08.05.2025
Punk war und ist ein großer chaotischer Gemischtwarenladen

Schrödingers Punk

Punk ist widersprüchlich und vieles zugleich. Deswegen lässt sich nicht eindeutig sagen, was er ist und was nicht und auch nicht, ob er noch lebt oder schon tot ist.

Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch ­gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Punk stirbt nie, solange es jugendliche Außenseiter gibt, schrieb Jan Tölva (5/2025). Uli Krug hingegen meinte, die Geschichte des Punk sei schnell zu Ende gewesen und vor allem der heutige Polit-Punk nur ein müder Abklatsch (6/2025). Kolja Podkowik ­attestierte dem Punk eine besondere Kurzlebigkeit – alles, was danach kam, sei ­Folklore gewesen (7/2025). Tobias Brück schilderte Punk als Reaktion auf das Scheitern der Revolten der Sechziger und einen der Wegbereiter des Neoliberalismus (10/2025). Philipp Meinert wies darauf hin, dass Punk sich ständig weiterentwickelt und deshalb ­immer lebendig bleibe (12/2025). Bei Punk geht es um das Ausdrücken von Unzufriedenheit, Scheitern und Kaputtheit, befand Markus Hennig (15/2025). Ronja Schwikowski beobachtete, dass vor allem jene den Punk totsagen, für die er lediglich als Erinnerung an die eigene Jugend fortbesteht (18/2025).

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»Alles wurde schon gesagt, aber leider nicht von jedem«, singen Kackschlacht, und treffender könnte man diese Debatte nicht einleiten. In einem fast schon tragikomisch präzisen Sinn, denn Anlass zur sprachlichen Inklusion besteht nicht: Es sind mit einer Ausnahme Männer, die sich bislang daran beteiligt haben. Und da schon alles gesagt wurde, soll es in diesem Beitrag größtenteils um die Frage gehen, was Punk nun eigentlich ist.

Ist Punk nun »der soziale Ort, an dem die Kids sie selbst sein konnten« (Jan Tölva) und auch heute noch oft können, ein »Retro-Phänomen«, das »schon lange nicht mehr mit(kommt)« (Uli Krug), heute »die ganz normale Brauchtumspflege eines Trachtenvereins« (Kolja Podkowik), Wegbereiter für die Postmoderne und den Neoliberalismus (Tobias Brück) oder ein großer unsterblicher Organismus? Überraschende Antwort: Ja. Und am meisten ja zum Letzten. Denn Punk ist nicht entweder–oder, sondern schon immer gleichzeitig alles.

Punk ist nicht nur »wie ein Süßwasserpolyp, der sich ständig erneuert« (Philipp Meinert), sondern gleichzeitig wie ein 500 Jahre alter Grönlandhai – träge, aber langlebig, unästhetisch, aber für manche faszinierend. Er taucht auf, wenn man ihn nicht erwartet, gleitet durch Zeit und Raum und hat alle popkulturellen Entwicklungen seit dem Mittelalter stoisch überlebt. Punk ist das kulturelle Äquivalent zu Schrödingers Katze: gleichzeitig tot und lebendig. Oder in den Worten von Die Ärzte: »Alles ist Punk.«

Seit einigen Jahren erscheint in Leipzig das Zine »Ostsaarzorn«, ein »Fachjournal für Punk«. Jede der stets mehrere Hundert Seiten starken Ausgaben des Zines widmet sich einem Schwerpunktthema. Eine Sonderausgabe beschäftigte sich 2022 mit dem Thema »Punk & Jewishness«, die jüngste Ausgabe mit einer subkulturellen Spurensuche auf allen Kontinenten – auch auf Antarktika.

Kolja Podkowik beschreibt die Entwicklung der Punkszene als eine traurige Gleichschaltung: einst vielfältig und wild, nun standardisiert auf Iro, Lederjacke, Nietenarmband. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit – oder besser gesagt: eine von vielen gleichzeitig existierenden Wahrheiten. Natürlich hat sich der Look genormt, zweifellos wirkt manches wie ein ironiefreier Folkloreabend – aber genau diese Uniformierung ermöglicht auch Wiedererkennbarkeit, eine minimale kulturelle Grammatik inmitten maximaler Bedeutungsvielfalt. Punk ist nicht nur Provokation, sondern auch Zeichenökonomie. Eine bildhafte Erkennbarkeit, die gerade dann subversiv wirkt, wenn sie dort auftritt, wo sie noch eindrückliche Gegenargumente setzen kann: etwa im real existierenden Sozialismus oder in den autoritären Staaten Südostasiens, wie Jan Tölva beschreibt.

Und im Deutschland der Gegenwart? Nun, hier kann man sich natürlich über diese Selbstvergewisserungsmomente lustig machen, trotzdem übernehmen auch sie wichtige Funktionen. Vielleicht nicht so sehr für die nicht mehr jugendlichen Sozialwissenschaftler, die sich an dieser Debatte beteiligen, aber umso mehr für unangepasste Jugendliche in der Selbstfindungsphase.

