01.05.2025
Zum 1. Mai: Die Bedeutung von Feiertagen und die Bedingungen, unter denen der Arbeitszwang ausgesetzt wird

Feierliche Unterbrechungen des Arbeitszwangs

Arbeitsfreie Tage bekommen Arbeitnehmer nur in Verbindung mit religiösen oder politischen Feiertagen geschenkt, was Politiker nicht davon abhält, regelmäßig ihre Abschaffung zu fordern, um das Brutto­inlandsprodukt zu steigern. Als besonders widersprüchlich erweist sich der 1. Mai: An diesem Tag wird die Arbeit geheiligt, um sie zu entpolitisieren.

Man muss arbeiten, aber doch nicht immer! Selbst ein Sklave muss gelegentlich ausruhen. Es sei denn, er soll durch Arbeit getötet werden. In jeder Arbeit hallt noch ein Echo der Todesdrohung wider, auch wenn sich Arbeit längst in ein effizienteres Spiel von Belohnung und Bestrafung hat verwandeln lassen müssen. Dass Arbeit auch ein dem Menschen angemessenes Glück sein könnte, davon ist man weiter entfernt denn je. Deshalb gibt es nichts Schöneres als Feiertage, denn sie sind das Gegenteil von Arbeitstagen.

Aber so tief verankert ist die Vorstellung von Arbeit als Schuld und Pflicht – »im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen« –, dass man eine Ausrede braucht, um nicht zu arbeiten. Deshalb bindet man den modernen Feiertag an den viel älteren Festtag. Es muss schon etwas Heiliges sein, die Götter, die Nation oder die Geschichte betreffend, weswegen man der faulen Bande einen ganzen Tag schenkt.

Der Feiertag soll nicht zuletzt eine Erholung von den ständigen Kämpfen des Wettbewerbs und der Karriere sein. Der Alltagskrieg soll ruhen.

Ein Festtag ist einer, bei dem ein bestimmtes, ursprünglich meist religiöses, Fest gefeiert wurde. Ein solches Fest ist eine Abfolge symbolischer Handlungen, der Verlesung heiliger Texte oder der Verwandlungen (Kinder in Erwachsene, Männer zu Kriegern et cetera). Der Festtag soll die symbolische Ordnung aufrechterhalten, stärken, erneuern.

Dagegen dient der Feiertag, ob mit einem ursprünglich religiösen oder politischen Hintergrund, als arbeitsfreier Tag eher dem Vergnügen oder dem Ausgleich. Statt auf das öffentliche Ritual richten sich die Energien mehr auf kleinere soziale Einheiten, am Ende steht das Familiäre im Vordergrund. Dann ist es wieder ein Familienfest, die Heiligkeit der ganzen Angelegenheit wird also auf die Familie übertragen. So wurde das Fest bürgerlich.

Fest und Feier sind kontrollierte Ausnahmesituationen. Bei etlichen von ihnen sind Dinge erlaubt, die ansonsten verboten sind. Es darf den Exzess geben, sexuell, karnevalistisch, kulinarisch, aber eben auch in Bezug auf die Gewalt. So geht es nicht um Ruhe, sondern im Gegenteil um eine Entladung. Ein Teil der Energie muss raus, der für die Arbeit nicht gebraucht wurde, damit man hinterher die Arbeit als nicht unerwünschte Rückkehr zur Normalität empfinden kann.

Der Feiertag soll nicht zuletzt eine Erholung von den ständigen Kämpfen des Wettbewerbs und der Karriere sein. Der Alltagskrieg soll ruhen, doch wo man glaubt, die äußere Gewalt ausgesperrt zu haben, da lauert oft genug schon der Unruhestifter im inneren Kreis. Wie viele Tanten wurden schon ermordet am Feiertag, fiktiv und real.

In der modernen Gesellschaft versteht man den Feiertag nur durch die Arbeit, und allerdings auch die Arbeit nur durch den Feiertag, auch wenn an diesem die Behauptung aufgestellt wird: Arbeit ist nicht alles. Zum einen dient der Feiertag der Wiederherstellung der Arbeitskraft, wird der Feiertag zum verdichteten Urlaub. Und zum anderen haben Feiertage eine Bedeutung. Und eine Geschichte, so fängt der Ärger an.

