01.05.2025
Der Tod des Skisportlers Dallas LeBeau hat mit den Vermarktungsmechanismen im Sport zu tun

Spektakulärer Sprung in den Tod

Dallas LeBeau träumte davon, eines Tages ein großer Star in der Freeride-Szene zu werden. Beim Versuch eines besonders spektakulären Sprungs verunglückte er tödlich.

Seine Freunde hatten Dallas LeBeau gewarnt. »Wenn dein Ski nicht funktioniert, ist das hier vielleicht nicht die beste Idee«, sagte einer, als sich der linke Ski kurz vor dem Sprung immer wieder gelöst hatte. Auch seine Partnerin hatte versucht, ihn von dem Plan anzubringen, eine dreispurige Straße im Hinterland des US-Bundesstaats Colorado zu überspringen, erst recht ohne vorher die Flugbahn berechnet zu haben. Auch seine Eltern hatten ihn gewarnt, immerhin beginnt im April der Schnee zu schmelzen.

Aber alle glaubten auch irgendwie daran, dass der unbeirrbare Dallas LeBeau es hinkriegen würde. So wie er alles hinbekam. Der 21jährige Skisportler war Freerider – das heißt, er fuhr in unberührtem Schnee in freiem Gelände, abseits markierter Pisten. Seit drei Jahren fuhr er bei den Freeride World Tour Qualifiers und versuchte, sich mit spektakulären Sprüngen in der Freeride-Branche einen Namen zu machen. LeBeau konnte irre Dinge auf Skiern. Bis heute kann man bei Instagram seine Videos sehen, in denen er an Steilhängen zwischen Nadelbäumen durch unberührten Schnee prescht, auf Skiern von hohen Felsklippen und Brücken springt oder seine geliebten Backflips, sprich Rückwärtssaltos macht. Seit seiner Kindheit baute er sich Schneerampen und wagte immer spektakulärere Tricks.

Doch der Sprung über die dreispurige Straße gelang ihm nicht. Der linke Ski löste sich, Dallas LeBeau hatte nicht genug Schwung für den geplanten doppelten Backflip und stürzte auf den Asphalt. Er war sofort tot.

Kurz vor dem tödlichen Sprung schrieb LeBeau einem Freund: »Wie soll ich mir sonst je einen Namen in der Skibranche machen?«

In den USA löste der Unfall vom 9. April 2024 Bestürzung aus. Die Washington Post hat LeBeaus Geschichte in einer lesenswerten Reportage minutiös rekonstruiert. Für viele lokale Skisportler war der auch als Skilehrer arbeitende Influencer mit dem Spitznamen »Boonie Rat« eine Inspiration gewesen, groß zu träumen, sich etwas zuzutrauen. Doch ein echter Star war er nicht. Und so erklärt sich die öffentliche Aufmerksamkeit nicht allein durch den Tod eines einzelnen Talents, das sich vielleicht für unverwundbar hielt.

Es geht in der Geschichte von Dallas LeBeau auch darum, wie das System funktioniert. Seine Mutter Valerie hat dieses System später in Interviews mit mehreren Medien kritisiert. Ihr Sohn wollte sich bei der Freeride World Tour etablieren, einem internationalen Rennzirkus für Freeride-Fahrten mit Skiern und Snowboards, also auf freiem Gelände jenseits angelegter Pisten. Doch allein zu den Qualifikationswettbewerben zu reisen, habe ihn Tausende Dollar gekostet.

Dallas LeBeau bei einem seiner Stunts

Für viele lokale Skisportler war der auch als Skilehrer arbeitende Influencer mit dem Spitznamen »Boonie Rat« eine Inspiration gewesen. Dallas LeBeau bei einem seiner Stunts

Bild:
instagram.com/b00nie_rat

Geld, das die Familie nicht hatte – als Jugendlicher konnte Dallas nur ein- oder zweimal pro Woche fahren, weil der Platz an einer Skiakademie zu teuer gewesen wäre. »Er hatte immer das Gefühl, er müsse einen Rückstand aufholen«, sagte Valerie LeBeau der Washington Post. Ihr Sohn hatte keine Sponsoren. Er hatte nicht genug Klicks und keinen großen Namen. Das Video, bei dessen Aufnahme er sterben würde, war für einen Wettbewerb des Sportkameraherstellers Gopro mit Preisgeldern bis zu 20.000 US-Dollar gedacht.

