Organisierte Hoffnungslosigkeit
Wenn Revolution zur Bühnenpose, Friedenspolitik zur semantischen Akrobatik und Antisemitismus zur Definitionsbeliebigkeit samt Täter:innenschutz verkommt, dann ist wohl wieder Parteitag – bei der Linkspartei in Chemnitz jedenfalls wurde aus dem hehren Anspruch, »Hoffnung zu organisieren«, ein aufwendig inszeniertes Lehrstück organisierter Unentschiedenheit. Was sich als Wiedergeburt gerierte, war in Wahrheit ein Festival pseudodialektischer Leerformeln: pompös, plakativ – politisch brandgefährlich belanglos.
Unter Maschinennebel, roten Lichtern und Eminems Lied »Without Me« (mit der mehrfach wiederholten Zeile »Guess who’s back«) zogen sie ein: die Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken und die Bundestagsfraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann – das Quartett infernale, das die Partei in die Zukunft oder wohl eher in den nächsten gruppentherapeutischen Zyklus führen soll.
Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt – sie stirbt gleich zu Beginn.
Der Leitantrag – pathetisch »Wir sind die Hoffnung« betitelt – erinnerte eher an die Außendarstellung einer Selbsthilfegruppe als an ein politisches Programm. Eigentumsfrage? Kapitalismuskritik? Nein, dann lieber warme Worte für die gekränkte Funktionärspsyche.
Während Friedrich Merz ins Kanzleramt einzieht, debattiert die Linkspartei darüber, ob Minister:innen aus Bremen und Mecklenburg-Vorpommern zurücktreten sollten, weil sie im Bundesrat für die Lockerung der sogenannten Schuldenbremse stimmten. Nicht der Sozialismus fehlt – sondern politische Orientierung jenseits identitärer Selbstvergewisserung.
Die Friedensfrage – einst linkes Grundinventar – wurde zum Anlass eines Eiertanzes. Der Kompromissantrag drückte sich vollständig darum, Tatsachen zu benennen: kein Wort vom russischen Angriff auf die Ukraine, keine Forderung nach Rückzug der russischen Truppen, dafür viel Gefühl, ein bisschen Nato-Paranoia und die berüchtigte deutsche Sehnsucht nach »Verständigung«. Dass die hessische Delegierte Brigitte Forßbohm hier von »Realitätsverweigerung« sprach, grenzte fast an einen Tabubruch – in einem Saal, in dem der Begriff »militärische Aggression« offenbar bereits als imperialistisches Konstrukt galt.
Über die Hamas? Nichts.
Auch beim israelisch-palästinensischen Konflikt bediente man ein bekanntes Muster: Der Antrag »Vertreibung und Hungersnot in Gaza stoppen« kam ohne Kontext, aber mit maximaler moralischer Empörung. »Israel verwendet das Aushungern der Zivilbevölkerung als Methode zur Beschleunigung der nachhaltigen Zerstörung aller Lebensgrundlagen und dauerhaften Zwangsvertreibung der Palästinenser:innen« hieß es darin. Über die Hamas? Nichts.
In einem weiteren Antrag forderte man eine »tragfähige Antisemitismusdefinition«, die Linkspartei solle zu diesem Zweck die sogenannte Jerusalemer Erklärung übernehmen: eine Antisemitismusdefinition, die im Wesentlichen darauf ausgerichtet ist, möglichst viel für eben nicht antisemitisch zu erklären.
Jan van Aken warnte noch vor »wissenschaftlichem Dogmatismus«, doch die Europaabgeordnete Özlem Demirel wusste es besser: Es handle sich nicht um eine akademische, sondern um eine »konkrete Frage für viele, die davon betroffen sind« – sie meinte freilich nicht die Opfer von Antisemitismus, sondern jene, die sich durch entsprechende Vorwürfe in ihrer Solidarität mit Hamas und Co. eingeschränkt fühlen.
Wer als Opfer zählt, bestimmt die Partei
Wer als Opfer zählt, bestimmt hier nicht die Realität – sondern, ganz im Geiste der seligen SED-Zeiten, die Partei. Der Antrag wurde nach Ende des Parteitags am Samstag um 15.20 Uhr mit 213 Ja-Stimmen (48,19 Prozent) gegen 181 Nein-Stimmen (40,95 Prozent) bei 48 Enthaltungen (10,86 Prozent) angenommen. Die Definition und der Täter:innenschutz gewinnen, der Kampf gegen Antisemitismus verliert.
Gleichzeitig sprach man von sich als einer »organisierenden Klassenpartei«, die »nicht mehr in Tarnbegriffen« reden will – doch wenn das Wort »Krieg« fällt, beginnt das große Lavieren. Revolutionäre Freundlichkeit wurde zur neuen Parteikultur erklärt – was in der Praxis bedeutet: Debatten gibt es nur, wenn die Streitpunkte vorher auf homöopathische Dosis heruntergebracht wurden. Aus 211 Änderungsanträgen wurde so unterschiedslose Konsenssoße – und wer auffiel, galt schnell als Gefahr für den »inneren Frieden«.
Opportunismus im Tarnmantel der Prinzipientreue
Am Ende standen sie auf, die Delegierten, sangen die »Internationale«, reckten die Faust – und klammerten sich an eine Vergangenheit, die mit der Gegenwart immer weniger zu tun hat.
Das Problem der Linkspartei ist nicht ihre Radikalität. Es ist ihr Opportunismus im Tarnmantel der Prinzipientreue. Ihre größte Schwäche ist die Angst vor Konflikt und Klarheit.
Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt – sie stirbt gleich zu Beginn. Und wird dann, begleitet von Stroboskoplicht, Nebel und Applaus, in Chemnitz zu Grabe getragen.