24.04.2025
Rechtsextreme machen sich im Amateurfußball breit

Jungnazis kicken

Im Amateurfußball machen sich Rechtsextreme auf den Zuschauer­rängen und dem Spielfeld breit. Weil die zuständigen Vereine oft nicht handeln, treten vereinzelt bereits gegnerische Teams aus Protest nicht zu den Spielen an. Auch bei manchem Profiklub wird das Problem wieder schlimmer.

Als am Nachmittag des 12. April das Fußball-Kreisligaspiel zwischen dem SC Polonia Hannover und dem SV Linden 07 angepfiffen werden sollte, gab es ein Problem: Weder der SV Linden 07 noch seine Anhängerschaft waren angereist. »Ein Spieler und vereinzelte Fans des SC Polonia fielen in der Vergangenheit durch gewaltverherrlichende, rassistische und homophobe Äußerungen im digitalen Raum, aber auch konkret bei Amateurspielen auf«, begründete der SV Linden seine Abwesenheit auf Instagram.

Die eigenen Fans seien wiederholt bedroht und beleidigt worden; obwohl das Problem bekannt war, seien sowohl der SC Polonia als auch der Niedersächsische Fußballverband (NFV) bislang untätig geblieben. »Das halten wir für ein falsches Signal an antidemokratische und diskriminierende Akteure.« Gemäß seiner Satzung wäre es Aufgabe des NFV, dem entgegenzuwirken. »Wir fordern dementsprechend den Verband dazu auf, seinem eigenen Anspruch nachzukommen«, heißt es abschließend.

»Im Amateurfußball ist es für die Verbände und Öffentlichkeit offen­bar noch immer leicht wegzu­schauen.« Simon, Fan des SV Linden 07

Der DFB behauptet in seinem »Lagebild Amateurfußball 2024« zwar, es sei ein »Rückgang von Gewalt und Diskriminierung« zu verzeichnen. Aus der aktiven Fanszene heißt es hingegen, dass sich in den meisten Stadien Rechtsextreme wieder etabliert hätten. »Unser Eindruck ist, dass es auf professioneller Ebene schon vieles gibt«, sagt Simon der Jungle World und meint damit Projekte, die dagegenhalten. Er ist in der Fanszene des SV Linden aktiv. »Im Amateurfußball ist es für die Verbände und Öffentlichkeit aber offenbar noch immer leicht wegzuschauen.« Lange habe man bereits darüber diskutiert, wie man darauf reagieren könne.

Es entstand die Idee, eine Plattform zu schaffen, um Diskriminierungs­formen und rechtsextreme Strukturen ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. So initiierte man gemeinsam mit Fans anderer Vereine die Kampagne »Fußball für alle. Gegen rechte Akteure im Amateurfußball«, die Anfang April erstmals an die Öffentlichkeit ging. Auf der Website berichten Betroffene von zurückliegenden und aktuellen rechtsextremen Vorfällen. Ein Video widmet sich ausführlich dem SC Polonia Hannover.

Auch der Kreisligaverein SK Bochum trat aus ähnlichen Gründen im November nicht zu einem Spiel gegen den WSV Bochum an: Ein Fußballer des WSV hatte in den sozialen Medien rechtsextreme Inhalte geteilt, der SK bat den WSV darum, den Spieler nicht einzusetzen, was der Verein jedoch ablehnte. In einem anderen dokumentierten Fall geht es um ein Spiel zwischen den Regionalligisten des SV Babels­berg ­gegen Energie Cottbus von 2017, wo in den Reihen der Cottbus-Fans rechts­extreme Sprechchöre ertönten, in denen sie die Babelsberger als »Zecken, Zigeuner und Juden« beschimpft wurden, mehrmals wurde der Hitlergruß gezeigt.

Rassismus blieb unerwähnt

Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) belegte beide Vereine mit einer Geldstrafe: Babelsberg wegen Pyrotechnik und dem Ruf »Nazi-Schweine raus«, Cottbus wegen Ver­gehen in insgesamt drei Partien; die rassistischen Ausfälle blieben unerwähnt. Dieser Fall in Liga vier zog allerdings empörte ­öffentliche Reaktionen nach sich. »Wir verstehen unsere Arbeit auch als Antwort auf den gesellschaftlichen Rechtsruck«, ordnet Simon die Veröffentlichungen ein.

