01.05.2025
Alternde Punk-Puristen kämpfen gegen Veränderungen in der Szene

Punks und ihre gute alte Zeit

Punkmusik speiste sich schon immer aus verschiedensten Einflüssen und reagierte auf sich verändernde gesellschaftliche Verhältnisse. Umso absurder sind vermeintliche Punk-Puristen, die der Szene ihrer Jugend hinterher trauern und ihre Deutungshoheit nicht aufgeben wollen.

Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch ­gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Punk stirbt nie, solange es jugendliche Außenseiter gibt, schrieb Jan Tölva (5/2025). Uli Krug hingegen meinte, die Geschichte des Punk sei schnell zu Ende gewesen und vor allem der heutige Polit-Punk nur ein müder Abklatsch (6/2025). Kolja Podkowik ­attestierte dem Punk eine besondere Kurzlebigkeit – alles, was danach kam, sei ­Folklore gewesen (7/2025). Tobias Brück schilderte Punk als Reaktion auf das Scheitern der Revolten der Sechziger und einen der Wegbereiter des Neoliberalismus (10/2025). Philipp Meinert wies darauf hin, dass Punk sich ständig weiterentwickelt und deshalb ­immer lebendig bleibe (12/2025). Bei Punk geht es um das Ausdrücken von Unzufriedenheit, Scheitern und Kaputtheit, befand Markus Hennig (15/2025).

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Seit es Punk gibt, gibt es die Obsession, Punk immer wieder für tot oder fast tot zu erklären. Das sagt mehr über die Menschen aus, die solche Behauptungen aufstellen, als über den Zustand der Punkszene 2025. Für die, die Punkrock jeden Tag erleben, stellt sich die Frage, ob Punk noch Puls hat, einfach nicht. Ganz unbeeindruckt von solchen Debatten machen Unzählige Musik, gehen auf Konzerte, veröffentlichen Fanzines und führen politische Debatten in und außerhalb der Szene. Und nichts davon fühlt sich tot an.

Trotz der Abgesänge auf das Genre bringen Punkbands immer noch weltweit ihre Platten heraus, gehen auf Tour, lösen sich auf und finden neu oder wieder zusammen. Klar, viele davon sind kotzlangweilig und redundant, aber immer wieder gibt es sie: die Bands, die etwas Neues machen, das nicht nur in Wiederholung besteht, aber das ohne Punk nicht möglich wäre. Alle paar Wochen finden neu erschienene Perlen den Weg auf den Plattenspieler.

Um hörenswerte Songs zu schaffen, sind nicht nur die sprichwörtlichen drei Akkorde notwendig, es braucht eine Auseinandersetzung mit Musik, auch außerhalb des Punk-Genres, und mit anderen äußeren Einflüssen. Niemand erfindet heute noch ein neues Genre. Alles ist von irgendetwas inspiriert – das ist auch keine neue Entwicklung und betrifft auch nicht nur Punk, sondern ist die Essenz von Popkultur. Auch Punkrock kam bekanntermaßen nicht aus dem luftleeren Raum, sondern holte sich seine Inspiration damals unter anderem aus dem Garage-Rock aus Detroit, der New Yorker Kunstszene oder aus britischen Pubs. Heutzutage kommen die Einflüsse aus Deathrock, Metal und insbesondere Elektro.

Besonders weibliche Punks können ein Lied davon singen, wie ihnen in Diskussionen, online wie offline, der angebliche Niedergang der Szene dargelegt wird.

Das, was viele meist ältere, meist männliche Punks in ihren düsteren Facebook-Diskussionen, wie es Philip Meinert an dieser Stelle auch geschildert hat, so gerne an der Szene kritisieren, empfinden andere als großen Vorteil: Inspiration von außen. Wer heute eine wirklich gute Punkplatte produzieren will, sollte es vermeiden, die abgegriffenen Ramones-CDs auf Repeat zu hören, sondern lieber mal auf ein Metal-Konzert gehen, sich ein Zeckenrap-Album anhören, auf einer Grufti-Party tanzen oder gegen die AfD demonstrieren. Der interessante Punk ist heute ein Hybrid unterschiedlichster Popreferenzen und keine Reproduktion des Immergleichen. Auch ist Punk immer Ausdruck sich verändernder politischer Verhältnisse, reagiert auf diese und kommentiert sie.

Die Behauptung, Punk habe 2025 nichts mehr zu bieten oder hätte sich bis zur Unkenntlichkeit verbogen, kommt meist ohnehin von Menschen, die eigentlich selbst gar keine Lust mehr auf Subkultur haben, es aber mit ihrem Ego nicht gewechselt kriegen, sich das auch einzugestehen. Wenn, dann müssen alle um sie herum mit abtreten, sonst müsste man sich eingestehen, dass sich die Welt auch ohne einen weiterdreht.

Solche Schwanengesänge auf die Szene bekommt man zu hören, wenn mal wieder ein Richard mitteilt, dass er sein jahrzehntealtes Abo des Fanzine Plastic Bomb kündigt, weil diesem keine CD mehr beigelegt ist. Oder wenn ein Harald erklärt, dass Punk jede Rebellion verraten habe, weil sich Konzertläden in Nordrhein-Westfalen nicht über das geltende Rauchverbot hinwegsetzen. Besonders weibliche Punks können ein Lied davon singen, wie ihnen in Diskussionen, online wie offline, der angebliche Niedergang der Szene dargelegt wird. Denn egal in welchem Alter die Frau wirklich ist, männliche Punks neigen dazu, automatisch davon auszugehen, dass sie älter und damit automatisch klüger und erfahrener sind. Was selbstverständlich bedeutet, dass alle anderen darauf brennen, an ihren Erfahrungsberichten teilhaben zu dürfen.

