22.05.2025
Erobique & Palminger vertonen eingereichte Texte, Charles Aznavour komponierte lieber selbst

Die B-Seiten des Lebens

Popkolumne. »Songs for Joy« released, Monsieur Aznavour revisited.

Jammen statt jammern! Musik als soziales Projekt – mit der Begeisterungsfähigkeit von Dilettierenden. Jeder und jede ist willkommen, eigene Song­ideen einzureichen und mitzumachen: »Songs for Joy« heißt das von Carsten »Erobique« Meyer und Jacques Palminger ins Leben gerufene Song-Workshop-Projekt, ­dessen heißersehnte zweite Langspielplatte dieser Tage erscheint.

Zwischen ostdeutschem Amiga-Soul, Italo Disco und New-Wave-NDW

Nach mehreren Sessions vor vielen Jahren im Maxim-Gorki-Theater in Berlin, wo auch der großartige Evergreen »Wann strahlst Du?« entstand, quartierte man sich dieses Mal in der Immanuelkirche auf der Veddel in Hamburg ein. Im dortigen Open Studio nahm man zusammen mit befreundeten Musiker:in­nen die eingereichten Songs auf. 18 Lieder, die sich mit ihrem unwiderstehlichen DIY-Charme zwischen ostdeutschem Amiga-Soul, Italo Disco und New-Wave-NDW bewegen.

Zu hören ist das bittersüße Ständchen über Gegensätze »Bert & Ernie«, ein wegweisender »Pfadfinder Song« sowie eine groovy Hommage an die gute alte Disco­roller-Zeit. Dieses Album ist der perfekte Soundtrack für alle Vereine und Institutionen, die gerade händeringend ehrenamtliche Mitar­beiter:innen suchen. Auch wenn die Stücke auf einer Doppel-LP, in einem Doku-Film und auf der Bühne des Schauspielhauses in Hamburg gelandet sind, konnten gewisse Verwertungslogiken und Formatfragen der Musikindustrie bei der Produktion offenbar mit großem Vergnügen ausgeblendet werden.

»Ich habe meine Formel gefunden: die Formel Aznavour«, sagt der von Tahar Rahim überzeugend verkörperte Chansonnier in dem Biopic »Monsieur Aznavour«.

Jeder nach seiner Fasson. »Ich habe meine Formel gefunden: die Formel Aznavour«, sagt der von Tahar Rahim überzeugend verkörperte Chansonnier in dem Biopic »Monsieur Aznavour«. Eine lange Durststrecke musste er bestehen, aber schließlich schenkte der Sohn armenischer Flüchtlinge, der verbissen an seinem Erfolg gearbeitet hatte, der Welt über 1.000 Lieder. Er stand bis zuletzt – mit 94 – noch auf der Bühne.

Charles Aznavour (Tahar Rahim) und Ulla Thorsell (Petra Silander)

Arbeit über Privatleben. In den 1960ern trifft Charles Aznavour (Tahar Rahim) auf die aus Schweden stammende Ulla Thorsell (Petra Silander) und verliebt sich Hals über Kopf in sie

Bild:
Tukimuri

Ehrgeizig ist der in fünf Teile gegliederte Film von Mehdi Idir und dem Musiker Grand Corps Malade. Der von Aznavours Schwiegersohn produzierte Film will das komplette Leben des französischen Sinatra erzählen: die ärmliche, aber glückliche Kindheit in Paris, das Gesangsduo mit Pierre Roche, die Zeit unter den Fittichen von Edith Piaf bis zum Durchbruch im Jahr 1960 und die Zeit danach, in der er seine großen Hits schrieb.

Leider erfährt man zu wenig über das Innenleben des Work­aholic, der stets klischeemäßig die Arbeit über sein Privatleben stellte. Doch auch wenn man die B-Seite seines Lebens vermisst – durchaus sehenswert.