an A. und sagte: »Sie haben sich Ihr eigenes Leben versaut. Wir haben ja gesehen, wo Sie herkommen. Kleine Wohnung, sechs Geschwister. Was hätten Sie für ein Vorbild sein können für die Kinder aus den Plattenwohnungen von Neukölln.« Stattdessen habe A. sich wegen eines politischen Konflikts, der vielleicht seine Großeltern, nicht aber ihn betroffen habe, zu dieser Tat hinreißen lassen. Die Eltern von A. stammen aus dem Libanon, er selbst wurde in Berlin geboren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Shapira zeigte sich nach dem Prozess erleichtert, auch darüber, dass das antisemitische Motiv eindeutig benannt wurde. Ob er die Entschuldigung annehme, fragten ihn die anwesenden Journalisten. Etliche Mikrophone und Kameras waren auf sein Gesicht gerichtet, das vom Angriff noch immer gezeichnet ist. Prinzipiell nähme er es schon an, antwortete er. Es wäre ihm jedoch leichter gefallen, hätte A. währenddessen nicht gegrinst.