Anstand der Aufständischen

Dass Punk sich inzwischen verstärkt an Antidiskriminierungsidealen orientiert, ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, der auch vor Subkulturen nicht haltmacht. Bands wie die von Philipp Meinert erwähnten Team Scheisse betonen den Anstand der Aufständischen und zeigen, wie Punk und politisches Bewusstsein, Schrammelgitarren und Awareness-Regeln zusammenpassen sollen. Gleichzeitig gibt es aber weiterhin eine traditionsbewusste Saufen-Oi!-Fraktion, für die Punk vor allem Bier, Gewalt, Regel- und Zügellosigkeit bedeutet. Und ja, beide Gruppen sind Punk. Und nein, das alles muss und soll niemandem gefallen. Willkommen im Pluralismus der Widersprüche.

Auch Tobias Brücks These zur neoliberalen Kompatibilität des DIY-Gedankens ist nicht falsch. Aber sie ist eben auch nicht das ganze Bild. Dass es der Kapitalismus schafft, subversive Bewegungen wie Punk zu vereinnahmen, ist eine Binse, und dass das spätestens mit der Casting-Band Sex Pistols so war, auch. Aber es passt nicht nur der DIY-Gedanke zu neoliberaler Selbstoptimierung, sondern genauso der dem Punk inhärente Nihilismus zum Anarchismus und eine gemäßigtere, aber klar antifaschistische Haltung, wie sie in den Texten vieler Punkbands zum Ausdruck kommt, zu sozialdemokratischen Parteien.

Im zeitgenössischen jüdischen Punk werden mehr Widersprüche ausgehalten und lustvoll zelebriert, als es für so manche diskursiven Hardliner hierzulande überhaupt vorstellbar wäre.

Punk ist nicht beliebig, aber eklektizistisch. Und ein so großer chaotischer Gemischtwarenladen, dass man tatsächlich manchmal nach den konstituierenden Elementen im kollektiven Punk-Gedächtnis suchen muss. Solche Suchbewegungen treiben vor allem Fanzines um, die als Sprachrohr der Szene gelten, jedoch vor (sozial)wissenschaftlichen Umtrieben ihrer Herausgebenden nicht gefeit sind.

So stellte etwa Ostsaarzorn, ein nach eigenem Bekunden »Fachjournal für Punk«, in seinen vergangenen Ausgaben fest, dass Punk nicht nur »nachhaltig provokant«, »invasiv global«, sondern auch von seiner jüdischen Geschichte und Gegenwart geprägt ist. Als die Macher:innen im vergangenen Jahr mit einer Sonderausgabe zu »Punk & Jewishness« auf Lesetour in punkaffinen Räumlichkeiten in Deutschland und Österreich unterwegs waren, trafen sie auf ein zuverlässig irritiert dreinblickendes Publikum, das sich zwar antisemitismuskritisch verstand, sich aber mit der Rolle von Juden und Jüdinnen im Punk noch nie beschäftigt hatte.

Dabei wird gerade in der exemplarischen Auseinandersetzung mit chassidisch-orthodoxem Hardcore-Punk (Moshiach Oi!), satirisch-blasphemischem Fun-Punk (Yidcore) oder trans-queerem Klezmer-Punk (Schmekel) deutlich, dass bereits im Mikrokosmos des zeitgenössischen jüdischen Punks mehr Widersprüche ausgehalten und lustvoll zelebriert werden, als es für so manche diskursiven Hardliner hierzulande überhaupt vorstellbar wäre.

Exemplare der Sonderausgabe des Leipziger Zines »Ostsaarzorn«, die sich 2022 mit dem Thema »Punk & Jewishness« beschäftigte, dahinter eine Zimmerpalme

Sonderausgabe des Leipziger Zines »Ostsaarzorn«, die sich 2022 mit dem Thema »Punk & Jewishness« beschäftigte

Bild:
https://www.facebook.com/Ostsaarzorn

Die empfehlenswerten Bücher von Michael Croland führen anschaulich in jüdische Punkszenen ein, deren radikale Protagonist:innen zweifellos die Ambiguitätstoleranz deutscher Leser:innen auf die Probe stellen und sich jeder Instrumentalisierung entziehen. In Zeiten antisemitischer Vereinnahmungsversuche diverser Subkulturen ist das sicher nicht der schlechteste Ansatz.

Die Unmöglichkeit des Punk

Und was nun? Liegt Punk im Sterbebett, wie Kaput Krauts singen, oder wird es ihn, wie es in dem anfangs zitierten Lied von Kackschlacht weitergeht, auch noch in 1.000 Jahren geben? Es ist wieder alles genauso wahr wie falsch und eine von 1.000 Möglichkeiten. Punk ist wie die unendlichen timelines in einer »Rick and Morty«-Folge, nur allesamt in einem Universum realisiert. Er ist Rebellion und Resignation, Kunst und Krach, Klischee und Kritik, Verweigerung und Gestaltung. Eine Bewegung, die sich selbst immer wieder neu erfindet, während sie gleichzeitig in ihren eigenen Museen die Eintrittskarten verkauft, wie in Las Vegas, Reykjavik oder Helsinki.

Und vielleicht ist es genau das, was Punk am Leben hält und weltweit für so viele unterschiedliche Menschen attraktiv macht: seine Unmöglichkeit. Die Tatsache, dass er sich jeder Vereindeutigung entzieht. Dass er alles gleichzeitig ist – identitätsstiftend und zersetzend, progressiv und regressiv, ernst gemeint und ironisch, subversiv und vereinnahmt. Punk ist eine hochgradig widersprüchliche Absage an alles und jeden und zugleich der Ort, an dem es (fast) alles gibt, außer Klarheit. Denn »Punk – dat raffst du nie« (Auweia!).