15.05.2025
In den Siebzigern bezog sich der ­Protest gegen Atomkraft in Baden-Württemberg auf den Bauernkrieg

Nicht allem sich neige!

Im 16. Jahrhundert begann der Bauernkrieg mit Erhebungen in Oberschwaben. Die Antiatomkraftproteste in Baden-Württemberg stellten sich in den Siebzigern in diese Tradition und die des Aufständischen Joß Fritz.

Anfang der siebziger Jahre schien die konservative CDU von Hans Filbinger Baden-Württemberg politisch scheinbar fest im Griff zu haben. Kaum zu erwarten, dass ausgerechnet im »Ländle« eine neue dynamische Oppositionsbewegung entstehen würde. Doch der Kampf gegen den Bau des geplanten Atomkraftwerks im badischen Wyhl schlug dann den Funken für genau so eine Bewegung, die rasch die ganze Republik erfassen sollte. Wyhl war das erste geplante Atomkraftwerk in Deutschland, dessen Bau durch Protest verhindert wurde.

Aus welchen Gründen auch immer war gerade diese Südwestecke Deutschlands schon immer politisch eine der turbulentesten. Hier nahm der Bauernkrieg im 16. Jahrhundert seinen Ausgang und kämpften Bauerngruppen im 18. Jahrhundert als »Salpeterer« um ihre Rechte. Die Revolution von 1848/49 begann ebenfalls in Baden, und hier war der Wunsch nach einer demokratischen Republik am stärksten.

All das dürften die Winzer am Kaiserstuhl nicht im Hinterkopf gehabt haben, als sie 1974 begannen, Unterschriften gegen ein geplantes AKW in Wyhl zu sammeln, woraus sich die Protestbewegung entwickelte. Sie hatten Angst, dass der künftig von zwei riesigen Kühltürmen ausgehende Wasserdampfnebel ihnen den Weinbau verderben würde. Hinzu kamen Sorgen über Pläne für weitere Industrieansiedlungen. Von einem zweiten Ruhrgebiet war gar die Rede.

In den Siebzigern erschienen mit »Joß Fritz« unterzeichnete Flugblätter und sogar eine Schallplatte mit Protestliedern in seinem Namen.

Was den Bauernkrieg und seinen in der Region wichtigsten Organisator Joß Fritz (auch als Jos oder Joss überliefert) betraf, so fehlte es nicht nur den Bäuerinnen an Wissen. Dazu erzählt einer der Aktivisten von damals, der Liedermacher und Buchhändler Roland Burkhart, bekannt als Buki, der Jungle World eine Geschichte. Als 1975 ein linker Buchladen in Freiburg gegründet werden sollte, kam Edwin Gantert, der sich im Rahmen seines Studiums mit dem Bauernkrieg beschäftigt hatte, auf die Idee, ihn doch nach Joß Fritz zu nennen. Das passte, denn am Kaiserstuhl waren die Bauern gerade wieder auf den Barrikaden und der Bauernkrieg hatte sein 450jähriges Jubiläum.

Die Losung der sogenannten Bundschuh-Bewegung im frühen 16. Jahrhundert, die unter anderem die Abschaffung des Zehnten und adeliger Vorrechte bei der Nutzung von Wäldern und Fischgründen forderte, hatte gelautet: »Gott grüß dich Gesell! Was ist dir für ein Wesen?« Worauf zu antworten war: »Wir mögen von den Pfaffen (und Adel) nit genesen!«

Bei den Ordnungshütern sorgte das für Stirnrunzeln. Eines Tages tauchten drei grau gekleidete Herren im Buchladen auf und wollten den Inhaber Joß Fritz sprechen. Sie erhielten zur Auskunft, dass der gerade im Schwarzwald Urlaub mache und keine Adresse hinterlassen habe. Das war nicht einmal ganz aus der Luft gegriffen, denn als Anfang des 16. Jahrhunderts die Obrigkeit begann, gegen die Bundschuh-Bewegung vorzugehen, war Joß Fritz den Häschern entkommen und hatte keine Adresse hinterlassen. Die Freiburger Polizei versuchte es über 400 Jahre später dann nochmal mit einer Vorladung auf das Präsidium, der Joß Fritz aber nicht Folge leistete.

Mit dem Bauernkrieg und der Revolution von 1848/49 identifiziert

Indessen erschien in den Siebzigern eine Reihe mit »Joß Fritz« unterzeichneter Flugblätter und sogar eine Schallplatte mit Protestliedern, deren Texturheber das Pseudonym Jos Fritz wählte und die nicht von ungefähr klangen wie beim Liedermacher Walter Mossmann. Dann nahm dieser »Joß Fritz« zusammen mit dem Liedermacher Buki eine zweite Platte auf. Buki erklärt im Gespräch mit der Jungle World den Gebrauch der Künstlernamen mit dem unter Filbinger besonders streng gehandhabten Radikalenerlass in Baden-Württemberg.

Nicht nur die Polizei, auch die Kund:innen des Buchladens wunderten sich und fragten nach diesem Joß Fritz. Sie bekamen darauf Bücher zum Bauernkrieg. Walter Mossmann sang in seiner »Grenzlandballade«: »Im großen Bauernkrieg hieß es schon, nicht allem sich neige! Dafür haben sie uns in Freiburg geköpft und auch auf der Zaberner Steige.« Auch solche Lieder führten dazu, dass die Leute nachfragten und schließlich begannen, sich mit dem Bauernkrieg und der Revolution von 1848/49 zu identifizieren, meint Buki.

Dann tauchte die Schriftstellerin Margarete Hannsmann auf und brachte ein Plakat für die Wyhl-Bewegung mit, das ihr Lebensgefährte, der Künstler HAP Grieshaber, entworfen hatte. Auf dem Scherenschnitt ist ein Mann in der Tracht aus der Zeit des Bauernkrieges zu sehen (nach einem alten Holzschnitt), der eine Fahne mit der Aufschrift »Fryhit« schwenkt. So wurde die Verbindung zum Bauernkrieg auch optisch ausgedrückt.

Erwartung einer revolutionären Fortsetzung des Bauernkriegs

Die Erinnerung an den Bauernkrieg, den »Bürekrej«, wie es im alemannischen Dialekt hieß, lebte nicht nur in Deutschland, sondern auch auf der französischen Seite des Rheins wieder auf. Das passte zu einer Umweltbewegung, die gleichzeitig gegen das AKW Wyhl sowie ein geplantes Bleichemiewerk in Marckolsheim und gegen das AKW Fessenheim kämpfte; beide Orte liegen im Elsass.

Und da sich der Konflikt heute nicht mehr so sehr zwischen einfachen Bäuer:innen contra Adel und Geistlichkeit abspielt, mischte der elsässische Liedermacher François Brumbt in einem Lied von 1976 neben der Bauern- auch die Arbeiterschaft in seine Erwartung einer revolutionären Fortsetzung des Bauernkriegs.

Nun ja, Geschichte ist geduldig. Man sucht sich etwas und macht es für die eigenen Zwecke passend. Auch die Nazis hatten den Bauernkrieg für sich reklamiert. Doch die Gestalt des Joß Fritz, der trotz aller Gefahren und Rückschläge immer wieder für soziale Gerechtigkeit kämpfte und den man nie fangen konnte, passte dann doch eher als Symbolfigur für die linke Seite. Geschrieben hatte über den rastlosen Revolutionär bereits Friedrich Engels in seiner Schrift zum Bauernkrieg.