Souverän ist, wer über den Feiertag bestimmt

Nur auf den ersten Blick fiele es leicht, die Kulturgeschichte des Feiertags als die einer schrittweisen Säkularisierung zu schreiben: vom heiligen Schauer zur Freizeitindustrie, denn schließlich soll hier nicht nur überschüssige Energie, sondern auch Kaufkraft verbraucht werden. Aber das Spiel von Heiligung und Entheiligung ist komplizierter. Das Heil soll übertragen werden, so dass, zum Beispiel, Weihnachten zum Fest der Familie wird, das im Zeichen einer heiligen Familie gefeiert wird. Bedeutungen sind dazu da, verschoben zu werden, so was lernt man schon als Kind, vor allem an Feiertagen. So heißt es Abschied nehmen vom Wunder, das in jedem Festtag steckt, aber nicht endgültig. Weihnachtsmänner und Osterhasen fluten die Tische. Totem und Tabu: Knacks! Das heißt nicht zuletzt, dass der Konsum selbst zum Heiligtum wird, an die Stelle der Rituale wie der »Opfergaben« tritt.

Das Fest bedeutet nichts anderes, als die Gegenwart des Todes durch gemeinschaftliche Feiern zu überwinden. Jedes Fest ist eine Feier der Verwandlung, vom Tod zur Wiederauferstehung oder zur Wiedergeburt oder, profaner, zur Erneuerung. Eine Versöhnung der Widersprüche. Jedes Fest ist die Erinnerung an die früheren Feste, Wiederholung und Variation. Ein Ausnahmezustand, in dem die Konflikte des »normalen« Lebens zugleich unterbrochen und bestätigt werden.

Insofern ist jedes Fest auch eine erhebliche Gefahr; etwas wird beschworen, was damit droht, seine Übermacht nicht wieder zurückzunehmen. Die Gefährlichkeit des Fests – sexuell, semantisch oder politisch – ist im Feiertag noch einmal »kultiviert«, aber nicht vollkommen verschwunden. Was, wenn man gar nicht ausgeglichener, sondern erregter an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte?

Die Feiertage sollen also Arbeitskraft wiederherstellen, Belohnung und Ansporn sein, die Familie stärken. Auch das gewöhnliche öffentliche Leben findet nur reduziert statt: Die Politik feiert eine Pause, der Verkehr ist eingeschränkt, die Banken und Börsen sind geschlossen. Manchmal pausieren an einem Festtag sogar Kriege.

Während das Fest seine Heiligkeit zu bewahren versucht, versucht die Feier eine Aufladung mit Emotion und Kommunikation; nur der freie Tag schert sich weder um das eine noch um das andere, sondern will mit exzessivem Nichtstun oder mit Amüsement gefüllt sein.

Disziplinierung der »faulen Bande«

Die Belohnung für Arbeit ist Lohn, Ansehen und Freizeit. Freizeit ist geworden, was einst religiöse Anforderung war. Das begann mit dem Sonntag, der einmal der Tag des Herrn war, und es führte dazu, dass man es schließlich mit »gesetzlichen Feiertagen« zu tun hat, die im Kalender rot gefärbt sind und unter denen man wiederum »stille Feiertage« dadurch hervorhebt, dass an ihnen Disco und Theater geschlossen bleiben und man, wenn schon nicht in die Kirche, so doch wenigstens in sich gehen sollte. Schlim­msten­falls wird man in der Zeit, in der man frei von Arbeit ist, mit Langeweile bestraft.

Wenn also das Fest ein Ausnahmezustand ist, dann wäre es eine Frage der Souveränität, über den Festtag zu gebieten. Wer über den Feiertag gebietet, hat die Macht. Das Volk bekommt Feiertage vom Souverän geschenkt, oder – und jetzt sind wir ganz nahe an der Gegenwart: Souverän ist, wer den arbeitenden Menschen einen Feiertag nehmen kann. Niemand glaubt, dass ein Feiertag über die Zukunft einer Volkswirtschaft entscheidet, aber (beinahe) alle glauben an die Macht, die dahintersteckt.

8,6 Milliarden Euro würde die Streichung eines arbeitsfreien Feiertags dem Bruttoinlandsprodukt hinzufügen, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) prognostiziert. Die »Arbeitgeber« und ihre puritanisch-sozialdemokratischen Helfer (die die Arbeit geheiligt haben) verlangen, indem sie einen Feiertag »streichen«, als Souverän über den Ausnahmezustand Fest verfügen zu können, und nebenbei verlangen sie die Disziplinierung der faulen Bande, die nur das Vergnügen im Sinn hat und faulenzt, wenn man sie nicht ständig antreibt. Ein Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Anja Piel, betrachtet das Problem von der anderen Seite: Feiertage seien »kein Luxus, sondern wichtiger Bestandteil unserer Arbeitskultur; sie tragen zur Erholung der Beschäftigten und damit auch zur Produktivität bei«.