Ein Schlüssel zum Verständnis des Unterfangens ist eine Nachricht, die LeBeau kurz vor dem tödlichen Sprung einem Freund schrieb: »Wie soll ich mir sonst je einen Namen in der Skibranche machen?«

Stunts mit hohem Risiko, spektakuläre Bilder

Natürlich hat niemand Dallas LeBeau vorgeschrieben, für diesen Wettbewerb über eine dreispurige Straße im Hinterland zu springen. Aber vor allem in sozialen Medien sind es genau solche Sprünge, die am besten funktionieren: Stunts mit hohem Risiko, spektakulären Bildern und dem tödlichen Abgrund immer in Sicht, mit fahrenden Autos unter dem Athleten. Auch Dallas und seine Freunde warteten für das Video, bis ein Auto kam, um den Stunt noch spektakulärer aussehen zu lassen.

Die Vermarktung des Extremsports auf Social Media stellt ein System dar, in dem Todesverachtung belohnt wird. Mit Klicks, aber auch ganz direkt mit Sponsoring oder Preisgeldern. Marken wie Red Bull haben genau dieses Risiko kommerzialisiert. Und seit jede und jeder solche Stunts hochladen kann, ist die Masse an Content derart groß geworden, dass es immer mehr braucht, um aufzufallen. Viele Videos sind mit Adjektiven wie »crazy« und »insane« betitelt.

Die Tatsache, dass LeBeaus Familie nicht wohlhabend ist, lässt zudem den Klassenaspekt hervortreten: Ein Freerider aus reichem Haus hätte das Risiko, das auch für LeBeau ungewöhnlich hoch war, vielleicht nicht eingehen müssen. Es ging vor allem darum, um jeden Preis aus der Masse herauszuragen.

»Crazy« und »insane« sind bloß die Schwestern von »höher, schneller, weiter«

Der frühe Tod von Dallas LeBeau weist nicht allein auf ein Social-Media-Problem hin. Gern werden im Sport unbequeme Dinge ursächlich auf die sogenannten Sozialen Medien geschoben, obwohl sie tief im Hochleistungssport der Moderne angelegt sind. Denn »crazy« und »insane« sind ja bloß die Schwestern von »höher, schneller, weiter«. Es geht darum, den menschlichen Körper an Grenzen und über sie hinaus zu führen, eine Wette gegen sich selbst zu gewinnen. Daher rührt auch ein Teil der Faszination des Sports. Wären alle mit Leichtigkeit zu etwas fähig, bräuchte niemand dafür zu applaudieren.

Sport erzählt sich über Extreme. Aber je länger die Historie einer Sportart andauert, umso weiter verschieben Athleten und Athletinnen auf Rekordsuche die Grenzen von Natur und Physis, umso intensiver müssen sie Wissenschaft, technische Hilfe und Training bemühen, um noch herauszuragen oder etwas nie Gezeigtes zu bieten. Auf einen Sprung über eine Straße, der im Netz so flüchtig aussieht, bereiten sich die potentiellen Skistars monatelang, zuweilen jahrelang vor. Wer das nicht tut, bezahlt schnell mit dem Leben.

Das bewusst eingegangene hohe Risiko betrifft auch den etablierten Skirennsport, in dem es zuletzt immer wieder schwere Unfälle gab. Sportler und Sportlerinnen klagten über den vollen Terminkalender, über den extremen Leistungsdruck im Kampf um Weltcup-Punkte – und darüber, dass sie ohne große Sponsoren große Risiken gehen müssen, um Gelder zu akquirieren. Wie Dallas LeBeau. Es geht also auch darum: Wer finanziert eigentlich Sport und mit welchem Interesse? Eine bessere finanzielle Absicherung für Menschen im Allgemeinen und eine Belohnung auch für anderes als Höchstleistungen könnte viel verändern.

