22.05.2025
Cavid Ağa, Journalist, im Gespräch über die Festnahme von zwei Journalisten in Aserbaidschan

»Journalisten stecken sie immer ins Gefängnis«

Die »Jungle World« sprach mit dem freien Journalisten Cavid Ağa über die Repression des aserbaidschanischen Alijew-Regimes gegen ­unabhängige Medien und über die jüngste Verhaftungswelle gegen Journalist:innen.

Anfang Mai wurden zwei weitere Journalist:innen in Aserbaidschan festgenommen und anschließend inhaftiert. Können Sie dazu Einzelheiten nennen?
Dieses Vorgehen ist nicht neu. Das ­geschieht schon seit Jahren. Zu verschiedenen Zeiten kommen verschiedene Personen ins Gefängnis, aber der Grund und das Ergebnis sind immer gleich. Von meinen Freunden haben sie zuletzt Ülviyya Guliyeva und auch andere Journalisten inhaftiert. Die Anschul­digungen sind die gleichen wie bei allen anderen Journalist:innen, die in den vergangenen Jahren inhaftiert wurden. Immer wieder wird ihnen Devisenschmuggel vorgeworfen. Das heißt, ihnen wird zum Beispiel zur Last gelegt, nach Georgien gereist zu sein, um von dort Euro nach Aserbaidschan mit­zubringen.

Guliyeva soll geschlagen und ein anderer Journalist mit Elektroschocks gefoltert worden sein. Halten Sie das für wahrscheinlich?
Soviel ich weiß, haben sie das mit Ahmad Mammadli, dem Gründer von Yoldaş Media (einer unabhängigen Medienplattform in Aserbaidschan; Anm. d. Red.) gemacht. Er ist ein linker Aktivist, der in den vergangenen Jahren als Journalist tätig wurde und über die Probleme der Arbeiter:innen in Aserbaidschan geschrieben hat. Wie ich gehört habe, haben sie ihn mit Elektroschocks gefoltert, damit er das Passwort seines Telefons verrät. Das ist in Aserbaidschan etwas ganz Normales, das machen sie immer wieder, nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei anderen, die aus politischen Gründen festgenommen werden.

»Wenn es Solidarität gab, dann haben wir durch Ülviyya Guliyeva davon erfahren. Sie ging zu den Gerichtsverhandlungen und machte Aufnahmen von Protesten. Doch nun ist sie selbst inhaftiert worden.«

Das autoritäre Regime in Aserbai­dschan ist seit Jahrzehnten bekannt dafür, äußert repressiv gegen politische Gegner vorzugehen. Kann man überhaupt noch von einer Opposition sprechen?
Es gibt zwei Arten von Opposition. Das eine ist die alte Opposition. Die hat ihre Parteien und ihre Mitglieder, die aus der Sowjetzeit übriggeblieben sind. Darunter gibt es auch solche, die von der Regierung Geld bekommen, um eine Opposition zu simulieren, eine Art Spielzeugopposition, Parteien mit ein, zwei Leuten. Und dann gibt es da noch eine neue Opposition. Das sind Kriegsgegner:innen, Linke, Femi­nist:in­nen, progressive Leute, Sozialdemo­krat:innen, Liberale. Aber deren Problem ist es, dass sie inhaftiert werden, sobald sie versuchen, sich zu organisieren.

Guliyeva, die inhaftiert wurde, soll für Radio Free Europe/Radio Liberty gearbeitet haben. Hat US-Präsident Donald Trump, indem er diesem Medium die Finanzierung gestrichen hat, die Regierung indirekt ermutigt, gegen sie vorzugehen?
Sie hat nicht für Radio Free Europe, sondern für Voice of America gearbeitet (den offiziellen staatlichen Auslandssender der USA; Anm. d. Red.). Ich habe für Radio Free Europe gearbeitet. Dass Trump die Unterstützung für die beiden Medien beendet hat, hat uns beide betroffen. Ich habe meine Arbeit verloren und sie auch. Aber auch wenn Trump das nicht gemacht hätte, hätten sie uns verfolgt. Mir wurde es verboten, das Land zu verlassen, und ebenso ihr. Heute haben sie mich angerufen und aufgefordert, in die Hauptstadt Baku zu kommen. Aber ich werde nicht kommen. Dass Trump das Radio schließen will, macht keinen Unterschied. Journalist:innen stecken sie immer ins Gefängnis.