Fans des Vereins Roter Stern Leipzig beteiligen sich ebenfalls an der Kampagne. Vor über 25 Jahren wurde der Verein als »antifaschistisches Sportprojekt« gegründet. Als Siebtligist reist die erste Männermannschaft durch das Leipziger Umland und ist dabei immer wieder mit Attacken konfrontiert. Rechtsextreme Mobs versuchen offenbar, die Fußballspiele für politische Raumnahme, Einschüchterungen und Gewaltdrohungen zu nutzen. ­Be­obachter:in­nen sagen, dass es sich dabei in der Mehrzahl um junge Männer handle, die ein Interesse an Hooliganismus und neonazistischer Ideologie hätten. Auswärtsspiele vom Roten Stern können oft nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen statt­finden.

Gegenwärtig ist ein Erstarken junger Neonazis zu beobachten, die sich in neuen Gruppen organisieren. Unter ihnen sind auf­fällig viele Fußballfans. Unlängst widmete sich die ZDF-Doku »Jung. Radikal. Organisiert« dem Phänomen. »Es gibt viele Mannschaften, die von uns supportet werden«, berichtet dort ein junger Neonazi. »Es ist bekannt, dass in einigen Kurven welche stehen und Leute anwerben.« Es handelt sich also offenbar um eine Strategie. »Das läuft dann meistens über die Jugend-Ultragruppen«.

»Jung. Radikal. Organisiert«

Wenig überraschend demnach, dass der rechtsextreme Nachwuchs vielfach die Codes aus der Fanszene kopiert: Es gibt einen Vorsänger, Pyrotechnik, einen bestimmten Kleidungsstil – und sie suchen die gewalttätige Auseinandersetzung. Schon im vergangenen Jahr war über Querverbindungen zwischen jungen rechtsextremen Gruppen und Fußballfangruppen berichtet worden, zum Beispiel über die Beziehungen der durch gewalttätige Überfälle bekannt gewordenen »Elbland­revolte« zu rechten Hooligans des Drittligisten Dynamo Dresden.

Solche Verbindungen gibt es auch in anderen Städten. Anfang März wurde der alternative Jugendclub »Jamm« im südbrandenburgischen Senftenberg von bis zu 40 Personen attackiert. Die Betreiber des Jugendclubs ordnen die Angreifer dem Umfeld der Fanszene des Drittligisten Energie Cottbus zu. Und in »Jung. Radikal. Organisiert« wird auch Hertha BSC genannt, dessen Fankurve eigentlich als vergleichs­weise unpolitisch gilt.

»Im Moment trauen die sich noch nicht heraus, aber es verändert sich was.« Hertha-Fan Bernd über rechte Fans bei dem Hauptstadtklub

Die Jungle World hat mit Bernd* gesprochen, der seit vielen Jahren zu Hertha geht und Mitglied eines Fanclubs ist, der für eine diskriminierungsfreie Fankultur einsteht. Er sagt, tatsächlich lasse sich unter einigen Hertha-Fans eine Bewegung nach rechts bemerken. »Im Moment trauen die sich noch nicht heraus, aber es verändert sich was.« Vor allem popkulturell sei es auffällig: »Junge Leute mit einschlägigen Klamotten und akkurat gekämmtem Scheitel. Kampfsport und Männlichkeit sind wichtige Themen. Vor allem auf Auswärtsfahrten nehmen die Pöbeleien zu.« Kürzlich sei eine Freundin von vier Hertha-Fans aufs Übelste rassistisch beleidigt worden.

Weil es aber wenige konkrete Vorfälle gebe, fehlten bisher die Reaktionen aus der aktiven Fanszene, die sich in der Vergangenheit gegen rechte Einflussnahme zur Wehr gesetzt hatte. Bernd und andere Fans seien im Gespräch mit dem Verein, um Ideen für Gegenstrategien zu sammeln. Im ­Moment sei er aber »ratlos«. Während junge Neonazis ihr Interesse an Hertha BSC entdecken, stehen Bernd zufolge immer mehr migrantische Fans in der Ostkurve.

Auf den Amateurplätzen häufen sich jedenfalls diskriminierende Vorfälle; zugleich schließen sich aber auch bundesweit Fans zusammen, um dagegen vorzugehen. Viele Fankurven positionieren sich offen antirassistisch, während sich in denselben Stadien junge Leute mit rechtsextremen Gedankengut tummeln.

* Name von der Redaktion geändert