Das Risiko, ums Leben zu kommen, haben die Innovationen nicht beseitigen können, wie zuletzt die tödlichen Trainingsunfälle der beiden Nachwuchstalente Matilde Lorenzi (2024) und Marco Degli Uomini (2025) zeigten.

Skifahren zählte schon immer zu den gefährlicheren Sportarten. Und eine, die oft unterschätzt wird, weil so viele Menschen ganz selbstverständlich im Urlaub auf die Piste gehen. Im Gegensatz zu Sportarten im Stadion oder in der Halle gibt es hier viele schwer kalkulierbare Faktoren und Gefahren: Menge und Qualität des Schnees, Witterungsbedingungen, Felsen, Eis, Baumstämme. In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel unternommen, um gerade den Spitzenwintersport sicherer zu machen: bessere Ausbildung für Nachwuchsathleten und -athletinnen, größere und stabilere Fangnetze an den Pisten, mehr Sturzräume, schnittfeste Unterwäsche gegen Verletzungen durch Skier, in Zukunft womöglich auch die umstrittenen Airbag-Westen.

Auch die Situation im Breitensport hat sich deutlich verbessert, unter anderem durch den technischen Fortschritt etwa bei Skischuhen, Skiern und Bindungen. Seit dem Jahr 1980 veröffentlicht die Auswertungsstelle für Skiunfälle (ASU Ski) der Versicherung Arag eine umfassende Statistik über Unfälle und Verletzungen deutscher Skifahrer und Skifahrerinnen. Seit Beginn dieser Aufzeichnungen ist das Verletzungsrate um etwa die Hälfte gesunken. Das deckt sich mit Beobachtungen in anderen Ländern. Allerdings ist Skisport durch das Hightech-Equipment und die Klimakrise auch teurer geworden – was wiederum die Aktiven unter Druck setzt, zu Geld zu kommen.

Das Risiko, ums Leben zu kommen, haben die Innovationen jedoch nicht beseitigen können, wie zuletzt die tödlichen Trainingsunfälle der beiden Nachwuchstalente Matilde Lorenzi (2024) und Marco Degli Uomini (2025) zeigten. Im Training wird oft weniger für Sicherheit getan als im Wettbewerb. Im Breitensport kommen durch die Erderwärmung neue selbstgemachte Risiken hinzu: Auf schmalen Kunstschneepisten kommt es eher zu Kollisionen; wer von der Piste abkommt, stürzt jetzt auf Steine und Baumstümpfe statt auf Naturschnee. Und bei Kunstschnee bilden sich eher die harten Eisplatten, die Stürze, insbesondere auf den Kopf, gefährlicher machen.

Die Bemühung um mehr Sicherheit bleibt ein ständiges Ringen

Oft sind es Unfälle, die wiederum für Sicherheitsinnovationen sorgen. Die Familie der verstorbenen Matilde Lorenzi hat eine Stiftung gegründet, um den Skisport noch sicherer zu machen, unter anderem mit Hilfe von Weiterbildungen für Aktive und technischen Lösungen.

Und auch die Familie von Dallas LeBeau möchte für Risiken sensibilisieren. Dem Bericht der Washington Post zufolge gibt es nun eine durch Spenden mitfinanzierte Schulung namens Dallas’s Class, in der junge Athleten und Athletinnen sicheres Fahren im Gelände lernen sollen – und dass kein Social-Media-Clip es wert ist, ihr Leben zu riskieren.

Die Bemühung um mehr Sicherheit bleibt ein ständiges Ringen, ein Wettlauf zwischen stetiger technischer Innovation und dem immer höheren Druck, den eben diese mit erzeugen hilft. Er wird vermutlich solange währen, bis der Skisport aufgrund der menschengemachten Klimakrise nur noch einer wohlhabenden Minderheit zugänglich ist.