Wer den Bürgern einen Feiertag nimmt, will sie demütigen. Und wer ihnen einen Feiertag schenkt, will sie mythisch erhöhen. Das spielt natürlich besonders bei jenen Feiertagen eine Rolle, die nicht aus der religiösen, sondern aus der politischen Vergangenheit stammen. So wird der Nationalfeiertag ein Gegenstand des Kulturkampfs. Gedenkt man am 25. April in Italien der Befreiung vom Faschismus (und der Rolle der Partisanen dabei), so ist das natürlich einer »postfaschistischen« Regierung und ihrer Klientel ein Dorn im Auge. Ein Christopher Street Day (klar: kein »gesetzlicher« Feiertag) wird zum Hassobjekt der Rechten.

Die Heiligung der Arbeit an ihrem Feiertag

Der Tag der Arbeit ist ein Sonderfall, insofern er einen seltsamen Übersprung zwischen der Normalität der Arbeit und dem Ausnahmezustand des Fests darstellt. Die magische Bedeutung: Die Arbeit wird geheiligt. Die säkulare Bedeutung: Die arbeitenden Menschen feiern sich selbst. Sie demonstrieren damit, dass sie ein Teil des Souveräns sind, der über die kleinen Ausnahmezustände bestimmt. (Insofern wär’s auch eine Feier der ökonomischen Demokratisierung; utopisch, wie Feste eben auch immer sein können.) Dazwischen vermittelt eine Aufgabe des aus dem Transzendentalen schöpfenden Feiertags, nämlich sich »zu besinnen«.

Und so wie man sich gefälligst auf etwas »besinnen« sollte, an einem stillen Feiertag (statt in der Disco oder im Volksparkstadion zu grölen), könnte man sich ja auch am Tag der Arbeit besinnen: Was zum Teufel ist Arbeit? Was muss Arbeit unter welchen Bedingungen sein, und was könnte sie unter anderen Bedingungen werden? In der christlichen Tradition jedenfalls ist Arbeit eine Strafe – »Schweiß des Angesichts« –, aus der in der protestantisch-kapitalistischen Linie eine Pflicht wird und immerhin eine Verpflichtung in der sozialistisch-demokratischen Linie: Arbeit ist das, was man der Allgemeinheit zurückgibt für das, was man von ihr bekommen hat.

Ein Tauschgeschäft ist es allemal, vor allem aber und immer wieder neu: eine Frage der Macht. Wir haben einigermaßen im Blick, wie Macht die Arbeit bestimmt. Wenn die Merze und Arbeitgeber und Kretschmänner dieser Welt mehr Arbeit von allen verlangen, und umso mehr, je weiter ihr Blick nach unten geht, dann wollen sie nicht bloß mehr Produktivität und damit mehr Profit, sie wollen immer auch mehr Macht. Macht hat, wer andere für sich arbeiten lassen kann, und wer andere für sich arbeiten lassen kann, der bekommt noch mehr Macht.

»Muttertag« und »Tag der Arbeit«: Symbolische Erhöhung, reale Unterdrückung

Der Widerspruch zwischen der »Heiligung« der Arbeit und dem Anspruch der arbeitenden Menschen auf Souveränität über das eigene Leben führt direkt zu einer weiteren Festtagsvergiftung. Wie beim nicht weniger vergifteten »Muttertag« steht auch beim »Tag der Arbeit« symbolische Erhöhung im Missverhältnis zur realen Unterdrückung. Zur Erinnerung: Nachdem der Versuch der Weimarer Nationalversammlung, den 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag zu erklären, nur für das Jahr 1919 Erfolg hatte, haben im Jahr 1933 die Nationalsozialisten den 1. Mai zum nationalen Feiertag erhoben, nachdem sich die Gewerkschaften öffentlich von der Sozialdemokratie losgelöst und für »politisch neutral« erklärt hatten. Die sogenannten freien Gewerkschaften erklärten öffentlich, dass damit ein alter Traum der Arbeiterklasse endlich in Erfüllung gegangen sei.