Selbstüberschätzung selbsternannter Szenehelden

Die gnadenlose Selbstüberschätzung einiger selbsternannter Szenehelden zeigt sich, wenn sie in ausführlichen Interviews oder, noch anstrengender, in Podcasts ventilieren. Wild, roh, rücksichtslos, sie selbst als main character, so sei ihre Zeit in der Szene gewesen. Ihr Blick auf heute: alles verwässert, zu theoretisch, zu bemüht modern, zu woke.

Die Puristen, die in sozialen Medien fordern, Punk müsse sich nur mal wieder abgrenzen von äußeren Einflüssen, um zu altem Glanz zurückzukehren, dürften vermutlich selbst kein solch abgeschottetes Leben führen, wie sie es sich von heutigen Bands wünschen. Aber wenn man sie darauf hinweist, dass Punk sich längst für andere Szenen geöffnet hat, dass sich vor allem jüngere Punks jedes Wochenende neu entscheiden, ob sie lieber eine Seventies-Rockband sehen oder zum Rave oder auf ein Punkkonzert gehen wollen, erklären sie, dass das mit »echtem Punk« wenig zu tun habe, dass Punk doch eh längst tot sei und sie das wissen müssten, denn sie hätten dessen Asche höchstpersönlich neben GG Allins Grab verstreut. Der hätte die Welt nämlich noch schockiert, bevor alles so woke und langweilig wurde. Bevor man sich auf Punkkonzerten an Benimmregeln halten musste.

Punk hat sich verändert und weiterentwickelt, und viele, die sich früher selbst für aufgeklärt, feministisch, weltoffen, tolerant und wild gehalten haben, müssen sich nun von Jüngeren sagen lassen, dass sie das nicht immer sind oder waren, was am Selbstbild kratzen kann. Klar, Punks, auch die Älteren, haben in der Regel kein Problem mit Aufgeklärtheit und Rücksichtnahme an sich. Ihr Problem ist, dass sie immer dachten, dass sie bereits woke seien, modern, profeministisch.

Männer, die dachten, sie wären Feministen, weil sie in ihrem Magazin Beiträge über Stripperinnen im Punk-Outfit gedruckt haben oder weil sie in ihrem Magazin männliche Punks erzählen lassen, wo die Probleme von Frauen in der Szene liegen, müssen sich anhören, dass das kein Feminismus ist. Veranstalter, die dachten, sie würden niemanden ausgrenzen, weil sie ein barrierefreies Dixi-Klo bereitgestellt haben und eine Band mit Frauenbeteiligung um 14 Uhr für Spritgeld spielen darf, müssen sich eingestehen, dass das nicht reicht, noch nie gereicht hat

Ein paar Mark verdienen

Es mag sein, dass Boomer-Punks, die in ihrer Jugend die bürgerliche Enge ihrer Elternhäuser verlassen haben, ihre Befreiung nicht zuletzt darin gefunden haben, beim Konzert auch mal das T-Shirt oder die Hose fallen zu lassen. Dass Frauen, die bis heute an kaum einer Stelle ihres Lebens wahre Gleichberechtigung gefunden haben, auch auf Punkkonzerten weiterhin patriarchale Strukturen zu spüren bekommen, dass noch nicht mal alle Cis-Männer Bock auf Körperkontakt mit nackten, schwitzenden Männerbäuchen haben, können sie dagegen nicht begreifen. Sie fühlen sich gegängelt und fragen sich, wo auf einmal im Punk all die Regeln herkommen.

Falsch ist auch, dass Punks sich früher stets nach außen abgegrenzt und sich nie für die Meinung Außenstehender interessiert hätten. Hier wird eine Vergangenheit idealisiert, die es so nie gegeben hat. Fernsehauftritte dienten schon immer der gnadenlosen Selbstdarstellung. Nicht von ungefähr war die mediale Geburtsstunde des Punk der Auftritt der Sex Pistols in der Fernsehshow von Bill Grundy Ende 1976. Das Schema zieht sich durch. Wenn Terrorgruppe, Wolfgang Wendland und viele andere die zahllosen Talkshow-Einladungen der neunziger und nuller Jahre annahmen, dann nicht, um die Zuschauer abzuschrecken und Punk damit zu einer eingeschworenen Gang zu machen. Sondern für ihren persönlichen Spaß, um ihre Bands berühmt zu machen, und im Zweifel auch, um ein paar Mark zu verdienen.

Falsch ist auch, dass Punks sich früher stets nach außen abgegrenzt und sich nie für die Meinung Außenstehender interessiert hätten. Hier wird eine Vergangenheit idealisiert, die es so nie gegeben hat.

Feste Vorstellungen, wie ein Leben als echter Punk auszusehen habe, nach der reinen Lehre, kommen in der Regel eher von Menschen, die ihr Glück längst in der privaten Bürgerlichkeit gefunden haben. Aber wenn sie dann mal Zeit haben, am Wochenende auf ein Konzert zu gehen oder nachts an einer Facebook-Diskussion teilzunehmen, dann soll Punk bitte noch genauso sein, wie sie es in ihrer verblassenden Erinnerung abgespeichert haben.

Es scheint, als käme der Frust einiger darüber, dass Punk sich weiterentwickelt hat, weniger daher, dass hier ein wichtiges Stück Kulturgut bedroht wäre. Sondern dass viele ihre Jugenderinnerung, der sie von Zeit zu Zeit einen emotionalen Besuch abstatten, gern wie in einem Museum bewahrt sähen – und möglichst nicht kritisch hinterfragt.