01.05.2025
In London trafen sich Antisemitismusforscher und -forscherinnen aus aller Welt

Akademie gegen Antisemi­tismus

Forscher und Forscherinnen aus aller Welt trafen sich in London, um über die derzeitigen Erscheinungen und Gefahren des Antisemitismus zu diskutieren. Ein sehr präsentes Thema waren die rechtspopulistischen Vereinnahmungsversuche des Kampfs gegen Antisemitismus.

London. Ein internationales Symposium zum Thema Antisemitismus tagte vor einem Monat in London. Rund 350 Teilnehmer kamen zu der Konferenz des Londoner Zentrums für Antisemitismusforschung und des Comper-Zen­trums für Antisemitismusstudien der Universität Haifa, die vor dem Hintergrund des weltweiten Anstieges judenfeindlicher Vorfälle seit dem Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 stattfand. Neben Debatten über Entwicklungen in den sozialen Medien und eskalierende Judenfeindlichkeit im Rahmen von antiisraelischem Aktivismus an Universitäten war auf der Fachtagung die Sorge über ein politisches Klima zu spüren, in dem Antisemitismuskritik mit rechtspopulistischen Positionen in Verbindung gebracht wird.

Die Projektion traditioneller antisemitischer Vorurteile auf den Staat Israel und dessen zionistischen Gründungsethos ist eine der vorherrschenden Manifestationen gegenwärtiger Judenfeindlichkeit. Das zeigen viele der Forschungsergebnisse, die bei der Tagung im jüdischen Kulturzentrum JW3 im Londoner Stadtteil Hendon vorgestellt wurden. Besonders im Fokus standen soziale und andere digitale Medien als Verbreitungsinstanz. 44 Prozent der ersten 500 Videos, welche die Plattform Youtube nach einer Suchan­frage zum Begriff Zionismus anzeigt, enthalten klassische antisemitische Verschwörungsmythen, so das Ergebnis einer Untersuchung von Philip Nottingham von der Social-Media-Marketingagentur Organic Video.

Vered Andre’ev von Cyberwell, einer Plattform zur Überwachung von Online-Antisemitismus, zeigte, dass die verzerrten Darstellungen der Terroranschläge vom 7. Oktober im Netz Parallelen zu antisemitischen Erklärungsmustern aufweisen, wie sie in Bezug auf den Holocaust auftreten, wenn durch Leugnung, Relativierung oder Umdeutung die Juden als Nutznießer der Shoah dargestellt werden. Scharfe Kritik an der Manipulation und Instrumentalisierung des Holocaust-Gedenkens übte auch der britische Historiker Sir Simon Schama.

An Universitäten, die zwischen 2015 und 2020 Mittel von Regimen aus dem Nahen Osten erhielten, wurden im Schnitt viermal so viele antisemitische Vorfälle verzeichnet wie an anderen.

Die Umdeutung oder gar Idealisierung der Anschläge vom 7. Oktober spielen auch bei antiisraelischen Protestaktionen an Universitäten eine Rolle, in deren Rahmen es immer wieder zu judenfeindlichen Vorfällen kommt. Günther Jikeli und Daniel Miehling vom Institut für Antisemitismusstudien an der US-amerikanischen Indiana University haben knapp 65.000 Instagram-Posts analysiert, die innerhalb der letzten zehn Jahren auf Accounts von über 600 antiisraelischen Universitätsgruppen in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden. Besonders verstörend sind Posts, mit denen die Aktivisten bereits am 7. Oktober selbst, während der Hamas-Angriff auf Israel noch andauerte, zu öffentlichen Solidaritätskundgebungen mit dem »palästinensischen Widerstand« aufriefen. Allgemein machen die Ergebnisse deutlich, dass Hamas-Terminologie infolge des 7. Oktobers erhebliche Verbreitung gefunden hat. So verzeichnen sie bei der Auswertung der Post einen deutlichen Anstieg von Begriffen wie »Märtyrer« oder »al-Aqsa-Flut«.

Die Terroroffensive der islamistischen Palästinensermiliz habe nicht etwa dazu geführt, dass solche Gruppen an Zuspruch verlören – das Gegenteil sei der Fall. Gruppen wie Students for Justice in Palestine (SJP), die maßgeblich an der Organisation der antiisraelischen Studierendenproteste beteiligt sind, haben die Ereignisse vom 7. Oktober 2023 dazu nutzen können, ihr Netzwerk auszuweiten. In Solidaritätsbekundungen zugunsten der Hamas bei Studierendendemonstrationen nach dem 7. Oktober 2023 sehen die beiden Forscher daher die Manifestation einer radikalen antiisraelischen und antisemitischen Weltanschauung, die sich in den sozialen Medien bereits seit vielen Jahren abzeichnet.

Die Veranstaltungen der Konferenz stießen auf reges Interesse

Die Veranstaltungen der Konferenz stießen auf reges Interesse

Bild:
London Center for the Study of Contemporary / Lakruwan Rajapaksha

Ein Bericht des Institute for the Study of Global Antisemitism (ISGAP) über SJP und mit ihr verbundene Gruppen, der bei der Konferenz auslag, zeigt, dass das Netzwerk »propalästinensischer« Campusaktivisten seit Jahren stark von vulgären und klassischen antisemitischen Einstellungen geprägt ist. Screenshots zeigen, wie Mitglieder der Bewegungen in sozialen Medien Adolf Hitler, den Holocaust und Gewalt gegen Juden verherrlichen; in dem Bericht werden auch zahlreiche Verbindungen zu Terrororganisationen wie dem Islamischen Jihad oder der PFLP nachgewiesen.