So beschreibt es Franz Neumann in seiner Untersuchung über Struktur und Praxis des Nationalsozialismus: »Der Verrat an dieser jahrzehntealten Tradition aus dem Versuch, die Gewerkschaftsorganisationen vor der völligen Zerschlagung zu bewahren, war mehr als bloße Feigheit. Er war Ausdruck der vollkommenen Unfähigkeit, den wahren Charakter des Nationalsozialismus zu erkennen. Zugleich öffnete er den Nationalsozialisten die Augen. Sie sahen nun, daß selbst das bißchen Stärke, das sie den Gewerkschaften zugebilligt hatten, eine Illusion war.« Wären wir bereit, aus diesem Lehrstück etwas zu begreifen für unsere Gegenwart? Zu erwarten sind eher die üblichen Sonntagsreden, die dem kleinen Ausnahmezustand seine revoltierende Energie nehmen.

Auch darum geht es schließlich, wenn es um die Arbeit geht, dass man erstens mehr Lohn dafür bekommt, das heißt immerhin mehr Anteil an dem Reichtum, den diese Arbeit erzeugt, zweitens mehr Freizeit, das heißt, mehr Anteil am eigenen Leben, drittens mehr Sicherheit vor sozialen, körperlichen und gesundheitlichen Risiken, und viertens soll Arbeit mehr Respekt, mehr Würde bekommen. Die Gefahr freilich, die die Nationalsozialisten zu nutzen wussten, besteht darin, dass die Arbeit an ihrem Feiertag geheiligt wird, damit sie entpolitisiert werden kann.

Denn so haben wir den Feiertag in seiner Ambivalenz entlarvt: Am Feiertag wird etwas gefeiert, damit es verschwindet. Der Tod, oder der verdammte Schweiß, der nicht nur für die Anstrengung steht, sondern auch blind machen kann. Möglicherweise kommt dann die im Fest nur unvollkommen gebändigte rebellische Kraft des Feierns als Randale zum Ausdruck, so wie es immer zum Fest gehört, dass es gestört werden kann. Oder dass es außer Kontrolle gerät, die eigene, destruktive Parodie, das Fest derjenigen, denen man alles Festliche abgesprochen hat. Das Fest derjenigen, die keinen Feiertag brauchen, weil sie auch keine Arbeit haben.

Zum nationalen Feiertag in Deutschland wurde der 1. Mai im Jahr 1933 erhoben, nachdem sich die Gewerkschaften öffentlich von der Sozialdemokratie losgelöst und für »politisch neutral« erklärt hatten.

Je näher man den Feiertag betrachtet, desto finsterer erscheint er. Je später der Abend, desto mehr zieht er sich ins Private und eben Verborgene zurück, bis in die Psyche des Einzelnen, der zwischen Chaos und Ordnung in eine innere Zerreißprobe gerät. So folgt auch der Feiertag der Dramaturgie des Fests: Erwartung, Spannung, Retardierung, Genuss, Höhepunkt, Erwachen, Besinnung, Ernüchterung. Und die Rückkehr zum Normalen. Zur Arbeit. Zur Disziplin. Zur Unterwerfung unter den Souverän. Der will uns vielleicht einen Feiertag nehmen, damit das Heiligste des Heiligen, die Wirtschaft, Dummkopf, wieder gedeihe, der es schlecht geht, durch unsere Schuld, durch unsere große Schuld.

Der gesetzliche Feiertag, einer der kleinen Verträge zwischen einem sozialen Staat und seiner Gesellschaft, ist verwaltungstechnisch definiert als »Ruhetag«, an dem nicht gearbeitet werden darf. Es muss natürlich Ausnahmen geben. Polizei und Pflege, Fernsehsprecher und Bademeisterinnen …

Doch in der anderen, der digitalen Welt, da gibt es keinen Feiertag. Träumen etwa Roboter von einem Feiertag? Denkt eine KI über den Anspruch auf einen Ruhetag nach? Mit jedem technisch-ökonomischen Wandel ändern sich auch Wesen und Funktionen von Feiertagen. So mag jeder Feiertag auch zum Gedenken vergangener Feste werden; der Feiertag simuliert eine Welt, die es nicht mehr gibt, und das nicht nur zur Weihnachtszeit. So träumt auch der 1. Mai von einer Arbeit, die es nicht mehr gibt. Und vielleicht von einer Gemeinschaft arbeitender Menschen, die es nicht mehr gibt. Bestimmt von einer Hoffnung, die es nicht mehr gibt.