Gibt es für die aus politischen Gründen Inhaftierten und Angeklagten Solidarität in Aserbaidschan?
Es gibt Leute, die Aserbaidschan aus politischen Gründen verlassen haben und jetzt im Asyl zum Beispiel in Frankreich oder Deutschland leben. Die organisieren nun Proteste, aber in Aserbaidschan ist das leider sehr schwer, denn es herrscht eine Atmosphäre der Angst. Die Menschen sprechen untereinander darüber, aber sie schreiben es nicht auf. In der Familie wird darüber gesprochen und unter Freunden, aber auf Facebook schreibt man nichts darüber.
Wenn es Solidarität gab, dann haben wir durch Ülviyya Guliyeva davon erfahren. Sie ging zu den Gerichtsverhandlungen und machte Aufnahmen von Protesten. Doch nun ist sie selbst inhaftiert, und wenn es irgendwo Solidarität gibt, dann erfahren wir das nicht.

Der Krieg in der Ukraine hat für eine Annäherung zwischen der EU und Aserbaidschan gesorgt, weil Aserbaidschan über große Öl- und Gasvorkommen verfügt. Es wurde vereinbart, die Gaslieferungen in die EU bis 2027 zu verdoppeln. Um Pressefreiheit und Menschenrechte ist es in Aserbaidschan ohnehin schlecht bestellt – sind weitere verschlechternde Auswirkungen zu ­erwarten?
Natürlich. Nun drückt die Europäische Union bei Aserbaidschan die Augen zu. Früher zeigten die Vertreter von EU-Ländern in Aserbaidschan ihre Solidarität mit inhaftierten Journalisten, aber nun schweigen auch sie. Früher war auch der Botschafter der USA dabei. Im Moment haben die USA keinen Botschafter in Aserbaidschan, aber seit Trumps Amtsantritt schweigen die USA ohnehin. Großbritannien schweigt ebenfalls. Der Krieg gegen die Ukraine war ein großes Geschenk für den Präsidenten Aserbaidschans, Ilham Alijew. Ein Geschenk auf einem Silbertablett. Europa schweigt nun über Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan. Nur ein paar Mitglieder des EU-Parlaments ­interessieren sich noch dafür.

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Medienrazzia

Anfang Mai wurde der Journalist Ahmad Mammadli verhaftet, der das linke aserbaidschanische Medium Yoldaş (Genosse) gegründet hatte. Er schrieb in der Jungle World im Januar einen ­Artikel über die neue Oppositionsbewegung in Aserbaidschan. Gleichzeitig mit ihm wurde auch die Journalistin Ülviyya Guliyeva verhaftet. Ihre Mutter berichtete OC Media dass sie nach der ­Festnahme schwer auf den Kopf geschlagen wurde. Sie ist bereits die elfte Journalistin, die im Zuge der Razzien gegen das unabhängige exiloppositionelle Online-Nachrichtenportal Meydan TV in Untersuchungshaft kam.

Auch Ahmad Mammadli wurde Berichten zufolge geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert. Bei einem Gerichtstermin hatte er ein geschwollenes Gesicht und Wunden am Körper. Ihm wird vorgeworfen, einen anderen Mann mit einem Messer angegriffen zu haben. Befragt wurde er aber zu seiner Arbeit für Yoldaş ­Medya

Die Fälle gehören zu einer Verhaftungswelle gegen Regimekritiker, die einer neuen, vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragenen Oppositionsbewegung zuzurechnen sind. Einer ihrer Vertreter, der Gewerkschafter Afiaddin Mammadov, wurde 2023 ebenfalls wegen des Vorwurfs, einen Mann niedergestochen zu haben, festgenommen und im Januar 2025 zu acht Jahren Haft verurteilt. Er beteuert seine Unschuld. Die Opposition wirft der Regierung vor, Anschuldigungen zu fabrizieren, um politische Gegner auszuschalten.  jk