Der ISGAP-Direktor Charles Small stellte außerdem die Ergebnisse einer Studie vor, die einen Zusammenhang zwischen Campus-Antisemitismus und der finanziellen Einflussnahme autokratischer Regime aus dem Nahen Osten nahelegt. Smalls Organisation hat die Geldflüsse an US-amerikanische Hochschulen aus dem Ausland analysiert und dabei insbesondere aus Katar stammende Zuwendungen unter die Lupe genommen. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass an Universitäten, die zwischen 2015 und 2020 Mittel von Regimen aus dem Nahen Osten erhielten, im Schnitt viermal so viele antisemitische Vorfälle verzeichnet wurden wie an Einrichtungen, die keine entsprechenden Gelder erhielten.

Von Kollegen ausgegrenzt und boykottiert

Eine Umfrage von Leslie Gutman vom University College London und Keren Darmon von der University of Greenwich zeigt, dass jüdische Studierende im Vereinigten Königreich seit dem 7. Oktober doppelt so häufig antisemitische Vorfälle erleben wie zuvor. In einem anderen Panel berichteten Akademiker, wie sie von Kollegen ausgegrenzt und boykottiert werden, weil sie sich weigern, Israel einseitig zu verurteilen oder sich einem Boykott israelischer Wissenschaftler anzuschließen.

Cary Nelson, emeritierter Professor für englische Literatur und Geisteswissenschaften der University of Illinois, sieht in antiisraelischen Boykottkampagnen einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit – ein Vorgang, der seiner Ansicht nach auch staatliches Eingreifen erfordere. In einer Rede im britischen Oberhaus, die er im Rahmen der Konferenz hielt, verteidigte Nelson zwar die Streichung von staatlichen Zuwendungen in Höhe von 400 Millionen US-Dollar an die New Yorker Columbia University, mit der die Regierung Trump die Hochschule für ihren mangelnden Einsatz gegen Antisemitismus auf ihrem Campus sanktionierte.

Gleichzeitig kritisierte er jedoch, dass die US-Regierung zu weit gegangen sei, als sie forderte, das Programm für Nahost-Studien der New Yorker Universität unter externe Aufsicht zu stellen. Eine solche Maßnahme per staatlicher Intervention durchzusetzen, sei ein Angriff auf die akademische Unabhängigkeit. Vielmehr, so Nelson, müsse die Universität durch gesellschaftlichen Druck dazu gebracht werden, selbst zu handeln.

In den Kaffeepausen wurde immer wieder über die wegen der Teilnahme ex­trem rechter Politiker kritisierte »Konferenz zur Bekämpfung von Antisemitismus« des israelischen Ministeriums für Diaspora-Angelegenheiten diskutiert, die nur wenige Tage vor dem Londoner Symposium in Jerusalem stattgefunden hatte.

Nicht nur aufgrund der Maßnahmen der Regierung Trump gegen Antisemitismus an den Universitäten wurde auf der Tagung über die Frage diskutiert, inwiefern der Kampf gegen Judenfeindlichkeit gegenwärtig in der öffentlichen Wahrnehmung als politisch rechts eingeordnet wird. In den Kaffeepausen zwischen den Panels wurde immer wieder über die wegen der Teilnahme ex­trem rechter Politiker kritisierte »Konferenz zur Bekämpfung von Antisemitismus« des israelischen Ministeriums für Diaspora-Angelegenheiten diskutiert, die nur wenige Tage vor dem Londoner Symposium in Jerusalem stattgefunden hatte. Zu den Rednern auf dieser Tagung gehörten Rechtspopulisten wie Jordan Bardella vom französischen Rassemblement national, Hermann Tertsch von der spanischen Partei Vox und der Präsident der serbischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowinas, Milorad Dodik.

Mehrere Teilnehmer der Londoner Konferenz hatten deshalb ihre ursprünglich geplanten Auftritte auf der Jerusalemer Versammlung abgesagt, darunter auch David Hirsh, der Veranstalter der Londoner Tagung. Zur Begründung schrieb er: »Es stehen zu viele rechtsradikale Redner auf der Tagesordnung, die antidemokratische und antiegalitäre Bewegungen repräsentieren.« Für ihn sei klar, »dass antidemokratische Gesinnungen der Boden sind, auf dem antisemitische Einstellungen gedeihen, und dass man Antisemitismus am besten die Grundlage entzieht, in dem man demokratische Gesinnungen, Bewegungen und Staaten unterstützt«.

Dass Rechte sich in diesen Tagen als Kämpfer gegen Antisemitismus profilieren können, sei auch darauf zurückzuführen, dass Teile der Linken sich mit ihren jüdischen Mitstreitern entsolidarisiert hätten, so Batsheva Neuer, Doktorandin am Institut für neuere jüdische Geschichte der Hebräischen Universität.