Sünder und Samariter
Zu den Pflichten eines Papstes gehört es, sich als guter Hirte auch um das Seelenheil der aufsässigsten und sündigsten Schäfchen zu bemühen. So gehörte US-Vizepräsident J. D. Vance zu den Letzten, denen eine Audienz bei Papst Franziskus gewährt wurde.
2019 zum Katholizismus übergetreten, tat sich Vance umgehend mit eigenwilligen theologischen Interpretationen hervor, ignorierte die Mahnungen des Papstes und machte sich damit der Todsünde des Hochmuts schuldig. Da auch die Todsünden Zorn, Trägheit des Herzens und Habgier Vance nicht fremd sind, könnte es dereinst schwierig werden, ihm den passenden Höllenkreis zuzuweisen.
Hierarchisierung der Nächstenliebe
In der katholische Kirche besteht eine überwiegend von Geistlichen gebildete rechtskonservative bis rechtsextreme Strömung, Verstärkung erhält sie seit einiger Zeit durch Konvertiten wie Vance. Sie schätzen den Traditionalismus und die Dogmentreue, weniger Sinn haben sie für die Tugend der Barmherzigkeit – die Franziskus hervorhob.
Vance propagierte unter Berufung auf den spätantiken Theologen Augustinus die ordo amoris, eine Hierarchisierung der Nächstenliebe, bei der entsprechend der Doktrin der neuen US-Regierung für Menschen aus sogenannten shithole countries wenig übrig bleibt; Franziskus verwies auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der einem andersgläubigem Fremden half.
Dogma und Hierarchie der Kirche hat Franziskus nicht angetastet. »Wenn Menschen um einen Segen bitten, sollte eine umfassende moralische Analyse nicht zur Voraussetzung für die Erteilung des Segens gemacht werden«, verkündete er jedoch 2023 und gestattete die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Er predigte auch mal gegen die Habgier und mahnte den Schutz von Flüchtlingen an. Wegen dieser Haltung galt er katholischen Rechten und Rechtsextremen als Linksabweichler.
Sollte sich bei den kommenden Papstwahl zeigen, dass die weltweite Rechtsentwicklung ausgerechnet an der katholischen Kirche vorbeigegangen ist, könnte man das fast schon als Wunder werten.
In kirchlichen Kreisen muss nach Franziskus’ Tod am Montag eine Schamfrist eingehalten werden, bevor man über den Nachfolger diskutiert. Weniger pietätvoll sind die Wettbüros. Glaubt man deren Quoten, wird Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin der nächste Papst – er dürfte wohl Franziskus’ Politik fortsetzen.
Doch kann man davon ausgehen, dass die katholische Rechte ihre Kandidaten in Stellung bringen wird. Da Kardinäle zu den wenigen Mächtigen gehören, die nicht ständig in sozialen Medien ihre Ansichten hinausposaunen, tun sich auch Expert:innen schwer mit Vorhersagen. Sollte sich bei den kommenden Papstwahl zeigen, dass die weltweite Rechtsentwicklung ausgerechnet an der katholischen Kirche vorbeigegangen ist, könnte man das fast schon als Wunder werten.